Tottenhams Trainer holt einen motzenden Fan auf die Trainerbank, damit dieser seinen Job übernimmt. Bei Arsenal lieben die Spieler einen Tribünenpöbler, bei West Ham wird ein aufgebrachter Anhänger sogar eingewechselt. Drei Geschichten aus dem Mutterland des Wahnwitzes.
Es ist der Kindheitstraum eines jeden Fußball-Fans: Beim Spiel des Lieblingsvereins winken plötzlich die großen Idole herüber, und man tritt heraus aus den Fanmassen, hinein ins Rampenlicht. Dieser Traum dürfte bei so manchem Anhänger in einem Ranking noch vor der Einladung der Schulschönheit zum Abschlussball oder einem satten Lottogewinn stehen – er ist allerdings auch genauso realistisch.
Doch England, das Mutterland des Fußballs und Wahnwitzes, produziert manchmal Geschichten, die selbst den Verantwortlichen von Walt Disney oder Vermarktern von Spielkonsolen zu kitschig wären. Und wieder mal zeigt sich: Das Glück ist mit den Pöblern.
„Der Typ ist ein echter Experte“
Tottenham führte am Sonntag klar mit 3:0 im letzten Saisonspiel gegen Aston Villa. Danny Grimsdale saß als Fan einige Meter von der Trainerbank entfernt und war der Meinung, dass nun mal die Chance für die jungen Spieler gekommen sei. Grimsdale behielt schon die gesamte Saison über seine Gedanken nicht für sich, sondern teilte sie lautstark Tim Sherwood, dem Trainer der Spurs, mit. „Dieser Typ ist ein Experte. Er sagt mir jede Woche, was ich tun soll“, erzählte Sherwood später. „Also habe ich ihm die Möglichkeit gegeben, meinen Job zu übernehmen.“
Sherwood gab dem verdutzten Fan ein Zeichen, sich mit auf die Trainerbank zu setzen. Grimsdale brauchte einige Momente, dann aber begriff er seine einmalige Chance. „Das war irreal. Ich wusste erst nicht, wie ich reagieren sollte. Ich fragte mich, ob die Ordner mich überhaupt über die Barriere springen lassen würden“, sagte Grimsdale nach dem Spiel der BBC. Doch Tottenhams Trainer winkte seinen latenten Hinweisgeber durch, er streifte ihm eine offizielle Weste über und wies ihm einen Platz auf der Trainerbank zu. Dort setzte sich Grimsdale neben den offiziellen Assistenztrainer Les Ferdinand. „Das werde ich nie vergessen“, sagte Grimsdale hinterher. Die Weste behielt er an, als er wieder auf seinen angestammten Tribünenplatz zurückkehrte.
„Wir haben die Polizei schon eingeschaltet, damit sie wegen der gestohlenen Weste nach ihm fahndet“, scherzte Sherwood nach dem Spiel. In Zukunft wird der Trainer allerdings keinem Fan mehr einen Platz auf der Bank der Spurs anbieten können, am Dienstag wurde er entlassen.
Bei Arsenal, dem großen Rivalen der Spurs, genießt ein Fan ob seiner ungefilterten Meinungsäußerungen zur sportlichen Lage ebenfalls einen hohen Bekanntheitsgrad. „Bully“, ein Mann von 49 Jahren, mit einem Ring in der Nase und langen Haaren, ist gern gesehener Analyst auf dem Videokanal „ArsenalFanTV“. Er führt gerne mal aus, dass selbst seine Enkel „mehr Eier“ besäßen als Mikel Arteta oder dass die Schiedsrichter der Premier League so mies wie jene beim Wrestling seien.
Seine Meinungsstärke hält aber auch die Spieler seines Herzensvereins nicht davon ab, ihm zu huldigen. So kämpfte sich der ehemalige Stürmer der „Gunners“ Robin van Persie einst nach einem Hattrick gegen Chelsea durch die Ordnerschar zu „Bully“, um ihm sein Trikot zu schenken. Arsenals berühmter Fan besitzt mittlerweile eine stolze Sammlung von Originaltrikots der Spieler.
Redknapp wechselt Fan ein
In den Schatten gestellt werden Tottenhams „Aushilftrainer“ und Arsenals Trikotsammler allerdings von einem anderen Tribünenpöbler aus den Neunzigern. West Ham-Fan Stevie Davies stand den beiden in puncto Leidensfähigkeit und Mitteilungsbedürfnis in nichts nach. Er schaffte es sogar, für seinen Klub aufzulaufen und ein Tor zu erzielen. Und wie fast immer in diesen seltsamen Geschichten von der Insel ist ein Magier beteiligt: Harry „Houdini“ Redknapp.
Bei einem Vorbereitungsspiel in Oxford 1994 gingen Redknapp, damals West Ham-Trainer, aufgrund von zahlreichen Verletzungen die Spieler aus. Stevie Davies hatte derweil auf der Tribüne mit seiner Freundin und seinen Kumpels einige Bier intus und soufflierte dem Coach unverhohlen seine taktischen Ansichten.
„Ich hatte absolut keine Spieler mehr, also sagte ich zu dem Typ: ›Eh, kannst du so gut spielen, wie du rumschreist‹?“ Davies, zu diesem Zeitpunkt ein Sonntagskicker mit gutem zweistelligen Zigarettenkonsum pro Tag, ließ sich nicht lange bitten und sprang über die Absperrung. Redknapp brachte ihn in die Kabine und wies den Zeugwart an, Davies ein Trikot und Schuhe auszuhändigen. „Ich wollte ihn auf keinen Fall lächerlich machen. Ich habe eingfach gemerkt, wie sehr er West Ham liebte – und das würde er ein Leben lang nicht vergessen.“
Davies selbst erinnerte sich in einer großartigen Reportage des „Howler“-Magazins wie folgt an jene Minuten des Ruhms: „Wir kamen aus dem Spielertunnel, und ich dachte immer noch, Harry würde seine Scherze mit mir treiben.“ Doch Redknapp machte ernst: Davies lief tatsächlich beim Stand vom 2:0 in der zweiten Halbzeit neben seinen großen Idolen auf. Die Menge huldigte lautstark dem überraschenden Joker.
Das allein hätte schon für ein ausgewachsenes Fußballmärchen gereicht, doch die 71. Minute toppte dann noch einmal alles. Davies kam tatsächlich in der Nähe des gegnerischen Tores an den Ball. „Ich traf ihn, ich traf den Ball wie nichts anderes. Ich prügelte ihn ins Netz“, erinnerte er sich an den großen Moment. Der West Ham-Fan Stevie Davies traf in seinem allerersten Spiel – knapp eine halbe Stunde nach seiner letzten Kippe auf der Tribüne.
Die Freude allerdings währte nur kurz. Der Schiedsrichter annullierte den Treffer, Davies hatte meterweit im Abseits gestanden.