Eigentlich hatte unser Autor mit seinem Verein, dem SV Werder Bremen, schon abgeschlossen. Dann kam der 34. Spieltag.
Es gehört zum Leistungssport dazu, dass nach dem Schlusspfiff jeder über den Sieger spricht. No time for losers, ’cause we are the champions sangen schon Queen und welcher Sportfan lag sich bei dieser Gewinner-Hymne nicht schon trunken mit Gleichgesinnten in den Armen? Und doch gilt der erste Gedanke am Tag danach den Anhängerinnen und Anhängern von Fortuna Düsseldorf. Wie kacke muss sich das wohl anfühlen, wenn man am letzten Spieltag alles vergeigt und der ewige Rivale aus dem nahen Köln dabei auch noch eine Hauptrolle spielt? Ich muss und möchte es mir nicht vorstellen. Das Mitleid kommt trotzdem von Herzen.
So ein persönlicher Text über die Empfindungen vor, während und nach einem Fußballspiel bzw. einer beinahe beendeten Saison kann selbstverständlich nur subjektiver Natur sein. Und apropos: genau dort, mitten in der Natur, hat der Autor dieses Artikels den 34. Spieltag erlebt. Nicht wie so viele andere am Bremer Osterdeich, vor den Toren des verschlossenen Weserstadions oder inmitten einer eingeschworenen Gemeinschaft von Leidensgenossen, sondern irgendwo im schönen Nirgendwo, ganz konkret: in Gartow. Reetgedecktes Nurdachhaus, endlich Urlaub, drinnen Frau und Hund auf dem Sofa, draußen 100 Grad und eine Holzterrasse mit Markise. Dazu der 11FREUNDE-Auftrag, den ja eigentlich schon sicheren Werder-Abstieg in die zweite Liga zu begleiten. Gefühlige Kondolenz aus dem Wendland, auch noch nicht erlebt.
Gut zwei Stunden vor dem Anpfiff sitzt man also auf dieser aufgeheizten Terrasse und denkt sich: Fuck off, Bundesliga. Dann steigen sie halt ab. Hat man sich nicht eh längst mit diesem Szenario arrangiert? Und: Warum zum Geier sollte man in einer Liga bleiben wollen, in der Thomas Müller gerade zum neunten Mal Deutscher Meister, Robert Lewandowski zum fünften Mal Torschützenkönig und alles eigentlich nur noch freudloser, weil langweiliger und vorhersehbarer geworden ist? Klar, der wirtschaftliche Aspekt. Geld, Jobs, Spieler, alles weg. Kacke. Aber, hey, dafür Auswärtsspiele in Osnabrück und Kiel, vielleicht eine neu entflammte Liebe im seit Jahren vor sich hininfarktenem grün-weißen Herzen. „Naaa!“, schreibt eine alte Bekannte um kurz nach eins, „fieberst Du heute für Werder, oder hast Du die Hoffnung längst aufgegeben?“ „Ich fieber“, schreibt man zurück, „aber irgendwie glaub ich nicht mehr so richtig dran.“ Der Freund aus Frankfurt, Eintracht ‑Fan, aber Werder-Sympathisant, schickt ein Youtube-Video: „Die Top 5 LastMinute Tore von Eintracht Frankfurt“. Dazu aufmunternde Worte: „Einstimmung für ne legendäre Konferenz…WERDER BREEEEMEN!“ Man antwortet blutleer: „Glaubst Du noch dran, Langer?“ „Irgendwie schon. Kann mir Werder einfach nicht in der 2. Liga vorstellen.“
Darüber muss man nachdenken, als man 60 Minuten vor dem Anstoß noch fix zum nahen Supermarkt eiert, um sich mit Dosenbier einzudecken. San Miguel, 0,33, 79 Cent plus Pfand, man gönnt sich ja sonst nichts. Mit den Dosen im Rucksack, rechts der See, links das Dorf, kommt die Aufregung. Wo war sie an den vergangenen 33 Spieltagen und woher kommt sie jetzt? Über die Kopfhörer pumpt man sich „Grün-weiße Liebe“ ins Hirn und spätestens jetzt kommen die Erinnerungen an das, was mal war, und was man ewig festhalten möchte: Saisonfinale 95, das erste Mal im Stadion, Werder-KSC 2:1, Tor von Basler, Tor von Bode, Abschied von Rehhagel, heulende Männer überall. Werder gegen Parma, März 2000. Parma mit Buffon, Cannavaro und Crespo, Werder mit Wiedener, Barten und Baumann. 3:1 gewonnen, fast den handtaschengroßen Röhrenfernseher im väterlichen Arbeitszimmer im Rausch der Sensation aus dem Fenster geworfen. 2004, Werder wird tatsächlich Meister. In München. Angeblich nur 16 Jahre her, eigentlich aber mindestens 120. Mit letzter Kraft auf den Stimmbändern: „Hoeneß rück die Schale raus“ und „Waldi, du Arschloch“, weil das bayrische Urvieh mit falscher Meisterschale vor der Auswärtskurve drehen wollte. Fahrten nach Mailand, Lyon und Barcelona. Istanbul 2009, Diego gesperrt, Uefa-Cup verloren, an Lebenserfahrung gewonnen. Und so weiter und so fort. Erste Erkenntnis dieser Sehnsuchtsreise mit Dosenbier auf dem Rücken: Was ist man doch für ein mieser Erfolgsfan. Zweite Erkenntnis: Fuck off Bundesliga. Aber Werder darf verdammt noch mal nicht absteigen.