Ein Blick hinter die Kulissen: In der Saison 2008/2009 begleiteten wir den damaligen Zweitligisten Rot-Weiß Oberhausen auf Schritt und Tritt, erlebten Krisensitzungen, Vertragspoker und Kneipentouren mit den Spielern. Unser Saison-Tagebuch.
Der Nationalspieler
Niederlagen gegen Nürnberg und Rostock | Mitgliederkampagne „1904“ startet
Seit zweieinhalb Jahren tingelt RWO-Verteidiger Timo Uster als Lobbyist durch Oberhausen. Dietz baut ihn zum Marketingmann auf. Uster macht seinen Job, wie man es von ihm auf dem Platz gewohnt ist: überlegt, kompetent, intelligent. Im Gespräch streut er zwischendurch ein paar Fachausdrücke ein, die den Eindruck festigen, dass er „gut aufgestellt“ ist. Während andere Spieler vor allem für die eigene Zeit nach der Karriere planen, ist die Perspektive von Uster eng mit dem Klub verzahnt.
Bereits jetzt besitzt er ein eigenes Büro an der Landwehr, direkt neben dem des Pressesprechers. Er kümmert sich um die Mitgliederverwaltung. Während Terranova und Kaya auswärts in der Hotelbar ihr kleines Bier trinken, trifft man Uster alleine in der Lobby. Immer mit dabei: sein Laptop. Ein Kollege, der zufällig vorbei schlendert, ruft: „Timo, lebst du eigentlich noch? Wir sehen dich gar nicht mehr.“ Uster hat mit 34 Jahren sein Debüt in der zweiten Liga gefeiert, es war ein Geschenk des Himmels. Dass er noch einmal in dieser Spielklasse spielen würde, war so realistisch wie Lothar Matthäus als Bayerntrainer.
Er outet sich als Jünger der Glaubenslehre von Buddha Bruns, ist dankbar, im hohen Fußballeralter noch etwas gelernt zu haben. Während er mit Oberhausen von der vierten in die zweite Liga kletterte, hat er sich auf ein Abenteuer eingelassen. Als Ex-Profi Antoine Hey gambischer Nationaltrainer wurde, klingelte bei Uster eines Tages das Telefon. Seine Großeltern stammen aus Gambia. So reiste der Spätberufene während der Oberliga-Saison 2006/07 als Nominierter zu zwei Länderspielen, nach Luxemburg und Saudi-Arabien. Ein einmaliges Erlebnis, doch wegen der „Doppelbelastung“ trat er als Nationalspieler im Anschluss an die beiden Spiele gleich wieder zurück. Seine letzte Vertragsverlängerung hat er mit Dietz mündlich vereinbart. Nur weil die DFL irgendwann ein Schriftstück sehen wollte, wurde das Ganze dann doch noch schriftlich fixiert. Er sagt: „Ich hätte auch ohne Vertrag gespielt.“
Uster arbeitet gerade an einem Gutscheinheft für RWO-Mitglieder. Die aktuelle Mitgliederkampagne heißt: „Wir geben alles – für 1904 Mitglieder.“ 1904 ist das Gründungsjahr von Rot-Weiß Oberhausen. Zuletzt ist die Kampagne sehr erfolgreich gelaufen. Sehr erfolgreich heißt in Oberhausen, dass sie 60 neue Mitglieder brachte. Der aktuelle Zwischenstand liegt irgendwo zwischen 1100 und 1200. Das ist selbst in einer 220 000-Einwohner-Stadt reichlich wenig, wie Uster zugibt. Er gibt sowieso niemanden, der irgendwelchen Utopien hinterherläuft. Er sagt: „Irgendwann werden auch in Oberhausen die normalen Gesetze des Geschäfts greifen.“
Die Lümmel von der letzten Bank: der Mannschaftsbus als rollendes Casino.
Das Kaffeekränzchen
Der Geschäftsführer geht von Bord | Tricksereien mit der DFL
Das Theater von Hajo Sommers war früher ein Hallenbad. Wo einst vom Beckenrand gesprungen wurde, schwingt der Präsident heute selbst den Wischmopp und beseitigt die Spuren des Vorabends. Hinter der Theke hat er bereits Filterkaffee aufgesetzt, als der Manager um zehn Uhr die Bühne betritt. Sommers und Bruns treffen sich seit zweieinhalb Jahren vor jedem Heimspiel hier im Ebertbad, meistens zwei Tage vorher. Die Tagesordnungspunkte lauten: Kaffeetrinken unter dem Kronleuchter, herzliches Lästern über Vorstand und Aufsichtsrat sowie „Spieler in die Pfanne kloppen“.
Das Treffen ist also das Gegenteil einer trockenen Sitzung, ein ironischer Spruch jagt den nächsten und nichts dringt nach außen. Der Gastgeber nutzt die exklusive Gesprächssituation, um etwas über Fußball zu lernen. Er sagt: „Raute war für mich eigentlich immer ein Blatt aus der vierten Klasse.“ Während Sommers großzügig Kaffee nachschenkt, erzählt Bruns vom Spiel auf dem Betzenberg, von Spielsystemen und Jubelgesten. Sommers hat heute aber andere Probleme. Es gibt wieder einmal Stress mit den Frankfurtern. Die DFL hat den Klub gestern angeschrieben und gebeten, einmal zu erklären, wo denn der Geschäftsführer abgeblieben sei. Denn RWO-Geschäftsführer Gerd Kehrberg hat das Handtuch geworfen. Bereits im Februar sagte er: „Ich weiß nicht, ob ich hier noch gebraucht werde. Der Klub verträgt keine sechs Häuptlinge.“
Die Wahrheit ist: Er hatte nie eine Chance bei RWO. Die Vorstandsherren sind selbst viel zu sehr ins Tagesgeschäft verwickelt. Während der Saison bekommt man zu hören: „Wenn du den Kehrberg fragst, kannst du auch den Platzwart fragen.“ Der Mann, der ohnehin nur einen Honorarvertrag als externer Berater besessen hat, widmet sich längst einer neuen Geschäftsidee. Pünktlich zur WM 2010 hat er sich die Lizenz für die Vuvuzela gesichert, die afrikanische Plastiktrompete. Er wittert einen Erfolg ähnlich wie mit den Deutschland-Fähnchen zur WM 2006, will nicht weniger als zehn Millionen Trompeten für 27 Länder fertigen. Es scheint fast so, als wolle der vormals normalste RWO-Funktionär am Ende doch noch mit seinen schrulligen Ex-Kollegen konkurrieren. Präsident Sommers improvisiert.
Kurzerhand wird die Geschäftsstellenleiterin auf dem Papier befördert, zur „führenden Geschäftsstellenleiterin“. Ob die DFL diese Formulierung schlucken wird, steht auf einem anderen Blatt. In Oberhausen wird jedenfalls kein Geschäftsführer mehr eingestellt, zumindest solange Sommers und Kollegen das Sagen haben. Heute kommen die beiden Kaffeetanten, wie immer in bester Plauderlaune, plötzlich auf das Thema, wann die Führungscrew denn eigentlich zurücktreten müsse. Sommers zieht an seiner Selbstgedrehten und sagt: „Eigentlich müsste ich genau jetzt aufhören.“ Bruns schlägt vor: „Oder vielleicht sollten wir nächstes Jahr noch in die erste Liga aufsteigen. Dann haben wir es wirklich allen gezeigt, dann hören wir auf!“ Schallendes Gelächter.
Nachhilfe vor jedem Heimspiel: Hans-Günter Bruns und Hajo Sommers im Ebertbad.
„Der Klub verträgt keine sechs Häuptlinge“
Willkommen in Bennys Biotop!
Benny Reichert, der Kapitän von RWO, wohnt in einer ehemaligen Bergbaudirektoren-Villa, und äußerst verkehrsgünstig. Nur die Konrad-Adenauer-Allee trennt das elterliche Haus von Schloss Oberhausen, Kaisergarten und Stadion Niederrhein. Der Sohn ist mittlerweile 25 Jahre alt und lebt immer noch daheim. Seine Hobbys heißen: Fußball, Familie und „Counterstrike“.
Einst repräsentierte er die Speerspitze der bundesdeutschen Ego-Shooter-Szene, unter dem Pseudonym „Kane“. Sie waren ein Clan damals, wie das unter Elektrosportlern heißt, weltweit bekannt, weltweit unterwegs. Wenn man in der Saison 2008/09 das heimelige Domizil des Profis betritt, steht man sofort im geräumigen Wohnzimmer. Vater Reichert liest gerade den Sportteil der „Bild“-Zeitung, Mutter Reichert klebt Zeitungsartikel in ein Fotoalbum. Die kleine Bildergalerie, die entlang der Kellertreppe angebracht ist, beginnt mit einem Werbeplakat für ein RWO-Match. Motiv: der nackte Hintern des Präsidenten. Während der Kapitän die erste Etage bewohnt, leben zwei Mitspieler – Bennys Bruder Tim und Kim Falkenberg – in den Gartenhütten, die in ihrer Art an den Bungalow des Achtziger-Jahre-Ermittlers Magnum erinnern.
Falkenberg, vor der Saison aus Leverkusen an die Emscher gewechselt, hat seine „Ein-Zimmer-Laube mit Familienanschluss“ gar nicht erst für ein längeres Bleiben eingerichtet. Ein einzelner Bilderrahmen mit dem Foto seiner Freundin steht auf der Fensterbank. T‑Shirts und Socken liegen gewaschen, gefaltet und gestapelt auf dem Glastisch. Im Eingangsbereich hängt eine Kreidetafel, die an die nächsten Termine bei der Sportförderkompanie der Bundeswehr erinnert – und an ausstehende Prämien aus Leverkusen. Der U20-Nationalspieler, ein typischer Perspektivspieler der Marke Bruns, ist im Sommer als Nachmieter von Dimi Pappas eingezogen, der eine andere Wohnung gefunden hat. Pappas wohnt jetzt über dem RWO-Fan-Shop. Der Startvorteil für die temporären Untermieter in der Gartenkolonie liegen auf der Hand: Wer in der Spieler-WG lebt, ist schneller integriert. Reichert und Pappas teilten sich sogar den PKW: einen alten Mercedes-Benz.