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Der 7. November 1981 ist ein großer Tag für Her­mann Rül­ander. Er darf zum ersten Mal in der Bun­des­liga spielen. Zwar nur 14 Minuten und auch nur, weil sich Wer­ders Stamm­keeper Dieter Bur­denski in der 76. Minute bei einem Zwei­kampf den Kiefer gebro­chen hat, doch das ist nun egal: Rül­ander schnup­pert gegen den 1. FC Köln Bun­des­li­g­aluft.
 
Die 14 Minuten ver­laufen ereig­nisarm, Rül­ander hält, was zu halten ist. Nur in der 89. Minute hat er keine Chance, der Ball kommt aus kurzer Ent­fer­nung, und Klaus Fischer hat ihn geschickt gegen die Lauf­rich­tung des Tor­hü­ters plat­ziert. 1:1, ein gewöhn­li­ches Bun­des­li­ga­spiel geht zu Ende, und Rül­ander weiß, dass er auch nächste Woche spielen wird, dieses Mal von Beginn an. Es ist die Chance seines Lebens.

Reh­hagel sagt: Her­mann Rül­ander hat nichts zu ver­lieren.“
 
Die Woche zwi­schen dem 7. und 14. November 1981 ver­läuft wie immer. So scheint es jeden­falls. Nur ein paar Jour­na­listen fragen, was denn mit Budde“ sei und ob ein 21-Jäh­riger Nach­wuchs­keeper den Stür­mern von Ein­tracht Frank­furt gewachsen sei. Otto Reh­hagel wischt ihre Sorgen weg: Her­mann Rül­ander hat nichts zu ver­lieren, son­dern die Chance ganz groß raus­zu­kommen.“
 
Doch wie sieht es in der Mann­schaft wirk­lich aus? Steht der Trainer tat­säch­lich hinter ihm? Die Mit­spieler? Was ist zum Bei­spiel mit Erwin Kos­tedde? Hat Wer­ders Stürmer wirk­lich gesagt: Wenn die Frank­furter wüssten, was wir für eine Gurke im Tor haben“? So jeden­falls erzählt es Rül­ander der FAZ ein paar Wochen später.
 
Am 14. November 1981 bli­cken im Wald­sta­dion 23.000 Zuschauer auf den Neuen im Tor von Werder Bremen. Rül­ander lässt sich zunächst nichts anmerken, sein Team geht sogar mit 1:0 in Füh­rung. Durch­atmen. Locker machen. Ein biss­chen am Straf­raum auf und ab gehen. Wird schon. Irgendwie. Noch 80 Minuten.
 
Das Unheil kün­digt sich langsam an. Wenige Minuten nach der Bremer Füh­rung schleu­dert Rül­ander einen Abwurf bei­nahe ins eigene Netz. Viel­leicht merkt er zu diesem Zeit­punkt, wie das Sta­dion, die Gegen­spieler und das Tor und immer größer werden. Viel­leicht denkt er in diesen Minuten an den Satz von Erwin Kos­tedde.

Was war das? Ein Fehler? Sein Fehler?
 
Es ist nichts mehr zu retten. In der 20. Minute legt er sich eine Ecke von Bernd Nickel zum 1:1 ins eigene Tor. Was war das? Ein Fehler? Sein Fehler? Wo war der Ball? Der Jubel im Wald­sta­dion ist laut, die Blicke seiner Mit­spieler könnten töten, und der Tor­wart steht einsam zwi­schen seinen Pfosten.
 
Es wird nicht besser. Im Gegen­teil: Es folgt ein lupen­reiner Hat­trick des Frank­fur­ters Ronald Bor­chers, der bis zu dem Zeit­punkt noch nie mehr als fünf Sai­son­tore geschossen hat. Zur Pause steht es bereits 1:4, und Rül­ander weiß, dass Reh­hagel inner­lich kocht.
 
In der zweiten Halb­zeit kas­siert Rül­ander wei­tere drei Tore. Ein zag­hafter Blick zum Trainer, die Gedanken irgendwo anders. Viel­leicht bei den Eltern, den Geschwis­tern, irgendwo im Klos­ter­moor, süd­lich von Leer im Ober­le­dinger Land, dort, wo alles klein und gemüt­lich ist. Platz­deck­chen, Rog­gen­felder und der Geruch von Apfel­ku­chen. Im Wald­sta­dion peit­schen die Fans ihre Ein­tracht nach vorne, sie wollen mehr, sie wollen Zeuge der höchsten Bun­des­li­ga­nie­der­lage von Werder Bremen werden.
 
In der 78. Minute hat Otto Reh­hagel genug gesehen, er nimmt Rül­ander vom Feld und bringt für ihn Ama­teur­keeper Robert Freese, der noch zwei wei­tere Tore kas­siert. Am Ende steht es 2:9, doch das Ergebnis ist bei­nahe neben­säch­lich, denn die Reporter stürzen sich nun auf den bemit­lei­dens­werten Tor­hüter des SV Werder Bremen.

Rül­ander hofft aufs nächste Mal
 
Der Kicker“ ist zwar in seinem Spiel­er­zeugnis gnädig – Rül­ander erhält die Note 5 –, aller­dings ver­öf­fent­licht die Zei­tung neben dem Spiel­be­richt noch einen Kom­mentar. Dort ist dies zu lesen: Dass sich die Frank­furter in einen phan­tas­ti­schen Spiel­rausch brachten, war zu großen Teilen Rül­anders Ver­dienst.“ Oder das: Man darf bei diesem Debakel nicht den Anteil vom ner­vösen Ersatz­manns Rül­ander ver­gessen, der seine Vor­der­leute völlig durch­ein­ander brachte.“ Otto Reh­hagel denkt da schon weiter. Er sagt: Wir müssen drin­gend über die Ver­pflich­tung eines zweiten Tor­hü­ters beraten.“ Und Rül­ander? Der hofft noch: Ich brauche noch Zeit und Erfah­rung. Viel­leicht geht es beim nächsten Mal besser.“
 
Zu einem nächsten Mal kommt es aller­dings nicht. Rül­ander macht nie wieder ein Bun­des­li­ga­spiel. Der NDR berichtet viele Jahre später, dass der Tor­wart vor dem Spiel einen Auto­un­fall hatte und des­wegen alle Bälle dop­pelt sah, die auf sein Tor kamen. Erzählt hat Rül­ander davon nie­mandem, er wollte die Chance seines Lebens nicht ver­strei­chen lassen.

Der Fuß­ball kennt in diesen Tagen keine Gnade. Die Reporter bela­gern Rül­ander mit ihren Notiz­blö­cken, Otto Reh­hagel stellt ihn im Trai­ning zur Strafe als Ver­tei­diger auf, beim Tor­schuss­trai­ning muss Rül­ander Bälle schießen – halten darf er sie nicht.
 
Zwei Wochen später löst er seinen Ver­trag auf. Dabei hatte ihm Dieter Bur­denski noch gedroht: Wenn du das machst, trete ich dir in den Hin­tern!“ Die Funk­tio­näre sehen es anders. Willi Lemke soll ihm sogar einen Scheck von 50.000 Mark gegeben haben, damit er seine Koffer packt. Plötz­lich steht der Tor­hüter, der angeb­lich nichts zu ver­lieren hatte, ohne Verein da.

Bald ist er ver­gessen – zumin­dest in der Bun­des­liga
 
Rül­ander fährt heim nach Klos­ter­moor. Er ver­bringt die nächsten Tage bei seiner Familie. End­lich durch­atmen, locker machen, raus aus dem Licht. Bald wird er ver­gessen, von den Fans und Repor­tern, vom Fuß­ball. Andere Tor­hüter erzählen neue und auf­re­gen­dere Geschichten, Dieter Bur­denski kehrt ins Werder-Tor zurück, Toni Schu­ma­cher foult Patrick Batiston und Uli Stein fliegt aus der Natio­nal­mann­schaft.
 
Und trotzdem ver­folgt Rül­ander der 14. November 1981 bis heute. Als er einmal Bernd Nickel, jenen Spieler, der ihm damals das erste Tor ein­schenkte, beim gemein­samen Golf­spielen trifft, sagt Rül­ander: Wuss­test du, dass du meine Kar­riere zer­stört hast?“ Ein anderes Mal unter­hält er sich mit Andreas Möller, der ihn eben­falls auf dieses Spiel anspricht. Rül­ander ist irri­tiert. War Möller auch dabei? Er war doch viel zu jung. Nein, natür­lich nicht“, sagt Möller da. Ich war damals Ball­junge im Wald­sta­dion.“

Ich stehe jeden Tag um 7 Uhr auf und trai­niere!“
 
Kaum jemand spricht über das Leben nach den Toren in Frank­furt. Dabei legt er abseits der großen Bun­des­liga-Spot­lights fast unbe­merkt eine große Kar­riere beim SV Meppen hin. Der dama­lige Trainer Heinz Dieter Schmidt ist im Früh­jahr 1982 einer der wenigen, die Rül­ander nicht auf die sieben Gegen­tore redu­zieren. So einen jungen Bur­schen, der jah­re­lang bei den Werder-Ama­teuren ein sehr guter Tor­wart war, darf man nicht an einem ver­patzten Tag messen.“ Rül­ander strotzt vor Moti­va­tion. Er ver­drängt rasch den bis­he­rigen Stamm­keeper Hubert Koop­mann und jubelt: Ich stehe jeden Tag um 7 Uhr auf und trai­niere!“
 
Für den nie­der­säch­si­schen Ober­li­gisten bestreitet er bis 1992 über 250 Spiele, 1987 steigt er mit Meppen sogar in die 2. Bun­des­liga auf. Die Fans lieben ihn, und Ruländer hält an man­chen Tagen wirk­lich fan­tas­tisch. 2012 wird er sogar für die Wahl zur Mann­schaft des Jahr­hun­derts“ nomi­niert.
 
Nach seiner Fuß­ball­kar­riere arbei­tete Rül­ander als Ver­si­che­rungs­makler in Papen­burg. Doch immer noch fragen ihn Reporter, wie das damals war, am 14. November 1981. Rül­ander sieht all das mitt­ler­weile ziem­lich gelassen. Der Neuen Osna­brü­cker Zei­tung“ erzählte er einmal eine nette Anek­dote: Jedes Jahr am 14. November schaut er sich die Partie Ein­tracht Frank­furt gegen Werder Bremen vom 14. November 1981 an, die vollen 90 Minuten. Er sitzt dann gemüt­lich auf der Couch, trinkt ein Glas Wein, und er denkt jedes Mal: Das erste und das dritte hätte ich ver­hin­dern müssen. Die anderen waren Traum­tore.“