In Berlin kämpfen Dortmund und Leipzig um den DFB-Pokal. Und um etwas anderes, denn inzwischen ist dieses Aufeinandertreffen mehr als nur ein Spiel.
Es soll Fans von Borussia Dortmund geben, die vor drei Wochen ein seltsames Gefühl beschlich. Weil sie etwas Derartiges noch nie empfunden hatten, rätselten sie lange herum. Konnte es sein, dass …? War es vielleicht möglich …? Ja, sollte das am Ende gar so etwas wie … Mitleid sein? Mitleid mit Schalke 04?
Nein, Quatsch. Natürlich nicht. Als Schalkes Abstieg am 20. April feststand, war der Jubel in Dortmund (und auch in Lüdenscheid-Nord) groß und kam von Herzen. Allerdings mischte sich in die Feierlichkeiten gelegentlich ein Anflug von Nostalgie. Hier und da hörte man einen hingemurmelten Halbsatz. Etwa: „So ganz ohne Derby …“ Gerne gefolgt von: „Auch Kacke, wa?“
Das große Problem, wenn der Lieblingsfeind absteigt, besteht ja darin, dass eine Saison dann nahezu belanglos wirkt. Ohne die beiden Spiele, die man gewinnen muss oder wenigstens nicht verlieren sollte, fehlen die Koordinaten, mit deren Hilfe man bestimmt, ob es ein gutes oder ein schlechtes Jahr war.
Nun versucht man ja seit rund zehn Jahren, den Dortmundern einzureden, dass es für sie so eine Art Rivalität mit dem FC Bayern gibt. Worin die bestehen soll, ist weiterhin eher unklar, deswegen sind Spiele des BVB gegen den Rekordmeister nur für zwei Gruppen etwas Besonderes. Für die Medien, die sich daraus einen „Clásico“ basteln. Und für die Bayern-Fans, die ja sonst niemanden (mehr) haben, der ihr Blut in Wallung bringen könnte.
Daher steckt hinter dem Dortmunder Dialog – „So ganz ohne Derby …“ „Auch Kacke, wa?“ – im Grunde eine Furcht. Nämlich die Angst, ohne Schalke den Bayern ähnlich zu werden, die so emotionslos durch eine Saison treiben wie ein Eisberg, der es nicht einmal bemerkt, wenn er die Titanic aufschlitzt. Schließlich ist es ja durchaus möglich, dass S04 einen HSV macht und auf unabsehbare Zeit im Unterhaus verschwindet.
Doch die Sorge der Schwarz-Gelben ist unbegründet. Denn sie haben ja schon längst einen neuen Lieblingsfeind, man könnte durchaus sagen: ein neues Derby. Noch dazu eines, das seine Brisanz nicht allein aus sich selbst zieht. So geht es bei diesem neuen Derby zum Beispiel tatsächlich um Titel. In den meisten Jahren um die Vizemeisterschaft, also den Platz hinter den Bayern. Und nun sogar um den DFB-Pokal.
Dortmund gegen Leipzig als Derby? Obwohl die beiden Städte 400 Kilometer trennen? Nun, damit sind sie sich schon mal näher als Dortmund und München. Zudem hat das Duell BVB gegen RB eine Komponente, die viele bedeutende Derbys – von Hamburg bis Glasgow – auszeichnet, die dem Revierderby aber stets ein wenig abging. Die Rede ist natürlich von der Trennschärfe. Man darf das Dortmundern und Schalkern zwar niemals ins Gesicht sagen, aber das Ungewöhnliche an ihrer Unversöhnlichkeit war ja stets, dass sie einander so ähnlich sind.
Das kann man nun von Dortmund und Leipzig beim besten Willen nicht behaupten. Gut, man kann das von keinem deutschen Verein – nicht mal den üblichen Verdächtigen wie Hoffenheim, Leverkusen oder Wolfsburg – und Leipzig behaupten. Trotzdem ist der Graben zwischen Borussen und Bullen ganz offenkundig noch ein bisschen tiefer als der zwischen anderen Traditionsvereinen und der sächsischen Filiale des österreichischen Mutterkonzerns. Man denke nur an die Vorfälle, die dazu führten, dass vor vier Jahren die Südtribüne im Westfalenstadion für ein Spiel gesperrt wurde. Die einen haben diesen schrecklichen Anblick bis heute nicht vergessen, die anderen seinen Anlass.
Manche Leute finden es befremdlich, dass ausgerechnet der BVB so allergisch auf RB reagiert. Schließlich ist zumindest der äußeren Form nach kein deutscher Verein so durchkommerzialisiert wie die westfälische Kommanditgesellschaft, deren Aktien an der Börse gehandelt werden. Es ist auch der Verein, dessen Fans in den Neunzigern gerne sangen: „Wenn wir wollen, kaufen wir euch auf!“
Aber wahrscheinlich ist genau das der Grund, warum der Verein, dem ein Unternehmen gehört, so eine Aversion hat gegen das Unternehmen, das einen Verein gegründet hat. Bis heute gilt der Dortmunder Börsengang klubintern als leider nicht mehr umkehrbarer Sündenfall – als der Moment, in dem man sich von Finanzjongleuren blenden ließ und erst buchstäblich die Kontrolle verlor, dann um ein Haar sogar den ganzen Klub. Seither sind die Dortmunder Fans auf Exponenten des postmodernen Fußballs so schlecht zu sprechen wie sonst nur noch auf … äh, Schalker.
Womit wir wieder beim Duell wären, das vielleicht eines Tages als Bullenderby bezeichnet werden wird, schließlich liefert das männliche Hausrind nicht nur Taurin, sondern ist auch eines der beiden Symbole für die Börse. Zweimal hat der BVB in dieser Saison den neuen Rivalen aus Leipzig schon geschlagen (und dazu zweimal den alten aus Gelsenkirchen!). Doch man darf davon ausgehen, dass viele Fans die sechs Punkte in der Liga gerne gegen einen Sieg im Olympiastadion eintauschen würden. Und zwar gar nicht mal so sehr, weil man dann einen Titel hätte … sondern weil der Gegner keinen bekäme. So ist das halt bei einem richtigen Derby.