Heute Abend hat der FC St. Pauli die Chance, endlich wieder Pokalgeschichte zu schreiben. Wie zuletzt 2005/06, als der Klub als Drittligist nacheinander Burghausen, Bochum, Bremen und Berlin aus dem DFB-Pokal kegelte und sich damit finanziell renoviert. Hier erinnert sich Hauke Brückner an die „Bokalsaison“ seines Lebens.
Dieses Interview erschien erstmals im Januar 2016.
Hauke Brückner, im Fußball spricht man gerne von Läufen. Wie erklären Sie sich St. Paulis Pokalsaison 2005/06?
Wir waren einfach ‚ne geile Truppe.
So einfach ist das?
Im Fußball braucht es manchmal kleine Momente. Vielleicht war die Partie gegen Burghausen eine Initialzündung. Dieses Spiel geht ja oft unter, wenn man über die Pokalrunde 2005/06 spricht.
Weil der FC St. Pauli Burghausen schlug, besiegte er danach auch Bochum, Hertha und Bremen? Eine gewagte These.
Finde ich nicht. Zumal wir schon in diesem Spiel der Underdog waren. Wir spielten in der Regionalliga, Burghausen hingegen legte eine recht ordentliche Saison in der Zweiten Liga hin. Im Rückblick haben wir aus diesem Spiel sehr viel Kraft und Selbstvertrauen geschöpft. Wir führten lange 2:0, kurz vor Schluss glich Burghausen aber innerhalb von zwei Minuten aus. Normalerweise brechen unterklassige Team nach so einem Rückschlag zusammen. Wir aber gewannen in der Verlängerung 3:2.
Gegen Hertha lief es ähnlich.
Hier hieß die Devise: Bloß kein schnelles Gegentor. Und was passiert? Nach acht Minuten lagen wir 0:1 hinten, nach 40 Minuten stand es 0:2. Niemand hat mehr einen Cent auf uns gewettet, Hertha hatte nämlich eine richtig gute Mannschaft, mit dabei waren Marcelinho, Yildiray Bastürk oder Marco Pantelic. Aber es war wie gegen Burghausen: Wir kamen mit ungeheurer Wucht zurück. Und gerade in diesem Spiel konnte man gut sehen, was ich mit geiler Truppe meine: Wir waren aggressiv, aber positiv. Wir haben uns gegenseitig gepusht, aber ich kann mich nicht erinnern, dass wir uns angepflaumt hätten.
So sportlich erfolgreich die Saison lief, so finanziell desaströs stand der FC St. Pauli in jenen Jahren da. Hat die Situation die Spieler belastet?
Wir haben uns darüber lange keine Gedanken gemacht. Erst als das Viertelfinale gegen Bremen anstand, sickerte langsam durch, dass wir den Klub mit einem Sieg von seinen Schulden befreien könnten. Das war extrem.
Sie spürten Druck?
Eigentlich kannst du als Regionalligist im Pokal immer befreit aufspielen – du hast nichts zu verlieren. Diesmal war es anders. Es ging um die Zukunft des Vereins. Extrem war übrigens auch die Situation danach: Die ausgehandelte Siegprämie konnte nur zum Teil ausgezahlt werden, weil das Finanzamt intervenierte.
Welches Spiel war Ihr persönliches Highlight in der Pokalrunde?
Das 4:0 in der zweiten Runde gegen Bochum, damals Tabellenführer in der Zweiten Liga. An dem Abend klappte einfach alles. Lediglich Jimmy (Michél Mazingu-Dinzey, d. Red.) konnte aus elf Metern das Tor nicht treffen. (Lacht.) Ich behaupte einfach mal, dass ich in dem Spiel keinen Zweikampf verloren habe. Neulich habe ich mir noch mal alte Bilder angeschaut. Auf einem Foto liege ich quer in der Luft und kläre einen Ball per Fallrückzieher. Das war in der 90. Minute am eigenen Strafraum.
Und das beste Spiel der Mannschaft?
Ganz klar gegen Hertha. Das war an Dramatik nicht zu überbieten. Am 21. Dezember 2015, also exakt zehn Jahre nach dem Spiel, gab es im Hamburger Knust eine große „Bokalfieber“-Party, auf der das Spiel noch mal in kompletter Länge gezeigt wurde. Wir waren mit zahlreichen Spielern vor Ort.
Haben Sie das Spiel da zum ersten Mal wieder gesehen?
Nein. Früher habe ich mir oft mehrmals die Aufzeichnungen von tollen Spielen angeguckt. Das sind dann immer wieder Gänsehautmomente.
Sie schauen also seit zehn Jahren täglich das Hertha-Spiel?
(Lacht.) Natürlich nicht. Das Spiel habe ich lange nicht gesehen. Einen Tag vor der „Bokalfieber“-Party im Knust habe ich allerdings zufällig die DVD der Bokalsaison wiedergefunden. Da dachte ich: Kannste ja mal wieder gucken, zur Vorbereitung auf den Abend.
Und schon war die Gänsehaut wieder da?
Es war der Wahnsinn. 4:3 in der Verlängerung. Wir waren wirklich verdammt stark. Bei einigen meiner Aktionen habe ich mich aber kritisch hinterfragt: Was hast du da eigentlich gemacht? Warum grätschst du da? Warum spielst du diesen Pass? Zwischenzeitlich dachte ich: Spielst du überhaupt mit? Ich war in dem Spiel ein klassischer Zerstörer und Wasserträger.