Immer mehr Profis, vor allem in England, verzichten auf die Dienste von Beratern und vertrauen lieber ihren Angehörigen. So bleibt auch die Provision in der Familie.
Die fetten Jahre sind vorbei für Mino Raiola, Jorge Mendes, Roger Wittmann und all die anderen gefräßigen Haie im Meer der Spielerberater. So scheint es zumindest. Die Branche der Agenten muss derzeit ohnmächtig zusehen, wie ihnen die lukrative Klientel scharenweise davonläuft – insbesondere im Big-Money-Paradise Premier League. Weil Englands Profifußball seit 2015 die Einstiegshürden für Familienangehörige als Spielerberater systematisch herabgesenkt hat, vertreten zusehends mehr Papas, Mamas, Brüder, Halbschwestern oder Cousins die geschäftlichen Interessen ihrer Nahestehenden.
Laut eines Berichts der „New York Times“ stehen auf der Liste der verhandlungsberechtigten Agenten für die englische Elite-Liga auch Angehörige von Arsenal-Spielmacher Mesut Özil (Bruder Mutlu), Manchester-City-Ass Ilkay Gündogan (Vater Irfan und Onkel Ilhan), Chelsea-Neuzugang Christian Pulisic (Papa Mark), Tottenhams Mittelfeldmann Dele Alli (Stiefbruder Harry Hickford) oder ManU-Stürmer Marcus Rashford (Bruder Dane). Um nur einige zu nennen.
Die Vorteile liegen auf der Hand
Auch eine beträchtliche Zahl von Profis aus der deutschen Bundesliga betrachtet Transfer- und Gehaltsverhandlungen als Familiensache: Dortmund-Rückkehrer Mats Hummels beispielsweise wird von seinem Vater Hermann repräsentiert, der nebenbei einige weitere (eher unbekannte) Profis zu seinen Klienten zählt. Ex-HSV-Torjäger Pierre-Michel Lasogga, aktuell bei Al-Arabi in Katar unter Vertrag, überlässt vertragliche Dinge seit jeher seiner Mutter Kerstin.
Die Vorteile des Family-Business-Modells gegenüber einer klassischen Spieler-Agenten-Beziehung liegen auf der Hand: Enge Verwandte hauen einen in aller Regel nicht übers Ohr und denken im Zweifel eher strategisch im Sinne des Spielers als an den schnellen Euro für die eigene Tasche. Zudem bleibt die fällige Provision (rund zehn Prozent des für die Vertragslaufzeit vereinbarten Gesamt-Gehaltsvolumens) in der Familie, statt in die ohnehin schon prallen Taschen der Herren Wittmann, Struth, Neubauer & Co. abzufließen.
„Man hat nur eine Karriere“
Noch vertraut die Mehrzahl der kickenden Cash-Cows in Europa klassischen Beratern, doch der jüngste Trend lässt die Branche vor allem in England mächtig schwitzen: Die Zahl der Spieler, die sich von Angehörigen beraten lassen, wird immer größer und größer – und damit auch die Menge der bei der FA registrierten Agenten: Aus ein paar hundert wurden binnen vier Jahren rund 2.000; viele der Neulinge sind unmittelbar mit ihren Klienten verwandt.
Vor allem die jüngere Profi-Generation setzt zunehmend auf Rat und Tat aus dem familiären Umfeld. „Man hat schließlich nur eine Karriere“, erklärt Bournemouth-Stürmer Jordon Ibe (23), der seine Interessen von Mutter Charlet vertreten lässt, gegenüber der „New York Times“. „Was kann denn schon verkehrt daran sein, dass meine Mum und der Rest meiner Familie sich um mich kümmern.“