Vor 25 Jahren begann eine neue Ära, die heute als „moderner Fußball“ gefeiert und geschmäht wird. Aber was ist 1992 eigentlich passiert?
Im Nachhinein wirkt alles wie ein großer Plan, den Fußball auf immer zu verändern und ihn in ein neues Zeitalter zu führen, doch schon die Sache mit der roten Jeansjacke war ein Zufall. Nur wollte das schon damals niemand glauben, denn Reinhold Beckmann hatte vor der ersten Sendung von „ran“ nicht weniger als eine „Kulturrevolution“ angekündigt, die Sat.1 mit dem etwas kryptischen Slogan „Mehr Fußball pro Auge“ in Anzeigen beworben hatte.
Die rote Jacke war nur ein Zufall
Und nun stand der damals 36 Jahre alte Beckmann am 15. August 1992 zum ersten Mal samstags in einem für damalige Verhältnisse reichlich seltsamen Fernsehstudio, das man sich als eine Mischung aus Baustelle und Raumschiff mit Stadionbestuhlung vorstellen muss, und trug eine rote Jeansjacke. Auf dem Gang seiner Produktionsfirma in Hamburg-Eppendorf hängt noch so eine verloren an der Garderobe. „Nicht das Original“, sagt Beckmann. In den Tagen nach der ersten Sendung war nicht nur über diese rote Jeansjacke geredet worden, sie wurde anschließend als Merchandiseartikel sogar zum Renner. Dabei war es „reiner Zufall“, sagt Beckmann, dass er sie damals überhaupt trug. Er hatte sie nachmittags bei den Proben angehabt, und als die Frage aufkam, was er abends tragen sollte, hatte die Artdirektorin gesagt, er solle sie einfach anlassen.
Doch die rote Jeansjacke sagte deutlicher als die Kran-Kameras hinterm Tor, die Superzeitlupe und die Interviews mit verschwitzten Spielern direkt nach Spielschluss, dass Opas Fernsehfußball tot war. Opa, das war damals vor allem Heribert Faßbender, der nie eine rote Jeansjacke getragen hätte und schon gar nicht in der „Sportschau“. Auf keinen Fall hätte er sich auch vor laufender Kamera mit Udo Lattek gezankt, dem damals erfolgreichsten Trainer der Bundesligageschichte. „Wichtig bei der ersten Sendung war der Generationenkonflikt mit Lattek“, meint Beckmann heute und lehnt sich hinter dem Schreibtisch von der Größe einer Tischtennisplatte zurück. Lattek hatte gerade sein erstes Spiel als Trainer von Schalke 04 hinter sich, eine blamable 3:4‑Heimniederlage gegen Wattenscheid 09, und entsprechend schlechte Laune. Nun wurde er, das kannte man so auch nicht, zu Beckmann in die Sendung geschaltet und sah unglaublich aus. Der Meistertrainer von einst trug einem Ballonseidenanzug mit Werbeaufklebern und eine schreiend bunte Basecap, auf der er für Müllermilch warb. Statt mit ihm über Fußball zu reden, fragte Beckmann, warum er das trug. Lattek wollte dazu nichts sagen, dann wurde es sehr frostig, und Beckmann hatte die knackige Behauptung seines Senders „Die alte Bundesliga ist tot – Es lebe ran Sat.1‑Fußball“ eingelöst.
Als ob es um den NATO-Doppelbeschluss ginge
Wenn er heute über diese Zeit vor genau 20 Jahren spricht, erzählt Beckmann gern von ausufernden Redaktionssitzungen. „Die hörten gar nicht mehr auf, fast wie zu Studentenzeiten in der Wohngemeinschaft, als es um den NATO-Doppelbeschluss ging.“ Die Ergebnisse waren aber weniger schwergewichtig. Am Freitagabend, in der allerersten Sendung, hatte Beckmann in Kaiserslautern mit den glucksenden Kölnern Pierre Littbarski und Olaf Jansen an seiner Seite den goldenen „Günna“ vergeben. „Günna“ war eigentlich eine Handpuppe, die später sogar Trainer interviewte, hier aber eine Trophäe der „Deutschen Videomeisterschaft“. Die Redaktion hatte alle Bundesligateams in den Sommertrainingslagern mit Videokameras ausgerüstet und zeigte nun die, ähem, besten von den Profis gedrehten Filme. Es gewann der Hamburger SV, dessen Spieler sich zur Musik von Right Said Fred („I’m too sexy“) ihrer Trikots entledigten. Sie hatten sich das Wort „scharf“ auf die Brust geschrieben, zogen anschließend noch die Hosen aus und rannten mit nacktem Hintern dem Sonnenuntergang entgegen. Heute wäre so was wahrscheinlich ein weltweiter Youtube-Knaller unter dem Stichwort „Peinliches Fußballteam zieht blank“.