Joachim Löw hat den richtigen Moment für den Abschied aus dem Amt verpasst. Das muss er sich vorwerfen lassen.
Eine letzte Herausforderung hielt der Abend für Joachim Löw noch bereit. Er war ihr leider nicht gewachsen.
Löw saß im Wembleystadion bei der virtuellen Pressekonferenz nach dem Achtelfinale der Fußball-Europameisterschaft. Er wartete auf die nächste Frage, aber es kam keine Frage. Also griff der Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft ein wenig gedankenverloren zu einer der beiden Cola-Flaschen, die eigentlich nur zu dekorativen Zwecken vor ihm auf dem Podium standen. Löw drehte am Kronkorken. Natürlich bewegte er sich kein Stück.
Man konnte darin durchaus etwas Symbolisches erkennen. Das, was Joachim Löw in den drei Jahren seit dem WM-Debakel 2018 in Russland probiert hatte, glich in etwa dem Versuch, mit bloßen Händen den Kronkorken von einer Colaflasche zu entfernen. Es war zum Scheitern verurteilt. Löw hat es versucht. Er hat – sinnbildlich – gedreht und gedreht, aber nichts rührte sich.
Natürlich hätte es auch anders kommen können. Wenn zum Beispiel Thomas Müller am Dienstagabend wenige Minuten vor Schluss gegen England der späte Ausgleich gelungen wäre. Oder wenn Timo Werner die Deutschen in der ersten Halbzeit bei seiner ähnlich glänzenden Chance sogar in Führung gebracht hätte.
Vielleicht hätten die Deutschen die Engländer tatsächlich wieder einmal bezwungen und wären anschließend, dank der leichteren Gegner in ihrer Turnierhälfte, sogar gleich ins Finale der EM durchgerauscht. Das abschließende Urteil der Ära Löw fiele dann wahrscheinlich geringfügig anders aus.
Aber es ist eben nicht so gekommen. Es kam: das Aus im Achtelfinale. Und dieses frühe Scheitern hatte dann doch etwas Folgerichtiges. Der alte Zauber des Bundestrainers hat nicht mehr gewirkt. Man hätte es wissen können. Oder zumindest ahnen müssen.
Joachim Löw hat es nie leicht gehabt. Selbst in seinen erfolgreichen Jahren hat es ihm an Kritikern nie gemangelt. An Leuten, die ihn vor allem für ein Glückskind gehalten haben, weil er in einer Zeit Bundestrainer sein durfte, in der der deutsche Fußball über so viel Talent verfügt hat wie vielleicht nie zuvor in seiner Geschichte.
Aber damit tut man ihm Unrecht. Löw hat diesen Überfluss nicht nur verwaltet; er hat in den ersten Jahren seiner langen Amtszeit auch sehr wohl stilbildend gewirkt. Löw war ein echter Fußballlehrer, und in seiner Klasse saßen nicht nur die Nationalspieler, sondern das ganze Land, das von modernem Fußball zu Beginn des Jahrtausends noch nicht allzu viel Ahnung hatte.