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Im Hotel haben sie später noch gesungen. Nicht beson­ders laut und fröh­lich, das gab der Anlass nicht her, aber irgendwie musste ja auch Sebas­tian Kehls Geburtstag gewür­digt werden. 39 Kerzen fla­ckerten müde auf der Torte des Team­ma­na­gers von Borussia Dort­mund. Er hat sicher­lich schon schö­nere Feste gefeiert als jenes in der Nacht zu Don­nerstag im Schatten des Lon­doner Wem­bley­sta­dions, wo seine Mann­schaft die schmerz­haf­teste Erfah­rung einer bis­lang so wun­der­schön ver­lau­fenen Saison machte.

Die 0:3‑Niederlage bei Tot­tenham Hot­spur im Hin­spiel des Cham­pions-League-Ach­tel­fi­nales war der vor­weg­ge­nom­mene Abschied von der euro­päi­schen Bühne. Damit kann der BVB leben, auch mit dem unaus­ge­spro­chenen Vor­wurf, dass die gesamte Fuß­ball-Bun­des­liga schlecht dasteht, wenn sich ihr Anführer vom Tabel­len­dritten der Pre­mier League vor­führen lässt.

Viel schwerer trifft die Dort­munder das psy­cho­lo­gi­sche Moment. Die Vor­ah­nung, dass da etwas auf der Kippe stehen könnte. Dass die Wochen und Monate der Unbe­schwert­heit und Leich­tig­keit passé sind und es gar nicht so ein­fach sein dürfte, den Lauf der Dinge wieder in die Spur zu bringen. Cham­pions League war ges­tern und morgen ist Bun­des­liga, genau genommen am Montag, wo der BVB beim Abstiegs­kan­di­daten Nürn­berg zeigen muss, wie viel einer mög­li­chen Meis­ter­mann­schaft noch in ihm steckt. Fünf Punkte Vor­sprung auf den FC Bayern Mün­chen sind schnell ver­spielt.

Tot­tenham ist keine Über­mann­schaft“

Anders als vor einer Woche im natio­nalen Pokal gegen Werder Bremen hat sich Borussia Dort­mund in London nicht einer an die Grenzen ihrer Mög­lich­keiten gehenden Mann­schaft beugen müssen, es war kein Pech im Spiel und auch kein Mangel an Glück. Tot­tenham ist keine Über­mann­schaft“, befand Sebas­tian Kehl. Nur war Borussia Dort­mund am Mitt­woch ein­fach nicht gut genug, um 90 Minuten lang auf geho­benem euro­päi­schem Niveau zu bestehen.

Lucien Favre deu­tete in der Nacht von Wem­bley mit für ihn unge­wohnter Gelas­sen­heit an, er sei gar nicht so über­rascht von der Leis­tungs­delle. So etwas gehört zum Fuß­ball“, sagte Dort­munds schwei­ze­ri­scher Trainer, und es komme nun darauf an, wie seine Mann­schaft damit umgehe. Ob und wie sehr sie lern­fähig sei, denn es sei ja nicht alles schlecht gewesen. In der ersten Halb­zeit haben wir sehr gut gespielt“, fand der 61-jäh­rige Favre. Auch Tot­ten­hams süd­ko­rea­ni­scher Stürmer Heung-Min Son, der schon zu seinen Bun­des­li­ga­zeiten bevor­zugt gegen den BVB getroffen hatte, sprach in seiner Retro­spek­tive davon, dass Dort­mund in der ersten Halb­zeit ein biss­chen besser war“. Was den anschlie­ßenden Zusam­men­bruch umso unver­ständ­li­cher erscheinen lässt.

Sym­bo­lisch für die Mög­lich­keiten, aber auch den aktu­ellen Zustand dieser Mann­schaft war die Vor­stel­lung von Jadon Sancho. Der 18 Jahre alte Eng­länder hat diese Spiel­zeit als eine pure Anein­an­der­rei­hung von Erfolgen und Kom­pli­menten erlebt. Sein mit­rei­ßendes, schnelles und phan­ta­sie­volles Spiel prägte eine Halb­serie lang den neuen Dort­munder Stil. Sancho ist in der Nähe von Wem­bley auf­ge­wachsen. Das Spiel bei den Spurs war das erste mit dem BVB in der alten Heimat, aber nur in der ersten Halb­zeit war bei ein paar Dribb­lings und Sprints zu erkennen, warum sich die Bun­des­liga so schwer in ihn ver­liebt hat. Später lief Sancho nur noch hin­terher, gewann kaum noch einen Zwei­kampf und trug seinen Anteil an einer erschre­ckend schwa­chen Dort­munder Defen­siv­leis­tung.

Poch gives Sancho an eng­lish lesson“, titelte das Bou­le­vard­blatt The Sun“ am Mitt­woch. Poch“ ist der Spitz­name von Tot­ten­hams Trainer Mau­ricio Pochet­tino, und für die Sancho zu ertei­lende Lehr­stunde hatte er Jan Ver­tonghen aus­ge­wählt. Immer wieder zeigte der Bel­gier auf dem linken Flügel das, was sich Borussia Dort­mund von seinem jungen Eng­länder erhofft hatte. Schnelle und erfolg­reiche Vor­stöße, zwei davon führten zu den ersten beiden Toren. Für die zweite Halb­zeit habe ich keine Worte“, sprach Sancho später.

Eine Lehr­stunde für Achraf Hakimi

Das defen­sive Äqui­va­lent zum Stürmer Jadon Sancho war Achraf Hakimi. Es war ein dra­ma­ti­scher Fehler des marok­ka­ni­schen Außen­ver­tei­di­gers, der Heung- Min Son gleich zu Beginn der zweiten Hälfte das Füh­rungstor ermög­lichte und damit dem Spiel eine andere Rich­tung gab. Hakimi ist ein Jahr älter als Sancho, auch er zählte mit seinem Speed und Offen­siv­drang bisher zu den großen Ent­de­ckungen dieser Bun­des­li­ga­saison.

Im ver­gan­genen Herbst, beim berau­schenden 4:0 über Atlé­tico Madrid, war er an allen Dort­munder Toren betei­ligt. Doch der Grat zwi­schen Phan­tasie und Leicht­sinn ist schmal. Dass Hakimi an den ersten beiden Gegen­toren betei­ligt war, hat jeder gesehen“, sagte Team­ma­nager Kehl, der mit dem BVB dreimal Meister wurde und 2013 im Finale der Cham­pions League stand. Er muss daraus lernen. Er ist noch sehr jung und hat seine Stärken in der Offen­sive. Wir müssen noch mit ihm an den defen­siven Qua­li­täten arbeiten.“

Die Dort­munder Borussen wären gut beraten, dieses Pro­jekt nicht allein Achraf Hakimi zu widmen.