Vor 25 Jahren begann eine neue Ära, die heute als „moderner Fußball“ gefeiert und geschmäht wird. Aber was ist 1992 eigentlich passiert?
„Es hat sich im Fußball kaum jemand richtig Gedanken darüber gemacht, was dadurch passieren würde, dass viel mehr Geld vom Fernsehen kam“, sagt Holzhäuser und erzählt von der ersten Managertagung nach dem Start von „ran“. „Da haben empörte Stimmen protestiert, dass es doch nicht sein könne, dass die Spieler sofort befragt würden und sich nicht erst einmal in der Kabine beruhigen dürften.“ Es habe sogar Forderungen nach „gefönten Interviews“ gegeben, die Spieler also erst frisch geduscht befragen zu lassen. Auch viele Fernseh- und Kulturkritiker hatten für den neuen Fernsehfußball nur Verachtung. „›ran‹ schleppt mehr Zierrat mit sich herum als eine Kokotte aus Hollywood, lauter Fußball-Kitsch und vorgetäuschter Fußball-Tiefgang“, echauffierte sich die Zeitschrift „Sports“. Die „Süddeutsche Zeitung“ knurrte über „in Reklameprogramme eingeschnürte Bundesligastrips“.
„Gegen den modernen Fußball“
„Ist es nicht göttlich, dass daraus eine richtige Kulturdebatte entstanden ist“, sagt Beckmann heute. Doch darin ging es bald um mehr als rote Jeansjacken oder die Frage, ob Statistiken beim Fußball nerven. Ab der zweiten Saison von „ran“ wurden regelmäßig ein Bundesligaspiel sonntags ausgetragen und ein Zweitligaspiel live am Montagabend im neuen DSF gezeigt. Das provozierte die erste Protestwelle gegen den Einfluss des Fernsehens, weil viele Fans ihrem Team am Wochentag kaum noch nachreisen konnten. Von da an gärte es in den Kurven, und als 1999 das Manifest der Ultras des AS Rom erschien, gab es eine Kampfparole: „Gegen den modernen Fußball“. Auch wenn der Begriff, der in den meisten Kurven auf Transparenten steht, bis heute vage geblieben sein mag, so zielte er auf einen Fußball, der deutlicher als je zuvor von wirtschaftlichen Überlegungen getrieben war. Das galt für die Spieler, denen ungeahnter Reichtum winkte, die wachsende Zahl ihrer Berater, Vermarktungsagenturen, Rechtehändler und die Klubs selbst. Denn es entstand vor 20 Jahren das, was in England „football industry“ genannt wird.
Im Herbst 1992 erschien „Der gezähmte Fußball“ von Dietrich Schulze-Marmeling. Der Untertitel des Buchs, „Zur Geschichte eines subversiven Sports“, brachte die Interpretation des Fußballs als proletarisch-struppige und insgeheim widerständige Kultur auf den Punkt. Das Timing war gut, denn offensichtlich ging diese Geschichte gerade vorbei. Der Fußball bekam ein neues Aroma, das er bis heute nicht verloren hat und das noch immer auch bitter durchschmeckt. Weil mehr Geld da war, ging es mehr um Geld, 1992 war da erst der Anfang.
Mehr Fernsehen, mehr Geld und mehr Gier
Wie hart die Verteilungskämpfe ausgetragen wurden, zeigt die Gründung der englischen Premier League, die ebenfalls 1992/93 ihre erste Saison spielte. Sie war letztlich die Aufkündigung eines 100 Jahre alten Solidarpakts der 92 englischen Profiklubs. Angetrieben von den Big Five, zu denen damals Manchester United, der FC Liverpool, FC Arsenal, der FC Everton und Tottenham Hotspur gehörten, spaltete sich die erste Liga ab, um mehr vom größeren Kuchen zu bekommen. Zur gleichen Zeit entzogen sich die Klubbesitzer den alten Kontrollmechanismen, die bewirkt hatten, dass man mit Vereinen nicht wirklich Geld verdienen konnte. Englische Klubs wurden zu Spekulationsobjekten.
Doch trotz der vielen Bitterstoffe erfüllte sich die düsterste Prophezeiung aller Skeptiker nicht. Mehr Fernsehen, mehr Geld und Gier, mehr Regulierung auf den Rängen und schwindende Loyalität der Spieler haben den Fußball nicht zerstört. Auch nicht, dass Kicker zu Celebrities wurden, was der größte Fußballer jener Tage, Lothar Matthäus, durch die Ehe mit der schweizerischen Fernsehmoderatorin Lolita Morena begann. Im Gegenteil: Nie war Fußball so groß wie heute. Nie waren die Stadien so voll. Nie hat der Fußball ein so großes Publikum erreicht. Nicht mehr nur Männer, sondern auch Frauen. Nicht mehr nur Arbeiter und kleine Leute, sondern alle.