Wie fühlt es sich an, im größten Finale zu stehen, das der Vereinsfußball zu bieten hat? Ilgner, Capello, Cissé: Europapokalhelden erinnern sich.
Im neuen 11FREUNDE-SPEZIAL „Spiele unseres Lebens“ erzählen wir von vergessenen Krachern und epischen Schlachten. Zur Einstimmung erzählen hier verschiedene Europapokal-Helden von ihren größten Momenten. Und von bitteren Enttäuschungen. Das Heft gibt es ab Donnerstag, dem 03.09. im Kiosk. Oder direkt bei uns im Shop.
„In der Kabine herrschte Stille“
Unsere Mannschaft war eine Ansammlung von Stars. Mijatovic, Suker, Karembeu, Seedorf, Redondo – alles große Namen damals. Dazu die jungen Raul und Morientes. Unser Trumpf war aber der unbedingte Wille. Ich erinnere mich gut daran, wie wir wenige Tage vor dem Finale ein Ligaspiel in den Sand setzten. Plötzlich stand Chendo in der Kabine auf und wusch uns allen den Kopf. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, seine Karriere war so gut wie zu Ende. Sein ganzes Leben hatte er für Real gespielt und vergeblich versucht, den Europapokal zu gewinnen. Davon sprach er und von der einmaligen Chance, die wir nun hätten. Vielleicht würde so eine Gelegenheit nie wieder kommen. Mehr musste er nicht sagen.
Das Finale gingen wir unheimlich konzentriert an. In der Kabine herrschte vor dem Spiel Stille, auch ich war wie immer ganz ruhig. Die großen Spiele ging ich genauso so an wie die kleinen. Wenn man über die Bedeutung so eines Finales nachdenkt, wird man automatisch nervös. Das wäre Gift für die eigene Mannschaft. Dem Gegner kann man ja was vormachen, den Mitspielern nicht. Im Kabinengang gehen dann die Psychospielchen los. Jeder hat da so seine eigene Marotte. Ich habe mich immer groß gemacht. Rücken durchgedrückt, Schultern gerade, Brust raus. Auch die Italiener sollten ruhig sehen, was ihnen blüht, wenn sie mir zu nahe kämen. Die Spieler checkte ich immer gleich ab. Wenn einer übermäßig auf seinem Kaugummi herumkaute oder sich zu locker gab, war das ein Zeichen von Nervosität.
Obwohl es ein Finale italienischer Art mit wenigen Chancen war, gewannen am Ende wir, die Spanier. Für mich war das ein ganz besonderer Erfolg, gleichzusetzen mit dem WM-Titel 1990. Als wir in Italien Weltmeister wurden, war ich noch sehr jung und dachte, so könnte es weitergehen. Erst als ich acht Jahre auf den nächsten Erfolg warten musste, realisierte ich, wie schwer die großen Pokale im Fußball zu gewinnen sind.
Wenn ich heute nach Madrid komme, bin ich für die Menschen immer noch der Champions-League-Sieger. Selbst wenn sie meinen Namen nicht mehr wissen, sagen sie: „Du bist doch der Torwart de la septima.“ Der Torwart des siebten Titels.
„Mir ging richtig die Pumpe“
Vier Tage vor dem Endspiel quartierten wir uns am Comer See ein. Die Stimmung wurde von Tag zu Tag angespannter. Das ist das Schlimmste an so einem großen Spiel: Die Zeit, bevor du endlich auf dem Platz gegen den Ball treten darfst. Trainer Ernst Happel fuhr unser Training runter, lediglich leichte Laufeinheiten und Spiele ohne harte Zweikämpfe. Einen Tag vor dem Spiel hatten wir zwei Besprechungen: In einer referierte Happel konsequent über den Gegner und dessen Stärken. In der zweiten konzentrierte er sich auf uns. Er sagte uns, warum er glaube, dass wir die überlegene Mannschaft seien. Warum wir die besseren Spieler, das größere Potential und die klügere Taktik hätten. Er redete ganz ruhig, wie es seine Art war. Er machte uns stark und selbstbewusst.
In den Stunden vor dem Finale war ich dennoch unglaublich nervös. Ich versuchte, mir einzureden, dass das auch nur ein ganz normales Fußballspiel über 90 Minuten sei, wie ich es schon hunderte Male absolviert hatte. Aber das half nichts.
In der Kabine hat jeder seine Marotten. Und vor einem Europapokalfinale werden diese Marotten noch intensiver ausgelebt. Bei mir musste es immer erst der linke, dann der rechte Schuh sein. Auch die Hose habe ich immer in exakt derselben Art und Weise angezogen. Neben mir saß Wim van Hanegem. Von ihm wussten wir, dass er sich nicht umziehen konnte, bevor seine Straßenschuhe perfekt nebeneinander abgestellt waren. An diesem Tag hätte er fast das Millimeter-Maßband rausgeholt.
Als wir endlich ins San Siro einliefen, ging mir richtig die Pumpe. Meine Nervosität verflog erst mit dem ersten Ballkontakt. Alle Anspannung fiel von mir ab, jetzt war ich wieder der Fußballer, der Spielmacher von Feyenoord Rotterdam. Unsere Taktik war simpel: Wir wollten Celtic kommen lassen, ins Spiel finden und schließlich nach einer halben Stunde die Initiative übernehmen. Doch die Schotten gingen durch ein Tor von Tommy Gemmel nach 29 Minuten in Führung. Zum Glück gelang unserem Kapitän Rinus Israel zwei Minuten später der Ausgleich. Ich hatte noch eine fantastische Gelegenheit auf dem Schlappen – doch der Ball klatschte gegen den Pfosten. In der Verlängerung rannte Celtic-Torwart Evan Williams einen unserer Stürmer über den Haufen, ein klarer Elfmeter. Doch der Schiri entschied auf Vorteil, Ove Kindvall, unser Schwede, reagierte am schnellsten und schoss das entscheidende Tor. Besser so: Ich wäre als Elfmeterschütze vorgesehen gewesen, wer weiß, ob ich den Ball versenkt hätte.
Nach dem Schlusspfiff brachen alle Dämme. Ich rannte wie ein Verrückter zu unseren Fans, zu meinen Kollegen und wieder zu den Fans. In der Kabine füllten wir den Pokal mit Champagner, doch weil ich keinen Alkohol trinke, begnügte ich mich mit einer Schampusdusche. Das totale Glück – hier waren wir ihm ganz nah.
Stunden später in unserem Hotel am Comer See nahm mich Happel beiseite: „Komm, Franz, lass uns was trinken gehen.“ So freundlich hatte er in der gesamten Saison nicht mit mir gesprochen. Aber das hier war ein besonderer Moment: Wir waren die neuen Könige von Europa, „Trainer, ich trinke doch keinen Alkohol“, sagte ich. Und er: „Dann trinkst eben was anderes.“ Ich orderte einen Cappuccino, schließlich waren wir doch in Italien. Still leerten wir unsere Getränke. Dann sah mich Happel plötzlich an und legte mir die Hand auf die Schulter. „Franz“, sprach er, „heute haben wir etwas Großes geleistet.“ Da wusste ich, dass ich eben den Europapokal der Landesmeister gewonnen hatte.