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Viel­leicht sind sich Fuß­ball­fans und Anhänger von Rosa­munde-Pilcher-Filmen ähn­li­cher als sie zuzu­geben bereit wären. Beide mögen es, unter­halten zu werden. Beide lieben den Kitsch. Und beide lieben klare Rol­len­ver­tei­lungen. Die Guten, das sind bei Rosa­munde Pilcher die auf­rechten und edlen Ärzte und Rosen­züchter, die tapfer um das Herz ihrer plötz­lich wieder auf­ge­tauchten Jugend­liebe kämpfen. Die Bösen, das sind die intri­ganten Stief­schwes­tern und ruch­losen Onkel, die nur ihren eigenen Erfolg im Blick haben und das junge Glück zu tor­pe­dieren zu ver­su­chen.

Die Guten, das waren im Cham­pions-League-Vier­tel­fi­nale am Mitt­woch­abend die Spieler von Ata­lanta Ber­gamo. Gekommen aus einer Stadt, die wie nur wenige andere vom Coro­na­virus gebeu­telt ist, hatten sie sich in dieser Saison auf­ge­macht, die Herzen der Fuß­ball­fans zu erobern. Mit begeis­terndem Offen­siv­fuß­ball. Mit Spie­lern, die anderswo schon geschei­tert waren. Spieler mit Profil. Drauf­gänger wie Robin Gosens, Spaß­vögel wie Marten de Roon oder Papu Gomez. Mit Fans, die dabei halfen, mitten in der Stadt ein Kran­ken­haus aus dem Boden zu stampfen, als die Pan­demie am hef­tigsten wütete. 

Gut gegen Böse

Der Böse­wicht, das war an diesem Abend Paris Saint-Ger­main. Finan­ziert von Mächten aus Katar, der Kader künst­lich auf­ge­pimpt durch aber­wit­zige Mil­lio­nen­trans­fers wie Kylian Mbappé (145 Mil­lionen Euro) oder Neymar (222 Mil­lionen Euro). Ins­be­son­dere Letz­terer geht vielen Fuß­ball­fans mitt­ler­weile gehörig auf den Geist, weil er gerade auf inter­na­tio­naler Bühne gerne zeigt, dass er die zuweilen etwas höl­zernen Schau­spiel-Dar­bie­tungen in den Pilcher-Ver­fil­mungen pro­blemlos über­bieten kann.

Jener Neymar war es dann auch, der in der Epi­sode vom Mitt­woch­abend eine Son­der­rolle ein­nehmen sollte. Zwar gelang es ihm wäh­rend des Spiels immer wieder, sich mit Dribb­lings seiner Gegen­spieler zu ent­le­digen (16 erfolg­reiche Dribb­lings, Rekord in dieser Cham­pions-League-Saison). Doch vor dem Tor schei­terte er wie­der­holt in fast schon gro­tesker Art und Weise.

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Mario Pašalić und seine Kol­legen feiern das 1:0.

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Auf der anderen Seite hin­gegen schlenzte Mario Pašalić den Außen­seiter aus Ber­gamo lässig in Füh­rung. Alles lief nach Dreh­buch. Alles lief tat­säch­lich darauf hinaus, dass Ata­lanta bei der ersten Cham­pions-League-Teil­nahme über­haupt ins Halb­fi­nale ein­dringen würde. Selbst als PSG in der zweiten Halb­zeit den Druck mehr und mehr erhöhte: Die wackeren Kämpfer aus der Lom­bardei stemmten sich dagegen mit allem was sie hatten, sie liefen, so weit sie ihre müden Füße trugen.

Doch dann kam die 90. Minute. Dann kam Eric Maxim Choupo-Moting.

Erst wenige Minuten zuvor hatte Thomas Tuchel den Stürmer ein­ge­wech­selt. Und nun, in der letzten Minute der regu­lären Spiel­zeit schlug dieser mitt­ler­weile auch schon 31-jäh­rige Teil­zeit­ar­beiter eine Flanke aus dem Halb­feld. Neymar legte quer, Mar­quinhos voll­endete, Paris blieb am Leben.

Doch den Regis­seuren dieses Abends war das noch lange nicht genug. Nur drei Minuten später war es erneut Neymar, der mit einem per­fekt dosierten Pass den eben­falls ein­ge­wech­selten Mbappé in Szene setze. Und der sah in der Mitte: natür­lich Eric Maxim Choupo-Moting. Der Stürmer brauchte den Ball nur noch über die Linie drü­cken, um zum Helden von ganz Paris zu werden.

Eine gute Geschichte

Und weil Fuß­ball­fans wie Medien eben auf gute Geschichten stehen, sind die Zei­tungen und das Internet an diesem Mitt­woch voll mit Geschichten über Eric Maxim Choupo-Moting. Über einen, der mal ein ziem­lich hoff­nungs­volles Talent war, der aber bei seinen bis­he­rigen sechs Sta­tionen im Pro­fi­fuß­ball nie wirk­lich nach­haltig über­zeugte, sodass er stets ablö­se­frei zum nächsten Verein zog. Natür­lich erzählen sie noch einmal die Geschichte mit dem Fax­gerät, die Choupo-Moting immer ein biss­chen blöde dastehen lässt, obwohl er selbst dafür gar nichts kann. Sie erzählen aber auch, wie Thomas Tuchel den Stürmer nach dem Pre­mier-League-Abstieg mit Stoke City im Sommer 2018 nach Paris holte, weil er ihn schon aus gemein­samen Mainzer Zeiten kennt und eben weiß, was er an ihm hat: einen zuver­läs­sigen Back-up, groß gewachsen, phy­sisch aber auch tech­nisch stark. Dessen Ver­trag bei PSG eigent­lich schon aus­ge­laufen war und der nur in den Cham­pions-League-Kader rückte, weil Edinson Cavani keine Lust mehr hatte. Und der nun dafür sorgte, dass die Cham­pions-League-Tro­phäe, seit dem Ein­stieg der kata­ri­schen Inves­toren oberstes Ziel, erst­mals auch tat­säch­lich in greif­bare Nähe rückt.

Dabei hatten die Finan­ziers doch eigent­lich Neymar oder Mbappé für diese Rolle vor­ge­sehen, allein schon um die mons­trösen Ablösen irgendwie zu recht­fer­tigen. Doch den beiden Königs­trans­fers blieb in dieser 93. Minute nichts anderes übrig, als freu­de­strah­lend auf einen 31-Jäh­rigen zuzu­stürmen, der das Fuß­ball­spielen beim FC Teu­tonia 05 Ottensen begonnen hatte, und diesen zu seiner Hel­dentat zu beglück­wün­schen.

Neymar applau­diert artig

Der Bra­si­lianer Neymar, immerhin auch maß­geb­lich an beiden Toren betei­ligt, spielte auch dem Schluss­pfiff beim Rol­len­wechsel weiter artig mit. Die Aus­zeich­nung für den Spieler des Spiels“ reichte er sogleich an Choupo-Moting weiter. Und sogar die Sport­zei­tung L’Equipe, die eine unglück­liche Aktion des Stür­mers mal als schlimmsten Fehl­schlag in der Geschichte“ bezeichnet hatte, kroch zu Kreuze und schlag­zeilte am Don­ners­tag­morgen: Cha­peau Moting!“

Ein biss­chen schade ist es ja schon um die Geschichte von Ata­lanta Ber­gamo. Denn auch sie hätte ein kit­schiges Happy End ver­dient. Aber, und das wusste schon Rosa­munde Pilcher, die Leute haben eben eine ganz beson­dere Vor­liebe für per­sön­liche Schick­sale. Und so erfreuen sie sich heute eben an der Hel­den­ge­schichte von Eric Maxim Choupo-Moting. Oder um es mit den Worten der Schrift­stel­lerin zu sagen: Das Leben anderer Men­schen ist immer fas­zi­nie­rend.“