Gegen Ungarn hätte Leroy Sané eine Empfehlung für mehr Startelf-Einsätze geben können. Stattdessen bleibt er ein Rätsel – wie schon seit Monaten, in denen man nicht so richtig schlau wird aus seinen Leistungen. Was ist mit dem ehemaligen Wunderkind los?
Licht und Schatten zeigt Sané auch im Trikot der Bayern, zu denen er im vergangenen Sommer wechselte. Der Spieler, von dem es so oft heißt, er könnte Spiele entscheiden, tut genau das zu selten. Glänzt die Mannschaft, tut er es auch. Beispielhaft ist hier das 4:2 in der vergangenen Rückrunde gegen Dortmund zu erwähnen, bei dem Sané ein Tor und viele weitere Chancen vorlegte. Dem gegenüber stehen aber diverse Spiele, in denen er unterging. Beim 2:1 gegen Köln in der Hinrunde beispielsweise. Oder dem 2:1 gegen Leverkusen, ebenfalls in der Hinrunde. Wenn er nicht sogar negativ auffiel durch Fehler in der Defensive, blieb er oft bestenfalls blass. Seine berühmt-berüchtigte Stärke im Eins-gegen-Eins packt er zwar oft aus. Oft aber eben auch in unnötigen Situationen. Damit verbaut er eher Chancen, als dass er sie kreiert. Dabei hatte man einst 100 Millionen Euro für seinen Wechsel von Manchester City nach München zahlen wollen, so vielversprechend schien dieser Spieler. Dort – also in Manchester – war Sané auch nicht der konstanteste aller Spieler gewesen. Mit gerade einmal Anfang Zwanzig galt er ja aber auch noch als Talent, dem man Zeit geben musste, diese Konstanz zu finden.
Das hat er ziemlich offensichtlich noch nicht geschafft. Oft heißt es in Fällen wie diesem, man müsste dem Spieler mehr Vertrauen entgegen bringen. Das mag stimmen, gerade bei Sané, von dem Ilkay Gündogan sagt, er müsste das Gefühl haben, immer zu spielen, dann wäre er „unglaublich“. Allerdings bekam Sané gerade in der Bundesliga immer und immer wieder auch nach enttäuschenden Auftritten dieses Vertrauen – er kam nur zweimal wegen einer Kapselverletzung nicht zum Einsatz – und sorgte dennoch eher für Fragezeichen als Ausrufezeichen. So wie im letzten Gruppenspiel der Europameisterschaft.
Dieser letzte Angriff im Spiel gegen Ungarn, diese misslungene Mischung aus Schuss und Vorlage, sah dann auch ein wenig aus wie Leroy Sané selbst oft wirkt und wofür er oft genug kritisiert wird: vielversprechender Antritt, letzten Endes allerdings zu lässig, zu ungefährlich, zu ungenau. Was cool aussieht, wenn am Ende ein Tor fällt, sieht umambitioniert bis desinteressiert aus, wenn das nicht der Fall ist. Und zu oft ist eben das der Fall. Um eine vielverwendete Phrase zu bedienen: Oft scheint es, als fehle Sané der Biss. So sehen das offenbar auch einige seiner Kollegen, zuletzt kritisierten ihn sowohl Joshua Kimmich als auch Emre Can für seine Körpersprache. „Leroy hat ab und an eine andere Körpersprache“, sagte Letzterer. Kimmich formulierte es beim Testspiel gegen Dänemark deutlicher: „Hör auf zu jammern, Alter!“, rief er Sané zu. Und wie Sanés Wanken zwischen Licht und Schatten ein einziges Fragezeichen hinterlässt.
So ein Wanken ist man gewohnt, gerade von jungen Spielern. Über eine so lange Zeit und so extrem wie bei Sané ist es aber doch ungewöhnlich. Und irgendwie dann auch nicht. Man kennt es schließlich nicht anders. Langsam kommt aber die Zeit, in der die Ausrede der Jugend nicht mehr gilt. Sané ist immerhin schon Mitte Zwanzig, als Wunderkind geht er da nicht mehr durch. Er sollte möglichst bald in der Lage sein, Konstanz zu zeigen. Und zwar am besten auf dem Niveau seiner lichten Momente.