Ein Blick hinter die Kulissen: In der Saison 2008/2009 begleiteten wir den damaligen Zweitligisten Rot-Weiß Oberhausen auf Schritt und Tritt, erlebten Krisensitzungen, Vertragspoker und Kneipentouren mit den Spielern. Unser Saison-Tagebuch.
Pokern mit Angelo Vier
Heimniederlage gegen Wehen-Wiesbaden | Der Manager streitet sich mit Spielerberatern
Angelo Vier, der Berater von Leistungsträger Benny Reichert, steht am Trainingsplatz an der Landwehr. Prompt ist der Ex-RWO-Profi von alten Kollegen umringt: Mannschaftsarzt und Masseur fragen nach Zustand von Schulter und Knie. Zwischendurch winkt ihm die führende Geschäftsstellenleiterin. Und nach dem Training geht kaum ein Spieler an ihm vorbei, ohne ihn zu begrüßen.
Das Trainerteam verweilt etwas länger, macht gute Miene zum geschäftigen Spiel. Schließlich ist Vier gekommen, um ihnen eventuell den Kapitän wegzunehmen. Manager Bruns sagt: „Ich habe in all den Jahren im Fußball gelernt: Jeder ist zu ersetzen. Aber wenn der Benny gehen würde, würde mich das persönlich treffen.“ Das erste Gespräch mit dem Kapitän haben Bruns und Dietz gemeinsam geführt, beim zweiten sitzen nur Sportvorstand und Spieler zusammen. Reichert bekommt – ebenso wie die anderen Stützen Falkenberg und Tim Kruse – eine lockere Frist von drei Wochen gesetzt. Solange sei das Vertragsangebot gültig.
Dietz hat seine Hausaufgaben gemacht, fährt anschließend in den Urlaub. Doch kurz nach dem Kaiserslautern-Spiel weiß Reichert immer noch nicht, was er machen soll. Tauscht er die Bodenständigkeit und die Freunde, die er in seiner Heimatstadt hat, gegen die sportliche Perspektive eines anderen, eines aufstrebenden Zweitligisten? Wohin wechselt jemand, der mit 25 Jahren den Status eines Charly Körbel besitzt? Und wechselt er überhaupt? Einer der Bosse sagt zuversichtlich: „In Oberhausen ist er bei den Mädels beliebt, außerdem ist er ein bisschen faul – was soll er woanders?“
Und dass Angelo Vier halt gerne etwas pokere. Bruns klagt derweil bei jeder Gelegenheit über sein erhitztes rechtes Ohr. Er spricht täglich mit mindestens 15 Spielervermittlern, kann sich kaum deren Namen merken. Bei den Gesprächen erlebt er manche Überraschung: Bevor Falkenberg seine Entscheidung, nach Fürth zu wechseln, offiziell mitteilt, werden Bruns bereits Nachfolger für ihn angeboten. Und wenn über diese Gerüchtebörse bezüglich des Augsburger Stürmers Imre Szabics ein monatliches Grundgehalt von 35 000 Euro kolportiert wird, fragt sich Oberhausens oberster Werteverwalter schon einmal: „Haben die noch alle auf der Latte?“
Jungs, wie habe ich das gemacht? – Mike Terranova erzählt den Kollegen nach dem Klassenerhalt noch einmal anschaulich, wie er zum 1:0 gegen den SC Freiburg einnetzte.
Er rechnet dann gerne schnell zusammen, dass fünf Augsburger Arbeitnehmer soviel verdienen wie hier der ganze Kader. Wenn ihm etwas in seiner Position als Manager übel aufstößt, dann sind das die alltäglichen Unsitten des Transfergeschäfts. Gerade hat er eine Schwarze Liste angelegt. Darauf stehen jene Spielerberater, die nicht mehr in Oberhausen anrufen dürfen. Einer, der dreimal aus dubiosen Gründen abgesagt hat, um jeweils mit anderen Klubs zu verhandeln, und der sich dann – kurz vor dem vierten Termin – von der Autobahn meldete („Wir sind gerade auf dem Weg zu Werder Bremen“), bekam bereits die volle Breitseite verpasst: „Jetzt pass mal auf! Egal was passiert, auch wenn du Ronaldinho für 5000 Euro im Monat hast, ruf mich nie wieder an!“
Im nächsten Jahr soll alles anders werden, radikal anders: Dann wird in Oberhausen jedem Spieler genau eine einzige Offerte unterbreitet, eine klar definierte zeitliche Frist gesetzt und dann kann sich der Spieler entscheiden, ob er bei RWO spielen will oder nicht. Darüber sind sich Vorstand und Manager einig. Was kurz nach Bruns’ Wutausbruch eintrudelt, ist die Zusage des Kapitäns. Benny Reichert ruft bei Dietz an und willigt endlich ein. Der Klub ist für ihn an seine monetären Grenzen gegangen. Mit Erfolg. Die Zusage kommt gerade rechtzeitig. Der Manager, in dieser Zeit ungewöhnlich schnell genervt, hatte nämlich fast schon wieder den Hörer in der Hand, um dem Kapitän mitzuteilen, dass er endgültig am Ende seiner Geduld sei bei diesem Vertragspoker. Selbst wenn ihm das persönlich besonders weh getan hätte! Hans Günter Bruns geht es – wie so oft – auch ums Prinzip.
„Ich erkenne den Kaya ja gar nicht mehr wieder“
Spielanalyse bei Turnvater Jahn
Luginger sitzt in seiner Trainerkabine. Es ist eine dieser Kabinen, in denen sich früher Schulklassen umgezogen haben, bevor es zu den Bundesjugendspielen ging, getrennt nach Geschlechtern. Etwa zehn kleine Jungs oder Mädchen mitsamt ihrer Turnbeutel fänden hier Platz. In der Mitte steht ein breiter Schreibtisch, an der Wand hängt ein Spielfeld der Firma „Top Coach“: mit elf roten und elf gelben Magneten. Eine weitere Magnetwand weist aus, welche Spieler derzeit im Training und welche abwesend oder verletzt sind. Der Fernseher hat höchstens ein Fünftel der Maße von Terranovas Heimkino und stammt aus einer Zeit, als Bruns noch unter Franz Beckenbauer in der Nationalelf auflief. Es riecht muffig, wie es in feuchten Umkleidekabinen nun einmal riecht.
Jeden Tag ziehen sich hier Trainer, Co-Trainer und Torwarttrainer gemeinsam um und suchen nach dem absolvierten Pensum die Nasszelle auf. Die sportliche Duftnote, die Luginger nach der heutigen Dusche aufgelegt hat, wirkt wie ein Raumerfrischer. Seine Mannschaft schien schon gerettet – dann folgte eine kraftlose Schwächeperiode, gekrönt von der Heimniederlage gegen Wehen-Wiesbaden, den abgeschlagenen Tabellenletzten. Was in diesem Spiel nicht gelang, muss am 33. Spieltag gegen Freiburg funktionieren. Die letzten Punkte müssen her. Im abschließenden Saisonspiel geht es nach Mainz!
Luginger ist mit der Spielvorbereitung beschäftigt, diesmal sind es vier Flipcharts, mit Filzstift handschriftlich beschrieben. Inhalt: die gegnerische Mannschaftsaufstellung, die taktische Formation, Dreier- oder Viererkette. Bei hünenhaften Gegenspielern ist mitunter auch die Körpergröße ausgewiesen. Achtung: kopfballstark. Wer den Trainer einmal beim Einrichten der einzelnen Stationen für ein Zirkeltraining beobachtet hat, der weiß, wie akribisch er sein kann. Im Trainingslager hatte sein Team den VfB Stuttgart eine Halbzeit lang an die Wand gespielt, zur Halbzeit 2:0 geführt. Es funktionierte alles, was er in den Tagen zuvor mit der Mannschaft eingeübt hatte.
Erst als am Ende munter ausgewechselt wurde und Bastürk und Simak die Fäden ziehen konnten, verlor man schließlich noch mit 2:3. Nach dem Spiel plauschte er von Jungtrainer zu Jungtrainer mit Markus Babbel, stellte sich dann den Fragen der drei mitgereisten Journalisten. Frage: „Es gibt ja viele Trainer, die im Trainingslager lieber verlieren…“ Antwort: „Was sind das für Trainer? Ich will immer gewinnen.“ Einer seiner größten Erfolge in dieser Saison ist, dass er einen Schlüsselspieler zurück in die Spur gebracht hat.
Der durstige Mann: Während im VIP-Zelt bereits gefeiert wird, kämpft Malocher Dimi Pappas um 90 Milliliter.
In der Hinrunde hatte er Markus Kaya kurzzeitig auf die Bank verbannt, weil er nicht gut trainierte. Kurz vor Saisonende sagt Kaya, ganz gelehriger Schüler: „Ich habe damals verstanden, dass ich Gas geben muss, dass ich in jedem Training und in jedem Testspiel zeigen muss, was ich kann.“ Mittlerweile ist er mit sieben Treffern der beste Torschütze der Oberhausener.
Er ist der Spieler, der auch im Spiel immer wieder mit den Kollegen spricht, ihnen weiterhilft, ein Erfolg der kontroversen Mannschaftssitzung nach dem fünften Spieltag. Während Terranova schreit, um die Mannschaft zum Erfolg zu bringen, bevorzugt Kaya mittlerweile die ruhige Ansprache. Ein Erstliga-Trainer ruft in diesen Tagen verwundert bei Luginger an und sagt: „Ich erkenne den Kaya ja gar nicht mehr wieder.“ Ein weiterer kluger Schachzug von Luginger war es, Oliver Adler, einst Kultspieler in Oberhausen, als Co-Trainer zurückzuholen.Er gilt intern bald als der beste Psychologe.