Überzogene Polizeimaßnahmen und schlechte Sicht im Block: Auswärtsfahrten sind nicht immer spaßig. ProFans-Sprecher Sig Zelt erklärt, wo es besonders hakt.
Sig Zelt, was macht für Sie die Faszination Auswärtsfahrt aus?
Spitz formuliert: Wenn ich auswärts fahre, gehöre ich einer gewissen Elite an. Ich treffe einen größeren Anteil an Bekannten als im heimischen Stadion. Man kennt sich, man schätzt sich. Der Support ist intensiver, weil sich mehr Leute daran beteiligen. Wenn man dann noch sportlich etwas mitnimmt, ist das oft unvergesslich. Außerdem ist es reizvoll, andere Stadien, andere Städte, anderen Fans kennenzulernen. Auswärtsfahren erweitert den Horizont!
Was kennzeichnet eine gute Auswärtsfahrt?
Es ist wichtig, dass ich gut hin- und zurückkomme. Dass ich von der Polizei in Ruhe gelassen werde. Dass die Kontrollen beim Einlass nicht überzogen sind. Dann schaue ich natürlich auch auf die Bedingungen im Stadion: Habe ich eine gute Sicht aufs Spielfeld? Kann ich vernünftig auf Toilette gehen, mich mit Speisen und Getränken versorgen, ohne eine Bezahlkarte vom Heimatverein zu erwerben? Ein ganz wesentlicher Punkt fehlt mir übrigens in der Umfrage.
Nämlich?
Was darf ich überhaupt mit ins Stadion nehmen? Mit welchen Materialien darf ich meine Mannschaft unterstützen? Wenn es so weit geht wie in Heidenheim, wo einer Frau die Mitnahme ihrer Handtasche verweigert wird, ist das nicht nur unfreundlich, sondern auch diskriminierend. Vieles hängt natürlich davon ab, mit welchem Verein ich in welches Stadion reise. Das sieht man auch daran, dass einige Vereine bei manchen Kategorien positiv und negativ auftauchen.
Wo wird mit Gästefans schlecht umgegangen? Wo ist es besonders schön? Und wo droht Ärger mit der Polizei? Wir haben die Anhänger gefragt.
Welcher der angesprochenen Punkte ist am ehesten dazu in der Lage, einem die Auswärtsfahrt zu vermiesen?
Was mich persönlich aber am meisten nervt, sind lange Wartezeiten. Wenn man erst nach Anpfiff im Stadion ist, weil es am Einlass ewig dauert, hat der gastgebende Verein versagt. Leider passiert das nicht selten.
Weil die Kontrollen überzogen sind?
Wenn ein Verein intensive Kontrollen durchführen will, muss er die Infrastruktur und genügend Personal dafür haben. Dann braucht es vielleicht sogar beheizte Räume, damit die Fans sich nicht im Winter bei Matschwetter die Schuhe auf einer durchnässten Matte ausziehen müssen wie wir damals in Cottbus. Das hat auch etwas mit Respekt zu tun.
Welche Gästeblöcke haben Sie aus baulicher Sicht in besonders schlechter Erinnerung?
Die Sichtverhältnisse sind fast überall katastrophal. Fast immer sind die Gästefans in den unattraktivsten Bereichen im Stadion, irgendwo in der Ecke. Teilweise gibt es dann zusätzlich noch echte Sichtbehinderungen wie Metallgitterzäune oder halbblinde Plexiglasscheiben. Oft ist das Verhältnis von Steh- zu Sitzplätzen miserabel, so dass viele Fans sich Karten für Sitzplätze kaufen müssen, obwohl sie stehen wollen. Das führt dann dazu, dass sie auf den Sitzschalen stehen und vielleicht sogar hüpfen, was mitunter durchaus gefährlich sein kann. Unmöglich ist auch der Gästebereich auf Schalke. Der Zugang ist so lang und schmal, dass jedes Mal beim Betreten vor den Sicherheitskontrollen, aber vor allem nach Abpfiff ein furchtbarer Stau entsteht. Und nach Abpfiff ist es noch schlimmer.
„Am besten ist es doch, wenn ich von der Polizei gar nichts mitbekomme“
Das Verhältnis zwischen Fans und Polizei gilt als nachhaltig gestört, rund drei Viertel berichten von schlechten Erfahrungen auf Auswärtsfahrten. Immerhin rund zwei Drittel aber auch von positiven Erfahrungen.
Ich vermute, dass viele Fans schon neutrale Erfahrungen als „gut“ bewerten. Am besten ist es doch, wenn ich von der Polizei gar nichts mitbekomme. Sie soll eingreifen, wenn etwas passiert und nicht schon im Vorhinein die Freiheit von Fans durch Kessel oder andere Maßnahmen einschränken.
Zuletzt gab es deutliche Kritik an den Maßnahmen der Polizei in Wolfsburg gegen Fans von Werder Bremen. Hannover-Anhänger beschwerten sich über die Beamten in Magdeburg. Hat sich die Lage noch einmal verschärft, seitdem die Stadien wieder voll sind?
Es ist immer gut zu differenzieren, jede Einsatzleitung handelt anders. Aber ja, es gibt Anzeichen. Verdeckte Ermittler im Stadion sind auch so ein Thema. Wir sehen in solchen Einsätzen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verletzt, das der Staat einzuhalten hat. Gemessen daran, dass es in Wolfsburg darum ging, mutmaßliche Ordnungswidrigkeiten zu verhindern, war der Einsatz krass unverhältnismäßig. In Magdeburg beträgt der Fußweg vom Bahnhof Herrenkrug drei Kilometer. Für Fans, die körperlich eingeschränkt sind, ist das eine Zumutung, und ich habe schon erlebt, wie die Polizei bei solchen Märschen mit der Waffengewalt des Polizeiknüppels versucht hat, Leute zu zwingen schneller zu gehen. Im Ergebnis meiden vor allem besonnene Fans und Familien danach Auswärtsspiele, obwohl doch die Anwesenheit genau dieser Menschen wichtig wäre, denn sie bewirkt, dass andere sich zusammenreißen.
Sig Zelt ist Sprecher des Bündnisses ProFans. Regelmäßig begleitet er seinen Verein Union Berlin zu Auswärtsspielen. Mit seinem Fanclub „Eiserner Virus“ vergibt er jährlich den „JWD“-Preis. „JWD“ steht hierbei für „Jut war’s, danke!“. Mit dem Preis werden besonders gastfreundliche Vereine ausgezeichnet.
Sind die Fans durch ihr Verhalten nicht mit dafür verantwortlich, wie sie an einem Spielort empfangen werden?
Die Möglichkeiten des Einzelnen sind da begrenzt auf das unmittelbare Umfeld, den Freundeskreis. Aber natürlich kann man auch an der gesamten Kultur innerhalb einer Fanszene arbeiten. Da sind dann die aktiven Leute gefordert, die Capos, die Fanprojekte und auch die Fanbeauftragten des Vereins. Der entscheidende Punkt ist und bleibt aber: Fühle ich mich als Auswärtsfan an einem Ort willkommen?
Warum ist das so wichtig?
Wenn Maßnahmen getroffen werden, die mich einschränken, ist das fatal. Unnötige Polizeikessel oder völlig übertriebene Kontrollen empfinde ich als Schikane. Das ist alles andere als deeskalierend, das regt mich auf. Wenn ich aber freundlich behandelt werde, ich mich willkommen fühle, dann will ich das auch gerne zurückgeben. Dass man respektvoll mit uns umgeht, ist das A und O.