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Große Spieler werden in großen Spielen gemacht. In Spielen, nach denen Tro­phäen Rich­tung Olymp gereckt werden. In Spielen, von denen am Fol­getag welt­weit auf Titel­seiten berichtet wird. 

Der Bra­si­lianer Neymar da Silva Santos Júnior, genannt Neymar, ist ein sehr guter Spieler. Ein großer Spieler ist er nicht.

Dabei hat er, zumin­dest im Klub­fuß­ball und mit dem FC Bar­ce­lona, alles gewonnen: Die spa­ni­sche Liga, den spa­ni­schen Pokal, die Cham­pions League, den Welt­pokal. Er traf scheinbar nach Belieben (105 Tore in 186 Spielen, dazu 76 Vor­lagen) und har­mo­nierte prächtig mit Lionel Messi; nicht nur auf dem Rasen. Was ver­wun­dert, weil die beiden Cha­rak­tere so ver­schieden scheinen. Und weil ihm genau dieser Messi ein Dorn im Auge gewesen sein muss. Denn was bleibt nach all den Titeln? Was treibt Aus­nah­me­ath­leten an, ob sie Lewis Hamilton, Roger Federer oder Cris­tiano Ronaldo heißen? Der Hunger nach mehr.

Ein flie­gender Mensch

Und was konnte dieses Mehr noch sein bei Neymar? Bei einem, der schon mit 18 Jahren die größte Hoff­nung und der größte Star seines Hei­mat­landes war? Dem alles zuzu­fliegen, dem alles leicht zu fallen schien. Der mit einem Tänz­chen zu seinem Lieb­lings­lied den Charts-Sie­geszug eines Pop-Songs („Ai Se Eu Te Pego“) befeuern konnte. Der bald wusste, dass die Hälfte seiner Lands­männer von einem Tag auf den anderen ihre Fri­suren änderten, weil er es ihnen vor­machte.



Dem die Welt voller Liebe bei ein­fach allem zuschaute, weil es eine ganz eigene Kraft besitzt, wenn Men­schen zwi­schen Men­schen zu fliegen scheinen. Was kann so einen noch antreiben? Einzig die Eman­zi­pa­tion von Messi. Denn die Tri­umphe des FC Bar­ce­lona, sie trugen den Namen des Argen­ti­niers. Egal, wie gut Neymar auch spielte. Egal wie gut sie alle spielten. Am Ende war es immer Messi, der auf der Titel­seite stand. Also, so schien es, dachte sich dieser Neymar da Silva Santos Júnior: Ich muss es allein schaffen. Ohne ihn, ohne Messi.

Pflicht­auf­gabe und Traum

Ein erster Teil­erfolg für das Ego: der Titel für den teu­ersten Spieler der Welt. 222 Mil­lionen Euro. Der nächste Titel: Die fran­zö­si­sche Meis­ter­schaft mit Paris St. Ger­main. Ein Selbst­läufer. Nichts, womit welt­weit Schlag­zeilen zu machen sind. Nichts, womit man Neymar asso­zi­ieren würde. Nichts für den Nach­ruhm, eher eine Pflicht­auf­gabe. Der Cham­pions-League-Titel musste her. Mit Neymar als Messi, mit Neymar als Zug­pferd. Allein, so gut er auch spielte, und er spielte gut, PSG schei­terte in nun beiden Jahren, die er in Paris spielt, im Ach­tel­fi­nale.

In der ersten Saison, 2017/18, am spä­teren Sieger Real Madrid. Neymar fehlte im Rück­spiel, ver­letzt. Trainer Unay Emery musste anschlie­ßend gehen, auch wenn er eher ein Bauern-Opfer war: Ich weiß, wann ich die Haupt­rolle inne habe. Wann ich das Sagen in der Truppe habe und wann nicht. Bei PSG ist Neymar der Anführer. Meine Prio­rität war es, Neymar glück­lich zu machen – egal wie.“ Und auch wenn Neymar hin­terher nur lobende Worte für den Spa­nier übrig hatte: Jeder weiß, dass er ein wirk­lich groß­ar­tiger Trainer ist. Ich war wirk­lich glück­lich, mit ihm zu arbeiten.“

Doch auch für Emerys Nach­folger Thomas Tuchel hat Neymar ein Herz: Er ist lie­be­voll, weiß aber auch, wann es nötig ist, uns die Ohren lang zu ziehen. Er ist ein sehr ruhiger Mensch, der aber auch viel ver­langt. Er will immer das Beste für das Team und für jeden Spieler.“ Und er holte, zumin­dest schien es anfangs so, das Beste aus der Mann­schaft heraus. Auch, weil die Schick­sals­ge­mein­schaft Tuchel/​Neymar eine frucht­bare zu werden schien.

In der fran­zö­si­schen Meis­ter­schaft flog die Mann­schaft erneut auf Auto­pilot Rich­tung Titel­ver­tei­di­gung, und auch in der Grup­pen­phase der Cham­pions League lief es nach Wunsch. PSG qua­li­fi­zierte sich vor dem spä­teren Sieger Liver­pool und Ita­liens Vize­meister, dem SSC Neapel. Im Heim­spiel gegen die Reds, Ende November 2018, zeigte die Mann­schaft, was in ihr steckt. Mit spie­le­ri­scher Leich­tig­keit und einem glän­zend auf­ge­legten Neymar ließ sie die Pres­sing-Ver­suche der Reds ein ums andere Mal ins Leere laufen.



Fast schien es ein Klas­sen­un­ter­schied. Was sich über den FC Liver­pool der Saison 2018/19 sonst eher selten sagen ließ. Paris war ein ernst­hafter Anwärter auf die Königs­klasse und plötz­lich kam Neymar auch noch drei Tage früher aus dem Win­ter­ur­laub zurück in die fran­zö­si­sche Haupt­stadt. Jetzt schien alles mög­lich.

Danach ging es bergab

Dann folgte das Ach­tel­fi­nale gegen Man­chester United, wel­ches die Red Devils auf höh­ni­sche Art und Weise für sich ent­schieden. 3:1 in Paris. Drei Tor­schüsse, drei Tore. Ein selten däm­li­cher Hand­elf­meter in der 90. +4 Minute inklu­sive. Das 0:2 aus dem Hin­spiel? Nichts mehr wert. Neymar, in beiden Spielen ver­letzt, wütete danach auf Insta­gram gegen Schieds­richter Sko­mina, wurde anschlie­ßend gesperrt. Der Traum von der ganz großen Schlag­zeile, der Traum vom Gewinn der Cham­pions League, ohne Messi – aus­ge­träumt. Danach ging es bergab. Und aus dem einst so geliebten Son­nyboy wurde ein Buh­mann.

Die fran­zö­si­schen Fans, so schreiben die Stutt­garter Nach­richten“, erzürnt inzwi­schen nicht nur, dass die Leis­tungen des Bra­si­lia­ners nicht im Ver­hältnis zu seinem jähr­li­chen Gehalt von 36,8 Mil­lionen Euro steht. Der Welt­klas­se­spieler ist auch nie in Paris hei­misch geworden.“ Oder wie es der eng­li­sche Jour­na­list Tom Wil­liams bei SkySports“ sagte: Er hat sich auch nie wirk­lich bemüht. Er machte nicht immer den Ein­druck, zu 100 Pro­zent hinter dem ›Pro­jekt PSG‹ zu stehen und die Fans warten noch immer auf sein erstes Inter­view auf fran­zö­sisch.“

Tobias Käufer, Süd­ame­rika-Experte und 11FREUNDE-Autor, sagt: Neymar ist in Bra­si­lien immer noch unge­heuer populär. Aber es mehren sich die Stimmen unter den Fans, die ihm seine jüngsten Eska­paden ankreiden und ihm vor­werfen, er habe nur noch Geld und Frauen im Kopf.“

Bra­si­liens ewige Ikone Pelé meckert, er mache zu viele Sachen neben dem Fuß­ball, so könne er nichts gewinnen, nichts von wert. Aber wann meckerte Pelé eigent­lich nicht über die, die in seine Fuß­stapfen geschrieben wurden und die wirk­lich das Zeug dazu hatten? 

Natür­lich nervt Neymar, das thea­tra­li­sche Ver­halten auf und neben dem Platz. Zwar wird nie­mand so häufig gefoult wie er (3,4 Mal pro Spiel in der ver­gan­genen Ligue-1-Saison; der Wert bei Mario Balotelli etwa liegt exakt bei der Hälfte). Doch: Nie­mand macht daraus so ein schwer zu ertra­gendes Schau­spiel. Ist er ver­letzt, und er ist immer häu­figer ver­letzt jetzt, sieht man ihn mehr oder weniger öffent­lich Party machen oder im Live-Stream Fort­nite spielen.

Er teilt mit der Faust gegen einen Fan aus, Ver­ge­wal­ti­gungs­vor­würfe stehen im Raum. Er wehrt sich, macht alles öffent­lich, doch die Anschul­di­gungen bleiben an ihm kleben. Denn sie passen so gut ins Bild. Und das nicht von unge­fähr. Schon sein Wechsel zum FC Bar­ce­lona im Sommer 2013 war begleitet von krummen Deals, die über seinen Vater und an der Steuer vorbei gingen. Noch heute laufen ent­spre­chende Gerichts­ver­fahren. Fei­erte Ney­mars geliebte Schwester in der bra­si­lia­ni­schen Heimat Geburtstag, war er immer vor Ort. Stra­te­gisch geschickt ein­ge­fä­delte Gelb­sperren in La Liga sei Dank.

Lionel Messi, Cris­tiano Ronaldo – auch ihre Bio­gra­phien sind mit Schmutz über­zogen. Doch wäh­rend Lionel Messi jen­seits des Rasens (und von Steu­er­schulden) kaum öffent­lich statt­findet, und CR7 trotz Ver­ge­wal­ti­gungs­vor­würfen die Läu­te­rung vom schlei­migen Schön­ling zur Titel­hamster-Maschine längst gelungen ist, bleibt bei Neymar vor allem das Nega­tive über. 

Der Motor

Dabei ist er vor allem eines: eine Sen­sa­tion. Tostão, bra­si­lia­ni­scher Welt­meister von 1970, sagte unlängst im Inter­view mit der SZ“: Ich habe fast alle Spiele von Neymar gesehen: beim FC Santos, in Bar­ce­lona, in Paris, bei der Seleção. Fast immer ragte er heraus. (…) Er ist ein spek­ta­ku­lärer Spieler. Spek­ta­kulär! Spek-ta-ku-lär! Das sage ich bewußt drei Mal.“

Tom Wil­liams sagt: Er ist der ein­fluss­reichste Spieler von Paris. Mbappé mag viele Tore geschossen haben, aber es ist Neymar, der den Motor am Laufen hält.“



Und auch er trifft ja, weiter und immer weiter. In den ins­ge­samt 58 Spielen für Paris St. Ger­main war er an 80 Toren betei­ligt. In der Cham­pions-League-Saison 2018/19 stand die Quote bei sieben Scorer-Punkten in sechs Spielen. Und doch sind die Zahlen nichts im Ver­gleich zu dem, was man bestaunen kann, wenn man ihn spielen sieht. Wenn er wie im Cham­pions-League-Grup­pen­spiel gegen den FC Liver­pool durch die Reihen schwebt, als sei Gegen­pres­sing ein Kin­der­spiel.

Ein Flop? Mit­nichten

Wenn er allein und auf der größten Bühne, die der Klub­fuß­ball zu bieten hat, auf­leben lässt, was mal als Joga bonito“ die Welt begeis­terte und von bra­si­lia­ni­schen Mann­schaften nur noch homöo­pa­thisch dar­ge­boten wird. Wenn er kurz darauf doch wieder trifft, als sei sein Name ein Syn­onym für Effi­zienz.

Und doch reichte all das nicht, um zu erfüllen, was er sich, was Paris sich von seinem Wechsel nach Frank­reich erhoffte. Ein Flop war der Transfer den­noch nicht. Dank Neymar ist Paris in der Welt der Hyper-Klubs ange­kommen. Sie tragen sein Trikot von Rio bis Tokyo, vom Lauf­steg bis in die Favelas. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis PSG die Cham­pions League tat­säch­lich gewinnt.

Und trotzdem soll es jetzt zurück zum FC Bar­ce­lona gehen. Das Kind, das das nächste Level errei­chen wollte, hat keine Lust mehr, mehr zu wollen. Dann wird er eben nicht zum besten Spieler der Welt gekürt. Nicht asso­zi­iert mit einem der ganz großen Titel. Viel­leicht nicht einmal ein großer Spieler. Son­dern ein­fach nur glück­lich.