Anarchie, Helden und tragische Verlierer: Warum der Pokal immer noch der Wettbewerb ist, der uns am meisten Freude bereitet.
Dieser Text stammt aus unserem 11FREUNDE SPEZIAL „DFB-Pokal“. Das Heft gibt es hier bei uns im Shop!
Es riss uns von den Sofasesseln, dieses Spiel. Als krasser Außenseiter war der 1. FC Nürnberg ins DFB-Pokalfinale 1982 gegen den FC Bayern gegangen, der seinerseits noch Aussichten auf drei Titel hatte. Neben aussichtsreicher Positionierung in der Bundesliga waren die Münchner auch noch ins Landesmeisterfinale gegen Aston Villa eingezogen und dort ebenfalls hoher Favorit. Anstatt nun aber bereitwillig die Waffen zu strecken, spielten die Franken erfrischend auf und schossen zwei wunderschöne Tore, eins aus 35 Metern durch den Österreicher Reinhold Hintermaier und eines nach einem rasanten Tempogegenstoß durch Werner Dreßel.
Das allein hätte schon gereicht, um dieses Endspiel in Erinnerung zu behalten, die zweite Hälfte jedoch avancierte zu einer epischen Schlacht, in deren Verlauf nicht nur die Bayern vier Tore schossen, sondern auch noch Stürmer Dieter Hoeneß mit blutgetränktem Kopfverband zu einem makabren Helden avancierte.
Heutzutage hätte man Hoeneß angesichts der Platzwunde, die er sich in einem Kopfballduell in der ersten Halbzeit zugezogen hatte, spätestens zur Halbzeit vom Platz gebeten. Damals allerdings wurde er von Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt mitleidslos genäht und verbunden. Das Bild des glücklichen, erschöpften, blutenden Stürmers, im Strafraum sitzend, avancierte prompt zur ikonischen Figur und steht seither wie wenige andere Bilder für den alljährlichen Pokalwahnsinn.
Da ist Günter Netzer, der sich in der Verlängerung des Endspiels 1973 selbst einwechselt und das entscheidende Tor gegen Köln schießt. Da ist der entfesselt jubelnde Gladbacher Hansjörg Criens nach dem 5:4 gegen Werder Bremen auf dem Bökelberg 1984 und der von Rolf Töpperwien befragte Olaf Thon nach dem 6:6‑Wahnsinn gegen die Bayern im gleichen Jahr. Da ist der schnauzbärtige Uerdinger Wolfgang Schäfer, der nach dem 2:1‑Siegtreffer gegen die Bayern jubelnd abdrehte (und später auf der Busfahrt über den Ku’damm daran gehindert werden musste, durch die Dachluke Ampeln wegzuköpfen). Da ist Torhüter Jörg Sievers, der Hannover 96 im kreischbunten Hemd den Pokal sicherte, indem er Elfmeter schoss und hielt. Und da ist schließlich der junge Frankfurter Mijat Gacinovic, dessen langer Lauf in der 96. Minute des Pokalfinales 2018 uns den Glauben daran zurückgab, dass an besonderen Tagen der Wille und Mut, sich selbst zu übertreffen, auch vermeintliche Außenseiter triumphieren lassen kann.
Doch der Pokal hat nicht nur Helden geschaffen, sondern auch jene, denen die Nerven versagten oder denen just im entscheidenden Moment das Glück fehlte. Lothar Matthäus etwa, dessen Wechsel zum FC Bayern schon feststand, als er im Gladbacher Trikot im Finale 1984 gegen die Bayern einen entscheidenden Elfmeter verschoss. Oder Otto Rehhagel, der Werder Bremen zweimal hintereinander ins Finale führte und 1989 und 1990 jeweils verlor, erst gegen Borussia Dortmund und dann gegen Kaiserslautern. Tief deprimiert suchte der Coach daraufhin das Gespräch mit der Klubführung. „Passen wir wirklich noch zusammen?“, fragte Rehhagel und gab sich selbst die Antwort. Bei der dritten Finalteilnahme im Jahr darauf klappte es endlich mit dem Pokalgewinn, wohl auch, weil Rehhagel der Mannschaft vor dem Endspiel gedroht hatte: „Wenn wir jetzt zum dritten Mal verlieren, stürze ich mich von der Balustrade.