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Auf Ihrer Anrichte ver­lus­tieren sich wohl­ge­nährte Küchen­schaben? Dann klopft viel­leicht gleich RTL. Sie kommen von der Party und haben einen Kater? Melden Sie ihn an bei DJ Megamix vom ört­li­chen Radio Egal. Tie­ri­sche Pro­gnosen sind seit der WM 2010 im Trend und die Eig­nung zum Orakel denkbar ein­fach. Es braucht nur eine Kör­per­öff­nung oder ‑aus­wei­tung, mit­tels der das sieg­reiche Team bestimmt werden kann. Ob Tatze, Schnabel, Maul oder Geschlechts­teil, spielt dabei fast keine Rolle. Putzig muss das Orakel nicht sein, eklig reicht schon. In der Liga der außer­wöhn­li­chen Wahr­sager ist exo­tisch das neue süß.

Wann kommt das Mar­si­pu­lami?

Im Tier­park Aue ora­kelt das Zwerg­otter-Weib­chen Ferret, der Seren­geti-Park Hoden­hagen schickt Ele­fantin Nelly ins Rennen und der rus­si­sche Zoo zu Jeka­te­ri­nen­burg sein Erd­männ­chen Suri. Außerdem die Kon­kur­renz bele­bend: Schild­kröte Sissi, Antenne 1 (Stutt­gart), Otter­dame Maja aus dem Sea­life im spa­ni­schen Benal­ma­dena, der Kiewer Eber Funtik, Uhu Argus, Woll­schwein Emma in Frei­burg, Bull­dogge Xavier für Bayern 1, Ziege Traudl und ein paar Use­domer Möwen, von der Tou­ris­mus­be­hörde der Insel mit altem Brot gelockt. Es würde bei­leibe nicht ver­wun­dern, schlössen bald die Zoos, weil das ein­ge­zäunte Getier zu beschäf­tigt ist mit Pro­gnosen zum Tur­nier, und bald auch zu Politik, Wirt­schaft und Wetter. Wenn Euro-Krise und Kanz­ler­wahl die Nach­rich­ten­lage bestimmen, fehlt die Zeit, sich begaffen zu lassen. Das Schicksal nimmt sich kein Timeout.

Die Belie­big­keit des Strei­chel­zoos, der diese Euro­pa­meis­ter­schaft tippt, erin­nert an das Star­ter­feld beim Euro­vi­sion Song Con­test. Was dem Dorf­bür­ger­meister früher der neue Konsum und der Radio­sta­tion ein eigenes, schale Gags wie­der­kau­endes Comedy-Duo war, ist heute das Tier­orakel. Wer hat noch nicht, wer will noch mal – und will einer nicht, muss er trotzdem. An den natio­nal­be­flaggten Fut­ter­trögen drän­geln sich Nager, Dick­häuter und Rep­ti­lien. Wann kommt das Orakel, das ora­kelt, wer Orakel sein darf? Mar­si­pu­lami, Urmel und God­zilla ver­han­deln noch ihre Gage.

Die abso­lute Willkür spie­gelt sich in der Streuung der Ergeb­nisse. Am Napf ist der Vor­run­den­tipp eben Bauch­ent­schei­dung. Für den Fan ergibt sich dadurch die ange­nehme Mög­lich­keit einer Schein­si­cher­heit. Wenn der Zwerg­otter nicht nach meinem Gusto tippt, leicht­glaube ich halt dem schie­lenden Opossum. Auch die Art und Weise der Ver­mark­tung bedient sich der nie­dersten Mecha­nismen der Pop­branche (siehe: ESC), wie sie sonst nur für ehe­ma­lige Con­tai­ner­be­wohner, Dschun­gel­camper und DSDS-Tief­flieger bemüht werden. Es wird geteasert und das berüs­selte Haupt mit Vehe­menz in den Fokus gedrängt. Jeder schlechte Sen­de­platz ist gerade gut genug. Vit­amin B, in der Show­branche unver­zichtbar, gewinnt gleichsam an Bedeu­tung in Zeiten, da immer mehr Ama­teure nach­drängen: Im Ozea­na­rium Porto saug­napft sich ein angeb­li­cher Vetter vom ori­gi­nalen Paul an die Glas­quader der EM-Teil­nahmer. Eine offi­zi­elle Ver­brie­fung der direkten Erblinie steht noch aus. Aber es wird schon stimmen. Der Mensch glaubt, woran er glauben will.

Der letzte Stroh­halm: Ein Kra­kenarm

Man sollte meinen, unsere glä­serne, durch­ra­tio­na­li­sierte Welt lässt keinen Platz mehr für Humbug und Glas­ku­gel­fantum. Doch das Gegen­teil scheint der Fall: Je genormter und ver­wis­sen­schaft­lichter der Fuß­ball, desto größer die Sehn­sucht nach Über­ra­schung, Chaos, Zauber. Der Fan klam­mert sich an den letzten Stroh­halm der Unwäg­bar­keit. Und das ist dann manchmal ein Kra­kenarm. Es nennt sich Aber­glaube, aber glaube! Ten­ta­kelte Paul anno 2010 mal nicht nach der eigenen Nation, brauchte man den Fern­seher ja gar nicht erst ein­zu­schalten. Und langt der Otter bei der Wür­mer­nüs­se­mi­schung aus der Schland-Schale morgen richtig zu, gibt es einen Kan­ter­sieg gegen die Nie­der­lande. Auf jeden Fall. Auf keinen Fall.

Denn der Eti­ket­ten­schwindel gilt als großes Pro­blem der Branche. Nicht jedes Spiel hält, was das Orakel ver­spricht. Nach der Vor­runde haben sich schon diverse Hoch­ka­räter dis­qua­li­fi­ziert. Ele­fantin Citta aus dem Kra­kauer Zoo hatte auf Polen gesetzt, das Char­kower Frett­chen Fred ein Remis zwi­schen Russ­land und Tsche­chien ermun­kelt, Fluchtkuh Yvonne im nie­der­baye­ri­schen Deg­gen­dorf gar die Por­tu­giesen vorne gesehen. Fatale Fehler, jetzt gras­siert die Angst vor dem Tier­heim bzw. Schlachthof.

Die Tra­di­tion der Tier­orakel reicht zurück bis ins alte Rom und noch weiter, in die grie­chi­sche Antike. Da wurden Vogel­flug­bahnen zum Spiegel des Lebens und Scha­manen lasen in den Inne­reien ent­wei­deter Tanz­bären eine blu­tige Zukunft. Heute dürfen die tie­ri­schen Orakel nicht nur, son­dern müssen leben. Ein totes Rind­vieh taugt als Kote­lett, aber nicht zum TV-Star. Schimmel ist nicht telegen.

Die Skala des Wahn­sinns scheint, was die Ergeb­nis­fin­dung betrifft, nach oben hin offen. Vom Klas­siker, der heiß­hun­ger­ge­lei­teten Ent­schei­dung, über extra­va­gan­tere Methoden wie tor­schie­ßende Ele­fanten bis hin zum Del­fin­salto durch vorher defi­nierte Ringe geht alles. Spä­tes­tens 2014, viel­leicht auch schon in der K.O.-Phase darf mit noch publi­ci­ty­träch­ti­geren Methoden der Vor­her­sa­gung gerechnet werden. Dann steht der Bock im Stall mit zwei Schafen, begattet das Muli im Xavi-Trikot – und Spa­nien wird Euro­pa­meister.

Pre­dict hard, die young

Am Ende eine War­nung: Nicht jeder kleine Lieb­ling taugt für das Geschäft. Garan­tiert ein Frett­chen anderen mit tod­si­cheren Tipps eine glück­liche Zukunft, wird ihm sel­bige nicht beschieden sein. Immer im Wissen, dass der nächste Graumader mit hell­se­he­ri­schen Fähig­keiten schon bereit steht, zer­bre­chen viele Orakel am immensen Druck. Es gemahnt das Bei­spiel von Paul, dem Kraken. Er ritt die Welle des Ruhmes bis zum Scheitel, sie brach über ihm ein. Ein James Dean der Tier­welt. Pre­dict hard, die young. Nach Pauls Tod druckten die spa­ni­schen Sport­zei­tungen mehr­sei­tige Todes­an­zeigen, in einigen Gemeinden wurden Kon­do­lenz­bü­cher aus­ge­legt. Ein beton­schweres Denkmal im Sea Life Ober­hausen erin­nert an den Giganten der Welt­meere und Schi­märe. Pil­ger­stätte für Glücks­ritter, Fan­mei­len­tou­risten und Voll­idioten. Da passt der gute, alte Stamm­tisch­sprech: Das hat mit Fuß­ball nichts zu tun.