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Kim Manuel Künstner, viele tra­di­ti­ons­be­wusste Fans haben mit Freude auf die Ein­schät­zung des Bun­des­kar­tell­amts zur 50+1‑Regel reagiert. Ist diese Freude berech­tigt?
Durchaus. Schließ­lich hat das Kar­tellamt die Regel im Grunde abge­segnet. Es hält sie auf­grund der damit ver­folgten Ziele für kar­tell­recht­lich unbe­denk­lich.

Beson­ders positiv auf­ge­nommen wurde fol­gender Satz über die Regel: Sie eröffnet breiten Bevöl­ke­rungs­schichten die Mög­lich­keit, durch die Mit­glied­schaft in einem Verein dessen Geschicke mit­zu­be­stimmen und somit am Bun­des­li­ga­ge­schehen auch über die Stel­lung als Kon­su­ment hinaus teil­zu­haben.“
Dass dieser Satz bei vielen Fans sehr gut ankam, kann ich nach­voll­ziehen. Dem Kar­tellamt wird bewusst gewesen sein, dass es damit eine ent­spre­chende Wir­kung erzielen würden. Aber es ist tat­säch­lich auch ein ernst­haftes recht­li­ches Argu­ment: Das Kar­tellamt hält die Erhe­bung des Fans vom reinen Kon­su­menten zum par­ti­zi­pie­renden Teil des Geschäfts für ein legi­times Recht­fer­ti­gungs­ziel der 50+1‑Regel. Hinter der Romantik steht nun eine hand­feste recht­liche Ein­schät­zung des Amtes.

Wie ist das Kar­tellamt zu dieser Ein­schät­zung gelangt?
Würde man allein nach wett­be­werb­li­chen Gesichts­punkten vor­gehen, würde die 50+1‑Regel kar­tell­recht­lich tat­säch­lich nicht stand­halten. Sie ist eine klare Ein­schrän­kung für poten­ti­elle Inves­toren und damit für den Wett­be­werb der Ver­eine. Die span­nende recht­liche Frage ist: Ist diese Ein­schrän­kung aus­nahms­weise gerecht­fer­tigt? Um diese Frage zu beant­worten, gibt es bestimme Kri­te­rien.

Welche?
Dar­unter fallen Dinge wie eine Betei­li­gung der Ver­brau­cher oder auch eine Ver­bes­se­rung der Waren­ver­tei­lung. Aus der Pres­se­mit­tei­lung des Kar­tell­amts kann man her­aus­lesen, dass es im Fall von 50+1 vor allem zwei Aspekte berück­sich­tigt: Zum einen den ver­eins­ge­prägten Wett­be­werb. Und zum anderen ein Inter­esse am Gleich­lauf des Wett­be­werbs. Dass sich eben nicht nur anhand der Inves­ti­tionen ent­scheidet, welche Mann­schaft erfolg­reich ist.

50+1

Die 50+1‑Regel soll die Fuß­ball­ver­eine in Deutsch­land vor dem Ein­fluss von Inves­toren schützen. Sie besagt, dass die Stim­men­mehr­heit an aus­ge­glie­derten Pro­fi­ab­tei­lungen beim Mut­ter­verein bleiben muss. Weil es in Bezug auf die Regel schon häu­figer kar­tell­recht­liche Bedenken gab, hatte die DFL 2018 die Auf­nahme eines Ver­fah­rens durch das Kar­tellamt erbeten. Ein durchaus übli­cher Vor­gang, um Rechts­si­cher­heit zu erlangen. Am Montag erklärte das Bun­des­kar­tellamt in einer vor­läu­figen Ein­schät­zung, dass die Grund­regel auf­grund der damit ver­folgten sport­po­li­ti­schen Ziele kar­tell­recht­lich unbe­denk­lich sei. Für pro­ble­ma­tisch hält das Amt hin­gegen Aus­nah­me­ge­neh­mi­gungen von der Regel, wie sie der­zeit in Lever­kusen, Wolfs­burg und Hof­fen­heim Anwen­dung finden.

Warum berück­sich­tigt das Kar­tellamt eine eher roman­ti­sche Idee wie den ver­eins­ge­prägten Wett­be­werb?
Das tut es in anderen Berei­chen des Kar­tell­rechts tat­säch­lich sonst eher nicht. In anderen Fällen sind zivil­ge­sell­schaft­liche Ziele, die außer­halb des Wett­be­werbs liegen, nor­ma­ler­weise keine Recht­fer­ti­gung. Das sehen wir zum Bei­spiel beim Kli­ma­schutz, wo das Kar­tellamt sagt: da müssen sich andere drum küm­mern. Im Sport- und Ver­bands­recht ist es aber aner­kannt, dass auch diese Ver­bands­ziele als Recht­fer­ti­gung weiter greifen können als nor­ma­ler­weise im Kar­tell­recht. Hier wird den Sport­ver­bänden eine gewisse Bein­frei­heit ein­ge­räumt. Sie sollen sich selbst regu­lieren dürfen. Natür­lich unter der Maß­gabe, dass die Ein­schrän­kungen des Wett­be­werbs dazu geeignet sind, die Ziele, die man sich auf die Fahne geschrieben hat, zu ver­wirk­li­chen. Es darf also kein Fei­gen­blatt sein.

Wie sieht es beim zweiten Punkt aus, dem Gleich­lauf im Wett­be­werb?
Hier sehe ich erheb­liche Fra­ge­zei­chen. So wie der Wett­be­werb im Moment auf­ge­stellt ist, gibt es ganz krasse Ungleich­heiten. Die Posi­tion von Bayern Mün­chen, aber auch von Borussia Dort­mund oder den kon­zern­ge­stützten Ver­einen wäre viel­leicht eher angreifbar, wenn auch andere Ver­eine sich für Inves­toren öffnen könnten.

Wer will schon viel Geld in einen Fuß­ball­klub pumpen, um dann dabei zuzu­sehen, wie die Ver­ant­wort­li­chen den Laden an die Wand fahren?“

Das können sie. Aller­dings nur unter bestimmten Bedin­gungen. Laut der Lex Lever­kusen“ können Inves­toren, die einen Verein über 20 Jahre erheb­lich“ geför­dert haben, auch die Stim­men­mehr­heit an der aus­ge­glie­derten Pro­fi­ab­tei­lung über­nehmen. Das Kar­tellamt hält diese Aus­nahmen für pro­ble­ma­tisch.
Durch die Aus­nah­me­regel haben Lever­kusen, Wolfs­burg und Hof­fen­heim eine Son­der­stel­lung, die andere Ver­eine so nicht haben. Dort haben mög­liche Inves­toren auf­grund der 50+1‑Regel kein durch­grei­fendes Mit­spra­che­recht. Das wird manch einen sicher davon abhalten, in einen Verein zu inves­tieren. Wer will schon viel Geld in einen Fuß­ball­klub pumpen, um dann dabei zuzu­sehen, wie die Ver­ant­wort­li­chen den Laden an die Wand fahren? Wer die Kapelle zahlt, will bestimmen, was gespielt wird. Das finde ich nach­voll­ziehbar. Dass jemand 20 Jahre lang massiv inves­tiert und dann erst die dem­entspre­chenden Mit­spra­che­rechte erhält, halte ich für sehr unrea­lis­tisch. Und damit sind wir bei der Chan­cen­gleich­heit. Werder Bremen, die drin­gend Geld brau­chen, können mög­li­chen Inves­toren eben keine umfang­rei­chen Mit­spra­che­recht bieten.

Dr. Kim Manuel Künstner

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ist Anwalt für Kar­tell­recht. Er berät natio­nale und inter­na­tio­nale Unter­nehmen in kar­tell­recht­li­chen Fragen.

Heißt das, dass es die drei Aus­nahmen in der Bun­des­liga so nicht geben dürfte?
Das Kar­tellamt hat per se kein Pro­blem mit Hof­fen­heim, Lever­kusen und Wolfs­burg. Das Kar­tellamt hat mit der Rege­lung in ihrer Abs­trakt­heit ein Pro­blem. Warum beträgt der erfor­der­liche Zeit­raum 20 Jahre? Warum dieser relativ unscharfe Begriff der För­de­rung in erheb­li­chem“ Umfang. Hier musste ja zum Bei­spiel Martin Kind bei Han­nover 96 die Erfah­rung machen, dass die Summe, die er bei Han­nover 96 inves­tiert hat, nicht aus­rei­chend ist. Hier will das Kar­tellamt wahr­schein­lich nun erst einmal noch mehr Argu­men­ta­ti­ons­ma­te­rial von der DFL. Dann ist es am Kar­tellamt zu ent­scheiden, ob es diese Argu­mente akzep­tiert oder nicht.

Die Initia­tive 50+1 bleibt! for­dert, dass die bestehenden Aus­nahmen inner­halb einer Über­gangs­frist abge­schafft werden müssen. Ist das rea­lis­tisch?
Ich glaube nicht. Es gibt ja auch eine nor­ma­tive Kraft des Fak­ti­schen. Des­halb kann ich mir nicht vor­stellen, dass den drei Klubs jetzt grö­ßeres Unge­mach droht.

Also könnte die DFL die Aus­nah­me­re­ge­lung abschaffen, sie aber bei den drei betrof­fenen Klubs belassen?
Auch das halte ich für unrea­lis­tisch. Bei diesem Sze­nario würde Martin Kind sicher sofort gegen die Regel klagen und das auch nicht ohne Grund. Das wird die DFL ver­meiden wollen.

Hätte eine Klage denn Aus­sichten auf Erfolg? Das Kar­tellamt hat doch gerade erst erklärt, dass die 50+1‑Regel kar­tell­recht­lich unbe­denk­lich ist.
Es han­delt sich hierbei aller­dings nur um eine vor­läu­fige Ein­schät­zung, die nicht die ordent­li­chen Gerichte bindet. Diese könnten also zu einer anderen Bewer­tung kommen. In der Stel­lung­nahme steht ja auch nicht Schwarz auf Weiß, ob die Regel nun kar­tell­rechts­widrig ist oder nicht, son­dern nur, dass das Amt keine Ver­an­las­sung sieht, tätig zu werden. Es hält sich zudem offen, den Fall in Zukunft noch einmal auf­zu­greifen. Es gibt der DFL also Rechts­si­cher­heit vor der Behörde, nicht so sehr vor den Gerichten.

Zurück zur Aus­nah­me­re­ge­lung: Wenn eine Abschaf­fung unrea­lis­tisch ist, was wird statt­dessen damit pas­sieren?
Ich halte es für das wahr­schein­lichste Sze­nario, dass die DFL die Aus­nah­me­re­ge­lung anpassen wird, indem sie zum Bei­spiel den Zeit­raum von 20 Jahren redu­ziert oder den Begriff der erheb­li­chen Unter­stüt­zung“ kon­kre­ti­siert. Sie könnte auch bestimmte Ver­pflich­tungen für Inves­toren ein­führen.

Zum Bei­spiel?
Es wäre denkbar, dass ein Investor, der sich heute schon ver­pflichtet, über einen bestimmten lang­fris­tigen Zeit­raum zu inves­tieren, sofort auch ent­spre­chende Mit­spra­che­rechte erhält. Und dass er sich ver­pflichtet, den Verein nicht zum Spe­ku­la­ti­ons­ob­jekt zu machen, indem er ver­si­chert, seine Anteile nur an den Verein zurück­zu­geben und nicht wei­ter­zu­ver­kaufen. Das ist ja eine reelle Gefahr, bei Inves­toren, die plötz­lich das Inter­esse ver­lieren oder selbst in finan­zi­elle Schwie­rig­keiten geraten.

Das wäre dann aber doch keine Stär­kung der 50+1‑Regel, son­dern eine wei­tere Auf­wei­chung.
Das könnte pas­sieren, ja. Wir bewegen uns hier in einem Span­nungs­feld zwi­schen ver­eins­ge­prägtem Wett­be­werb auf der einen und Chan­cen­gleich­heit der Ver­eine im sport­li­chen Wett­kampf auf der anderen Seite. Letz­terer ist natür­lich sehr stark mit den finan­zi­ellen Mög­lich­keiten kor­re­liert. Es wird in die Rich­tung gehen, dass es mehr Ver­einen mög­lich sein muss, von der Aus­nahme Gebrauch zu machen. Daher kann es durchaus sein, dass 50+1 am Ende dieses Pro­zesses weniger robust ist und durch­läs­siger als die heu­tige Rege­lung.

Auch Martin Kind hat übri­gens die Ein­schät­zung des Kar­tell­amts begrüßt. Er sagt: Die Logik daraus ist dann, dass man das (50+1, d. Red.) abschaffen muss, um die Wett­be­werbs­gleich­heit her­zu­stellen.“ Hat er recht?
Nein. Das Kar­tellamt hat ziem­lich deut­lich gemacht, dass es in der Regel an sich kein Pro­blem sieht. Es hält sie für unbe­denk­lich. Es hat nur darauf hin­ge­wiesen, dass eine Aus­nahme dis­kri­mi­nie­rungs­frei sein muss und den Wett­be­werb nicht weiter ver­zerren darf.

Das ist ein biss­chen so, als würden Sie Mono­poly spielen, aber nie von vorne anfangen“

Herr Künstner, Sie sind Fan von Borussia Dort­mund. Wie stehen Sie eigent­lich ganz per­sön­lich zur 50+1‑Regel?
Ich glaube, dass mein Verein von der Regel pro­fi­tiert. Gleich­zeitig muss ich aber auch sagen: Wir haben kaum noch einen echten Wett­be­werb im Fuß­ball. Mitt­ler­weile blicke ich teil­weise etwas nei­disch auf den ame­ri­ka­ni­schen Pro­fi­sport. Wer im US-Pro­fi­sport zweimal hin­ter­ein­ander Meister wird, hat eine wahn­sin­nige Leis­tung erbracht, die eben nicht eins zu eins aufs Geld zurück­zu­führen ist. Das ruft deut­lich stär­kere Emo­tionen hervor, als die Nach­richt, dass Borussia Dort­mund sich zum x‑ten Mal für die Cham­pions League qua­li­fi­ziert hat. Ich erin­nere mich noch, als Dort­mund unter Jürgen Klopp nach län­gerer Zeit zum ersten Mal wieder Cham­pions League gespielt hat. Es war ein Heim­spiel gegen Arsenal, in der Nach­spiel­zeit hat Ivan Perisic per Direkt­ab­nahme den Aus­gleich erzielt. An diesem Abend war im ganzen Sta­dion eine unfass­bare Gier und Lust auf die Cham­pions League zu spüren. Die fühle ich gerade nicht mehr – zumin­dest nicht bei mir. Es nutzt sich ab.

Immerhin hat Dort­mund den DFB-Pokal geholt.
Auch der ist ja mitt­ler­weile fast nur noch ein Trost­preis. Das finde ich schade. Von den neun Bayern-Meis­ter­schaften in Folge ganz zu schweigen. Da geht etwas ver­loren. Da hat es mir in den Neun­zi­gern besser gefallen, als die Bayern auch mal in Ros­tock ver­loren haben.

Häufig fällt das Argu­ment, dass sich die Bayern diese Erfolge eben auch erar­beitet und damit ver­dient hätten.
Ich habe den Ein­druck, dass diese Lob­prei­sungen von Wett­be­werb und Meri­to­kratie häufig vor allem von denen kommen, die ihre Posi­tion an der Spitze ver­tei­digen wollen. Der Markt ist doch eigent­lich dazu da, diese Posi­tion angreifen zu können. Und das ist bei uns nicht mehr gegeben. Das ist ein biss­chen so, als würden Sie Mono­poly spielen, aber nie von vorne anfangen. Wer einmal gewonnen hat, hat die Hotels und die anderen bekommen noch ein biss­chen Geld von der Bank, um mit­zu­spielen. Echte Chancen auf den Sieg haben sie aber nicht. Das will doch keiner spielen. Span­nend wird es dann, wenn wir das Spiel­feld abräumen und von vorne anfangen.