Heute vor fünf Jahren wird Davide Astori, der Kapitän des AC Florenz, tot aufgefunden. Zu Besuch bei einem Verein, der einen besonderen Spieler verloren hat.
Der Text erschien erstmals im März 2019 in 11FREUNDE #208. Das Heft gibt es bei uns im Shop.
Der Regen im Stadio Artemio Franchi kennt keine Gnade. Seit Stunden fallen Tropfen in die grauen Sitzschalen. Die Zuschauer, die an diesem Abend nicht auf der Ehrentribüne sitzen, sind nass bis auf die Knochen, trotz der lila Plastikponchos, die sie für ein paar Euro vor dem Stadion gekauft haben. Und doch werden sie am Ende dieses Abends glücklich sein wie lange nicht, in die Pfützen ihrer Sitzschalen springen, dass das Wasser nur so spritzt, sich umarmen und lauthals singen: „Forza Viola Olè!“
Der AC Florenz gewinnt 7:1 gegen den AS Rom im Viertelfinale der Coppa Italia, des italienischen Pokals. Stefano Pioli, Trainer des AC Florenz, wird später sagen, dass er nicht an perfekte Spiele glaube, dieses aber fast eines gewesen sei. Als der beste Spieler von Florenz, der junge Federico Chiesa, sein drittes Tor geschossen hat, rennt er zur Eckfahne, küsst seine Fingerkuppen und reißt die Arme hoch. Mit dem linken Zeigefinger deutet er in den Himmel, mit der rechten Hand hebt er drei Finger, 13. Und alle im Stadion verstehen, wen Chiesa damit grüßt: Davide Astori. Die 13 war seine Rückennummer.
„Bei Astori war das anders“
Am 4. März 2018 hatten sie im Frühstücksraum des Mannschaftshotels in Udine auf ihn gewartet. Astori hätte längst wach sein müssen an diesem für die Fiorentina verdammten Tag. Dem Tag, der sich eingebrannt hat in die Erinnerung dieses Klubs. Tiefer noch als die Zwangsabstiege, quälender als die schlimmsten Niederlagen des Vereins und die vielen verlorenen Endspiele. Kurz vor 15 Uhr hätte Davide Astori als ihr Kapitän seine Fiorentina aufs Feld führen sollen. Gegen Udinese Calcio, ein wichtiges Spiel im Kampf um Europa. Doch Astori kam nicht.
Wenn Trainer, Spieler oder Fans des AC Florenz von Davide Astori oder von diesem Tag erzählen, schlucken sie, halten inne, manche wollen nicht, und wenn doch, dann sprechen sie nur kurz vom Capitano und der „Tragödie von Udine“. Stefano Pioli war Trainer bei Klubs wie Lazio Rom und Inter, und er sagt, einen wie Astori habe er noch nie trainiert: „Ehrlich gesagt, es gibt in keiner Mannschaft einen, den alle mögen. Bei Astori war das anders.“
Still, fast schüchtern, aber klug in seinen Kommentaren vor der Kamera, so war Astori außerhalb des Platzes. Doch während des Spiels wurde er zu einem charismatischen Leader. Schlaksig, gutaussehend, grünbraune, wache Augen, gepflegter Bart, 189 Zentimeter groß, 91 Spiele, drei Tore für Florenz. Es heißt, Astori war immer der Erste auf dem Trainingsplatz, er alberte mit Mitarbeitern rum, erzählte von seiner Lieblingsserie und empfahl gute Restaurants. Und er ergriff in der Kabine zur Halbzeit das Wort. Astori, der Zuverlässige.
Das Herz der Mannschaft
Als der Verein im Sommer 2017 einen Großteil seiner besten Spieler verkaufte, rückte der Innenverteidiger in den Mittelpunkt des neuen Projekts. Der erfahrenste Spieler wurde Kapitän, die Jungen sollten ihm folgen. Wenn man Fans heute fragt, was ihnen einfällt, wenn sie an Astori denken, sagen sie, dass er zwar nie jemand war, den sie so feierten wie ihre Stürmer. Dass er aber das Herz der Mannschaft war und es wohl noch lange geblieben wäre.
Am 4. März 2018 schrieben ihm die Mitspieler Nachrichten, riefen ihn an, aber er reagierte nicht. Sie gingen zu seinem Zimmer, wo er in der Nacht alleine schlief, aber er antwortete nicht auf das Klopfen. Sie brachen die Tür auf. Er lag im Bett, es sah so aus, als würde er noch schlafen. Doch Davide Astori, 31 Jahre alt, Kapitän der Fiorentina, war tot.
Die Nachricht sprach sich schnell herum in den engen Straßen von Florenz. Viele Florentiner ließen ihre Arbeit oder das Mittagessen ruhen und pilgerten zum Stadio Artemio Franchi, stellten Kerzen auf, hängten Schals und Poster ans Gitter. Die Bambini schrieben Briefe in lila Schnörkelschrift und malten Bilder von Astori im Himmel, Ultras weinten. „Uno di noi“ singen Fans in Italien, wenn sie sich mit einem Spieler ihres Vereins identifizieren können, einer von uns. „Astori, uno di noi“, schrien die Tifosi an diesem Sonntagmittag den Schmerz weit über die Grenzen von Florenz in die Fußballwelt hinaus.