Roy Hodgson liebt es, wenn ein Plan funktioniert. Doch können Talente wie Harry Kane oder Raheem Sterling England den Glauben an den Fußball zurückgeben?
Die Niederlage gegen den Rivalen stürzte das Land in tiefe Depression, die gleichzeitig reinigende Wirkung haben sollte. Das Selbstbewusstsein war schlagartig futsch. Die jahrhundertealte Überzeugung, eine große Fußballnation zu sein, fundamental beschädigt. Warum hatte niemand die Zeichen deuten können? Seit 1996 war England bei keinem Turnier mehr im Halbfinale gewesen. Das letzte Mal, dass eine Elf das Land so sehr begeistert hatte, dass es sich Hoffnungen auf einen Titel machen durfte, war 1990 gewesen, als Bobby Robsons Partytruppe um ein Haar die deutsche Elf aus dem Turnier bugsiert hätte.
Um ein Haar. Fast. Beinahe. Die Ruhmeshalle des englischen Fußball quillt über vor Konjunktiven. Erst als die Statistiker all die unglücklichen Niederlagen und traumatischen Elfmeterschießen abgerechnet hatten, offenbarte sich die erschütternde Faktenlage.
England hat nur ein einziges Mal etwas Bedeutsames gewonnen: die Weltmeisterschaft 1966 auf heimischem Rasen. Fünfzig Jahre ist das her. Eine Ewigkeit – nicht nur im Fußball. Und die Voraussetzungen, die in den Swingin’ Sixties von der noch mächtigen Football Association mit einer umfassenden Vorbereitung geschaffen worden waren, wird es für die Nationalelf nie mehr geben.
Die Fans identifizierten sich lange nur mit der Premier League
Die Premier League mit ihrer unendlichen Finanz- und Strahlkraft bestimmt längst das Handeln und den Terminkalender. Die großen Klubs wollen ihre Spieler keinesfalls länger als unbedingt nötig für ein Länderturnier abstellen. Die Fans in London oder Manchester interessieren sich längst mehr für die heimlichen Weltauswahlen vor Ort, als für den Verlegenheitskader mit den drei Löwen, dem einer Bestimmung folgend stets im entscheidenden Augenblick die Muffe geht. Kurz: England hat ein gestörtes Verhältnis zu seinem Team.
Die identitätsstiftende Wirkung, die eine Nationalelf in vielen Länder besitzt, kommt auf der Insel oft nur noch in der Provinz zum Tragen, wo kein großkopferter Premier-League-Verein angesiedelt ist, bei dem sich die Stars die Klinke in die Hand geben. Der obszöne Lebensstil, den inzwischen selbst Mittelklasseprofis wegen der exorbitanten Gehälter an den Tag legen, trägt auch nicht dazu bei, dass die Bevölkerung eine übergroße Nähe zu ihren „Boys“ verspürt.
Hodgsons Masterplan: Offensive
Roy Hodgson war bewusst, dass er nicht mehr viel zu verlieren hatte, also trat er die Flucht nach vorn an. Im wahrsten Sinne des Wortes. In der EM-Qualifikation ließ er teilweise mit drei Stürmern spielen. Das System hätte leicht in der Katastrophe enden können. Doch die stärksten Gegner in der Gruppe E hießen Schweiz und Slowenien, die dem offensiven Pressing und den fluffigen Kontern nichts entgegenzusetzen hatten. England gab keinen einzigen Punkt ab, erzielte 31 Tore in zehn Spielen und ließ nur drei Gegentreffer zu.
Die teils langwierigen Verletzungen von gesetzten Spielern wie Jack Wilshere, Jordan Henderson, Wayne Rooney, Danny Welbeck oder Alex Oxlade-Chamberlain, dazu die Formschwäche von Theo Walcott, sorgten parallel für eine Neuordnung der Hierarchie.
Das Fundament der Stammelf stellten zuletzt nicht mehr Spieler aus Manchester, vom FC Arsenal oder dem FC Chelsea, sondern die Blöcke aus Liverpool, die jungen Wilden von Tottenham und ein paar zähe Knochen vom Überraschungsmeister aus Leicester. Plötzlich liefen da Spieler für England auf, für die ein Länderspiele nicht nur eine Pflichtaufgabe in der Zeit darstellte, in der die Champions League ruhte, sondern ein echtes Highlight war.