Gegen die TSG Hoffenheim verordnete Peter Stöger dem BVB eine komplett neue Ausrichtung. Fünf Gründe, warum Borussia Dortmund das gerade jetzt braucht.
Im Dortmunder Westfalenstadion endete am Samstagabend eine Ära. Als Dortmunds Spiel gegen Hoffenheim angepfiffen wurde, stellte sich der BVB in einem 4−1−4−1 auf. Sie liefen Hoffenheim nicht an, störten den Gegner nicht, übten kein Pressing aus. Hoffenheims Sechser Florian Grillitsch bekam nach wenigen Minuten den Ball kurz hinter der Mittellinie zugespielt – und kein Dortmunder griff ihn an.
Dass der BVB auf Konter spielt, gab es auch in den großen Tagen unter Jürgen Klopp. Aber dass sie gänzlich darauf verzichten, den Gegner am Mittelkreis unter Druck zu setzen? Das Pressing war zehn Jahre lang elementarer Bestandteil des Dortmunder Selbstverständnisses, ihr Markenkern, egal ob der Trainer Klopp, Thomas Tuchel oder Peter Bosz hieß. Das ist eine fast unendliche Zeit im schnelllebigen Fußballgeschäft. Gerade im heimischen Westfalenstadion wurde der Gegner ständigem Druck ausgesetzt.
Stöger hat diese Spielweise beerdigt, ganz still und heimlich. Wir liefern fünf Gründe, warum der BVB gerade das aktuell benötigt.
1. Dortmund steht stabiler
Im Vergleich zum offensiven Spielstil von Peter Bosz hat Stöger die Mannschaft komplett umgekrempelt. Die einzige Konstante ist das 4 – 3‑3-System, das unter Stöger allerdings eher wie ein 4−1−4−1 ausgeführt wird. Die Außenstürmer stehen unter dem neuen Trainer merklich tiefer. Der Grund dafür ist klar: Stöger möchte das Team defensiv stabilisieren.
Dortmund läuft den Gegner nicht mehr radikal an, zieht sich zeitweise weit in die eigene Hälfte zurück. Gegen Hoffenheim fokussierten sie sich stark darauf, die Abstände zwischen Abwehr und Mittelfeld möglichst klein zu halten. Hoffenheim sollte den Ball in der eigenen Abwehrkette laufen lassen, aber möglichst keine vertikalen Pässe spielen können. In der Anfangsviertelstunde ging der Plan famos auf, Hoffenheim kam nicht nach vorne.
2. Dortmund kann kontern
Die neue Strategie lautet, den Gegner mit schnellen Angriffen auszukontern. Auch diese Idee ging in der Anfangsviertelstunde auf: Shinji Kagawa schob häufig nach vorne nach Ballgewinnen, bot sich vor der Hoffenheimer Abwehr an.
Die Hoffenheimer hatten aufgrund ihrer hoch stehenden Außenverteidiger Probleme, die anschließenden Pässe auf die Flügel zu verteidigen. Dortmunds Außenstürmer starteten pfeilschnell nach vorne, waren von Hoffenheim nicht zu halten. Dortmund konterte im eigenen Stadion den Gegner aus. Das gab es beim Stande von 0:0 lange nicht mehr zu bestaunen.
3. Stöger baut behutsam auf dem alten Stil auf
Stögers Strategie hatte einen Haken: Er stabilisierte damit nicht nur die eigene Mannschaft, sondern auch den Gegner. Hoffenheim hatte in den vergangenen Wochen herbe Probleme mit dem eigenen Ballbesitzspiel, ging u.a. deshalb gegen den HSV mit 0:3 unter. Mit jedem Pass, den die Hoffenheimer Verteidiger spielten, wurden sie selbstsicherer – und dank der passiven Spielweise der Dortmunder konnten sie viele Pässe spielen. Auch Grillitsch schaltete sich zunehmend in das Spiel ein. Hoffenheim legte sich die Dortmunder Abwehr zurecht und vollendete die Angriffe über die Halbräume.
Dortmunds Reaktion nach der Pause zeigt aber, dass Stöger nicht nur ein Defensivtrainer ist. Er stellte auf ein offensiveres 4−3−3 um, zeitweise agierte Dortmund auch mit einer nach rechts verschobenen Dreierkette. Dortmund baute in der zweiten Halbzeit mehr Druck auf, müder werdende Hoffenheimer boten wiederum Lücken in ihrer Fünferkette. Stöger deutet an, dass er trotz einer defensiveren Spielweise nicht alle Vorteile des offensiven Bosz-Stils wegwerfen wird.
4. Einzelne Spieler können ihre Stärken wieder abrufen
Eine der größten Probleme von Bosz‘ recht rigorosem System war die Tatsache, dass einzelne Spieler merklich damit fremdelten. Das prominenteste Beispiel ist Julian Weigl. Unter Bosz sollte er eine höhere Position bekleiden, diese liegt Weigl aber nicht. Am liebsten ordnet er das Spiel aus der Tiefe – und das darf er unter Stöger wieder tun. Mit einer Passgenauigkeit von fast 90% ist Weigl fast wieder der Alte.
Er ist aber nur ein Beispiel. In den Partien gegen Hoffenheim und in Mainz blühten vor allem zwei Spieler auf: Shinji Kagawa überzeugt als offensiver Mittelfeldspieler, der gegen den Ball im Raum verschiebt und nach Ballgewinnen als erste Anspielstation fungiert. Der Konterspiel passt zu ihm. Marcel Schmelzer wiederum entlastet als Linksverteidiger den Spielaufbau und setzt Impulse nach vorne. Gegen Hoffenheim war er der Spieler mit den meisten Ballkontakten auf dem Feld.
5. Das System könnte gegen die Bayern passen
Bevor Stöger in der Winterpause Zeit hat, den BVB taktisch weiterzuentwickeln, steht die Pokal-Achtelfinale gegen Bayern München an. In der Tabelle sind die Münchner der Liga enteilt. Doch zuletzt agierten sie ziemlich minimalistisch, gewannen dreimal in Folge 1:0. Sie haben derzeit große Mühe, sich hinter die gegnerische Abwehr zu kombinieren und leben selbst von ihrer defensiven Stabilität.
Angesichts dieser Ausgangslage ist ein Spektakel am Mittwochabend unwahrscheinlich. Stögers Elf könnte die großen Bayern mit der neu gewonnen Stabilität aber durchaus ärgern. Wenn sie ihre Konter besser ausspielen als gegen Hoffenheim, wäre sogar ein Überraschungssieg möglich – und das ganz ohne das typische Dortmunder Pressing.