Für unseren Kollegen Christoph Biermann fing die Saison mit einem schönen Moment an. Danach machte er einen Fehler, und alles ging schief. Der letzte Teil unserer Serie „Mein Moment der Saison“.
Der 21. Juni des letzten Jahres fiel auf einen Sonntag und war ein herrlicher Sommertag. Die Sonne schien, es war warm, aber nicht zu heiß, und die Alte Försterei, wo sich sowieso immer wunderbar Fußball schauen lässt, brummte voller Vorfreude auf den Saisonbeginn. Zu Gast war der VfL Bochum, der die schlechteste Spielzeit, die ich mit dem Verein jemals erlebt hatte, von Anfang an vergessen lassen wollte. Es gab auf beiden Seiten die üblichen neuen Spieler und frischen Hoffnungen, dass diesmal alles besser werden würde. Und nach gut einer Stunde galt das erst einmal für den VfL Bochum.
Einer dieser Neuen, Danny Latza, schoss aus 25 Metern ein Traumtor. Überhaupt sah das gut aus, was Neururers Mannschaft da machte. Und Glück hatte sie auch noch. Vier Minuten vor Ende schoss Union zwar den Ausgleich, doch kurz danach sprang einem Berliner der Ball im eigenen Strafraum der Ball an die Hand. Den Elfmeter verwandelte das Urgestein Marcel Maltritz, und der VfL Bochum hatte gewonnen.
„Das wird eine gute Saison!“
Ich will nicht sagen, dass ich beseelt war, aber glücklich war ich schon. Ein schöner Tag, ein gutes Spiel, ein Sieg bei einer Mannschaft, die als Geheimfavorit auf den Aufstieg galt, was konnte ich zu Beginn einer Saison mehr wollen. Doch dann machte ich einen Fehler. Einen schlimmen Fehler. Auf dem Weg nach Hause verkündete ich: „Das wird eine gute Saison.“
Fußball lebt auch vom andauernden Voraussagewesen. Ständig behaupten wir zu wissen, wer das nächste Spiel gewinnt, wer am Ende der Saison Meister sein wird und wer absteigt. Wir verkünden, welcher Trainer was taugt, welcher Spieler vor einer großen Karriere steht und wer in Wirklichkeit ein schlimmer Stolpervogel ist. Dann behaupten unsere Freunde das Gegenteil, und wir können lustvoll stundenlang darüber debattieren. Bis sich das eine oder andere bestätigt, haben wir unsere Prophezeiungen meist sowieso schon wieder vergessen. Es gibt in der Psychologie sogar einen schönen Fachbegriff dafür, hindsight bias, auf Deutsch: Rückschaufehler. Er besagt, dass wir uns beim Eintreten eines Ereignisses nicht mehr daran erinnern, dass wir etwas anderes vorausgesagt haben.
Was wurde eigentlich aus Marco Marin?
Leider ist mir dieses Vergessen nicht gegeben. Und ich werde hier auch den Namen des Kollegen nicht nennen, bei dem das vielleicht anders ist und der für 11FREUNDE unbedingt eine Geschichte über Marco Marin beim FC Sevilla machen wollte, weil der kleine Dribbler im spanischen Fußball endlich richtig aufgehoben sei und folglich groß herauskommen würde. Dieser Tage schickte Sevilla den dort gescheiterten Marin wieder zum FC Chelsea zurück.
Lieber werfe ich selber mit Steinen aus dem Glashaus, denn diese Saison habe ich mir seit jenem ersten Spieltag der Zweiten Liga einen Kram zusammenprognostiziert, den man eigentlich niemandem verraten darf. Der schöne Saisonstart des VfL Bochum wurde nämlich zur siebten Saison in Folge, in der die blau-weißen Götter von der Castroper Straße schlechter abschlossen als in der zuvor. (Und Latza hatte am ersten Spieltag auch schon die Hälfte seiner beiden Saisontore geschossen.) In diesem Fall könnte man vielleicht noch auf mildernde Umstände plädieren, weil Liebe blind macht. Und zumindest sagte ich richtig voraus, dass in der Bundesliga die Bayern Erster, und Braunschweig Letzter würde. Aber dafür brauchte man nun wirklich kein Fußballabitur.
Aber welches andere Selbst von mir war eigentlich auf die Idee gekommen, den Hamburger SV vor der Saison als Tabellendritten zu sehen und Hannover als Vorletzten, wie ich zu meinem völligen Entsetzen auf dem Tippzettel vom letzten Sommer sehen musste. Ich kann das jedenfalls nicht gewesen sein, auch wenn ich nach dem Start der Rückrunde und meinem Besuch des 0:3 des HSV gegen Schalke nun lautstark behauptete: „Der HSV steigt ab!“
Arminia Bielefeld: „Tolle Kämpfertruppe!“
Dafür war ich völlig überzeugt davon, dass der 1.FC Nürnberg mit Gertjan Verbeek auf dem richtigen Weg war. Real Madrid würde wegen seiner schlechten Defensive natürlich nicht die Champions League gewinnen. Und nach Dortmunds 0:2 im Viertelfinale der Champions League in Madrid war für mich klar, dass Fußball auf diesem Niveau für einen gewissen Erik Durm eine Nummer zu groß war. Jogi Löw hat mein Urteil nicht beeindruckt. Der SC Paderborn wiederum ließ sich von meinen Zweifeln („Keine Ahnung, warum die immer gewinnen“) nicht auf dem Weg in die Bundesliga stoppen und Arminia Bielefeld („tolle Kämpfertruppe“) nicht in die Dritte Liga.
Nach diesem Prophezeiungsdesaster steht fest: Sollte dem VfL Bochum in der nächsten Saison an einem schönen Sonnentag mal wieder eine gute Leistung und ein beglückender Sieg gelingen, werde ich daraus keine Schlüsse ziehen. Ich werde vollbuddhistisch nicht zurück in die Vergangenheit schauen und schon gar nicht in die Zukunft, sondern einfach nur den Moment genießen. Wer weiß schon, wann der nächste kommt. Ansonsten bleibe ich vorsichtig: Honduras wird nicht Weltmeister – wahrscheinlich.