Der FC Bayern überlässt beim Ringen um die Vorherrschaft im europäischen Fußball nichts mehr dem Zufall. Mit Xabi Alonso von Real Madrid verpflichtet der Rekordmeister einen weiteren Top-Star für sein Ensemble aus Hochbegabten. Thomas Hitzlsperger über die diffizile Rolle, die der Baske im Guardiola-System spielen soll.
Auf den ersten Blick wirkt er so harmlos. Fast unauffällig. Okay, da ist sein unverwechselbarer roter Vollbart. Aber sonst nimmt man ihn zunächst nicht sonderlich wahr. Sobald er aber den Platz betritt, entfaltet er seine ganze Wirkung. Xabi Alonso ist kompromisslos. Grätschen, Ball erobern und mit einem Diagonalpass das Spiel eröffnen – das ist sein Spiel. Als bei der EM 2008 der Höhenflug der spanischen Nationalelf begann, musste er sich zunächst mit der Reservistenrolle begnügen. Noch war kein Platz für ihn im Team. Aber er bewies Geduld, die sich gelohnt hat. Heute, sechs Jahre später, ist er einer der besten Mittelfeldspieler der Welt.
Lob von Khedira
Alonso hat viele Qualitäten: Er ist ein kluger Stratege. „Seine Passquote ist beeindruckend, die Spielverlagerungen beherrscht kein Profi so wie er“, sagt sein ehemaliger Kollege Sami Khedira. Als er 2009 aus Liverpool zu den Königlichen wechselte, sollte er die Lücke zwischen Angriff und Abwehr schließen, die der Hauptgrund war, dass Real die avisierten Titel schuldig blieb. Alonso brachte auf Anhieb Ordnung ins Spiel. Gemeinsam mit Luka Modric zog er im defensiven Mittelfeld die Strippen, und die vier Angreifer erledigten den Rest. Die Folge: Eine Meisterschaft, zwei Pokalsiege und in der vergangenen Saison konnte Real auch endlich den ersehnten zehnten Titel in der Champions League gewinnen.
Kein Wunder, dass Alonso unter Kollegen ein hohes Ansehen genießt. Als Spieler stellt er sich stets zu einhundert Prozent in den Dienst der Mannschaft. Er ist nicht nur ein filigraner Ballverteiler, sondern auch ein zweikampfstarker, aggressiver Kämpfer. Die Verteidiger können sich darauf verlassen, dass – steht Alonso auf dem Rasen – kaum Bälle durch das Zentrum gespielt werden. Mit dieser Form der Absicherung gibt er seinen Stürmer reichlich Gelegenheit, Risiken einzugehen..
Und ein Mann mit diesen Feinheiten findet nun – im reifen Alter von 32 Jahren – den Weg an die Säbener Straße. Schön und gut, könnte man meinen. Dennoch ist der Transfer verwunderlich. Schließlich herrscht gerade im Mittelfeld der Münchner ein Überangebot an herausragenden Protagonisten. Es gibt also nur eine logische Erklärung für den Königstransfer: Pep Guardiola will den Mittelfeldstrategen auf seine alten Tage zum Abwehrspieler umfunktionieren.
Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Nach der schweren Kreuzbandverletzung von Javier Martinez im Supercup stellte sich die Frage, wer bis zu dessen Genesung die zentrale Position in der Dreierkette besetzen soll. Guardiola hatte sich auf Martinez festgelegt, nach dessen Ausfall fehlte intern nun ein adäquater Ersatz. Xabi Alonso sollte mit dieser Rolle keine größeren Probleme haben. Sein Alter spricht für einen Wechsel in die Abwehr. Zudem neigt er nur selten dazu, Kurzpässe auf die Stürmer zu spielen. Im Gegenteil: Alonso baut das Spiel durch Querpässe auf und überrascht mit langen Diagonalbällen. Doch Pep Guardiolas Ansprüche an einen gelernten Mittelfeldspieler sind bekanntermaßen andere. Philipp Lahm, Thiago Alcantara und Bastian Schweinsteiger suchen den direkten Weg zum Tor – sie müssen auf ihren Positionen die Konkurrenz von Alonso also nicht fürchten.
Geradezu ein Schnäppchen
Guardiola lässt sich mit der spektakulären Neuverpflichtung also auf ein Experiment ein. Es ist ein kostspieliges Unterfangen, aber die Bayern können sich derartige Extravaganzen inzwischen erlauben. Für den Neuzugang aus Madrid zahlen sie zehn Millionen Euro Ablöse. Im Vergleich zu anderen Transfers dieses Kalibers geradezu ein Schnäppchen. Zumal ein Profi mit der weltumspannenden Bekanntheit eines Xabi Alonso allein für das Klubmarketing einen immensen Gegenwert darstellt.
Es spricht für seinen großen Ehrgeiz, dass er die letzten Jahre seiner Karriere nicht für ein astronomisches Salär in einem Golfstaat, Russland oder der USA verbringt, sondern es in München offenbar noch einmal wissen will. Sollte er aber nicht in der Lage sein, Guardiolas Ansprüchen zu genügen, könnte es auch schnell ungemütlich für ihn werden. Denn eins ist sicher: Der Katalane auf der Bayern-Bank wird sich gut überlegt haben, was er von Alonso will. Und der hat im Gegenzug sicher kein großen Interesse, noch einmal so viel Geduld aufzubringen, wie damals, 2008, als Luis Aragones ihn auf der Bank schmoren ließ.