Nach dem Abstieg und der Teilentmachtung von Langzeit-Investor Martin Kind steht Hannover 96 vor dem Neubeginn. Kann Coach Mirko Slomka die losen Enden zusammenführen, den Klub sportlich konsolidieren und damit die verfeindeten Lager in der Führung befrieden?
Rückblick
Am Ende hatte Hannover 96 den Hamburger SV endgültig als Lachnummer des deutschen Fußballs abgelöst. Nach Coach Andre Breitenreiter wurde auch Manager Horst Heldt entlassen – und beide büßten bei der Demission – auch wegen die Art und Weise, wie der Klub diese vollzog – mächtig Reputation ein. Nachfolgeübungsleiter Thomas Doll konnte nur feststellen, dass auf seinem Trainingsplatz zwar allerhand namhafte Profis trabten, ein intaktes Team mit dem unbedingten Willen, den Abstieg zu vereiteln, sich aus diesen aber nicht formen ließ. Die Konsequenz: der fünfte Bundesligaabstieg in der Geschichte von H96, zwei entlassene Trainer, ein demissionierter Sportdirektor – und unendlich Stoff für die Boulevardmedien.
Transfers
Der Neubeginn in der zweiten Liga erfolgt mit altbewährten Kräften: Der zurückgekehrte Coach Mirko Slomka, unter dem 96 zwischen 2010 und 2013 seine erfolgreichste Zeit in der Bundesliga erlebte, will Ruhe in die sportliche Arbeit bringen. Er will seinem Team einen attraktiven Offensivstil aufoktroyieren, auf den Rängen für neue Euphorie sorgen und so die verfeindeten Lager auf Führungsebene befrieden. Gemeinsam mit seinem Ex-Spieler, dem Sportdirektor-Azubi Jan Schlaudraff, sind ihm in der Vorbereitung einige beachtliche Transfers gelungen: Um die Torflaute des vergangenen Jahres zu beheben, kam Marvin Ducksch, Zweitligatorschützenkönig der Saison 2017/18, aus Düsseldorf und Cedric Teuchert wurde aus Schalke ausgeliehen. Mit Marcel Franke kommt ein Innenverteidiger, der in Norwich bereits zaghaft Premier-League-2-Erfahrung schnuppern durfte. Dazu mit Sebastian Jung ein weiterer Erstliga-Routinier für die Defensive. Sogar Ex-Nationalkeeper Ron-Robert Zieler zog es nach einem Kurzaufenthalt im Schwabenland zurück an die Leine. Und: Mit Marvin Bakalorz und Edgar Prib konnten Slomka und Schlaudraff auch zwei bewährte Stammkräfte, trotz des Abstiegs in Hannover zu verbleiben.
Boss-Level
Die Mitgliederversammlung im März markiert aus Sicht vieler Klubanhänger den Beginn einer neuen Zeitrechnung bei 96: Langzeit-Investor Martin Kind wurde als Vereinspräsident abgewählt und durch den Vertreter der Fan-Opposition Sebastian Kramer ersetzt. Darüber hinaus wurden vier weitere von der Initiative „Pro Verein 1896“ unterstützte Kandidaten in den Aufsichtsrat gewählt. Dennoch: Kind bleibt Geschäftsführer der Lizenzabteilung und niemand gibt sich der Illusion hin, dass er weiterhin auch in die Geschicke des Profifußballs aktiv eingreifen wird. Es bleibt allerdings abzuwarten, wie sich die veränderten Machtverhältnisse im Zweitligaalltag auswirken.
Umfeld
Durch die veränderte Kräfterelation im e.V. hoffen viele aktive Fans und Mitglieder, dass wieder Ruhe bei Hannover 96 einkehrt und nicht nur finanzstarke Investoren wie Martin Kind und Dirk Rossmann das öffentliche Bild prägen, sondern auch die Mitwirkung der treuen Gefolgschaft sichtbar wird, die sich mit selbstloser Hingabe seit jeher in den Dienst des Klubs stellt. Benjamin Wirtz, aktiver Fan und Vereinsmitglied, sagt über die Situation nach der Mitgliederversammlung: „Es ist, als hätte mir jemand zu dem dünner werdenden Band, das mich zuletzt mit 96 verband, ein Rettungsseil zugeworfen. Jetzt liegt es auch an uns aktiven Fans und Mitgliedern, wie wir uns engagieren.“ Es geht den Fans darum, mehr Mitspracherecht zu bekommen und durch verbesserte Transparenz in zentralen Fragen mehr Teilhabe an ihrem Klub zu erfahren, um beispielweise im leidigen Bestreben Kinds, eine Sondergenehmigung für die „50+1“-Regel zu bekommen, einen nachhaltigen Kompromiss zu erzielen, mit dem alle leben können. Trainer Mirko Slomka hat sich nach eigener Aussage zumindest auf die Fahne geschrieben, den „Dialog“ mit den Fans voranzubringen.
Trikot
Understatement rules. Wenn der Klub in der kommenden Saison so formschön, stilvoll und unaufdringlich auftritt, wie die neuen Jerseys designt sind, dürfte sich die Frage nach dem sofortigen Wiederaufstieg erübrigt haben. Dann klappt das! Denn eins ist sicher: Im Wettstreit mit den überhitzten Traditionsvereinen, die allesamt von der Angst getrieben sind, zur schnöden Fahrstuhlmannschaft zu verkommen, wird am Ende der triumphieren, der am coolsten bleibt!
11FREUNDE-Prognose
Das Gefühl, in der zweiten Liga ein richtiges Leben im Falschen zu führen, teilt Hannover 96 mit vielen Konkurrenten – allen voran dem Hamburger SV, dem VfB Stuttgart und dem „Club“. Emotionaler Vorteil für die Hannoveraner könnte sein, dass nach der Chaos-Saison 2018/19 der treue Anhang schon froh wäre, wenn der Klub sportlich einigermaßen mithält und sich nicht erneut der Lächerlichkeit Preis gibt. Wie das ehrgeizige Investoren sehen, steht auf einem anderen Blatt. Kurzum: Wenn es Slomka schafft, in diesem Spannungsfeld den Druck von der Mannschaft wegzuhalten, ist der Relegationsplatz durchaus im Bereich des Möglichen. Wenn nicht, driftet 96 ins Niemandsland der Zweitklassigkeit.