Nach Thomas Hitzlspergers Coming-out ist die Fußballszene in der Pflicht. Sie muss sich distanzieren von Homophobie und männerbündlerischer Folklore.
Als wir vor ein paar Tagen erfuhren, dass Thomas Hitzlsperger in der „Zeit“ über seine Homosexualität sprechen würde, reagierten wir zunächst wie so viele überrascht. Denn ohne Zweifel markiert das Interview mit dem früheren Nationalspieler einen neuen Schritt in der langen und mühsamen Diskussion über schwule Profisportler. Zugleich fragten wir uns auch, ob sich durch Hitzlspergers Coming-out unser Blick auf ihn ändert.
Wir haben Hitzlsperger in den letzten Jahren immer wieder mal getroffen. Zuerst zu einem Interview bei seinem damaligen Klub Aston Villa. Dort begegnete uns ein junger Profi, der sich angenehm abhob vom Gros seiner Kollegen, einfach dadurch, dass er sich im Gespräch für seinen Gegenüber interessierte. Das kommt sonst selten vor, weil sich viele Profikicker geistig ausschließlich im engen Geviert aus Trainingsplatz, Hotelzimmern, Playstation und Stadion bewegen.
Nur eine weitere Facette seiner Persönlichkeit
In den folgenden Jahren erlebten wir Hitzlsperger ähnlich, als außergewöhnlichen, intelligenten, sympathischen Profi. Als einen, der sich bei Werbeaufnahmen mit der Nationalmannschaft in Stuttgart dagegen sträubte, allzu platte Werbesprüche in die Kamera zu sprechen. Und als einer, der sich beim Kölner Literaturfestival Lit.Cologne wirklich für Kultur, für Bücher und für die Autoren interessierte. All das war und ist nicht alltäglich.
Von 1970 bis heute: Homosexualität im Fußball »
Hitzlspergers Coming-out ist deshalb nur eine weitere Facette seiner Persönlichkeit, die ihn weder mehr noch weniger interessant macht. Natürlich liest man aufmerksam, wie sich Hitzlsperger während seiner Profikarriere inmitten des oft männerbündischen Profifußballs mit den Verhältnissen arrangiert hat und wie sehr bisweilen zur Selbstbestätigung auch die Ablehnung alles Unmännlichen gehört, dumme Schwulenwitze inklusive.
Wie aufgeklärt ist die Fußballgesellschaft wirklich?
Spannender jedoch als das Outing ist die nun folgende Diskussion in der Öffentlichkeit, die in der Vergangenheit immer wieder Bekenntnisse, eher sogar Geständnisse schwuler Profis eingefordert hat. Nun hat mit Hitzlsperger ein prominenter Fußballer, Nationalspieler und Vize-Europameister 2008, über seine sexuelle Orientierung gesprochen, nicht getrieben von drohenden Veröffentlichungen, sondern aus freien Stücken, „weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte“, wie er sagt.
In diese Diskussion ist in letzter Zeit zwar etwas Bewegung gekommen. Die Outings des Boxers Orlando Cruz, des walisischen Rugby-Spielers Gareth Thomas und des Profifußballers Robbie Rogers haben gezeigt, dass die Sportler für ihren Mut, diesen Schritt zu wagen, breiten Zuspruch erfahren. Dennoch hat Thomas Hitzlspergers Coming-out zumindest für den deutschen Fußball eine neue Qualität. Denn nun muss sich erweisen, wie aufgeklärt die Fußballgesellschaft hierzulande tatsächlich ist.
Es existiert, Stand heute, eine merkwürdige Mischform aus existierenden und fiktiven Zuständen. Da ist einerseits eine ganz reale Schwulenfeindlichkeit, die sich immer wieder Bahn bricht. Wenn Trainer wie Christoph Daum keine Grenze zwischen Homosexualität und Phädophilie ziehen wollen, wenn im Mannschaftskreis dumm daher geredet wird oder wenn manche Ultragruppen die Konkurrenz mit homophoben Sprüchen schocken wollen.
Daneben gibt es aber auch noch eine lediglich angenommene Realität, die davon ausgeht, dass ein schwuler Profi nach seinem Coming-out Schlimmes zu befürchten hätte, dass er in den Stadien bepöbelt und in der Kabine geschnitten würde.
Überwiegend Sympathie und Anerkennung
So wird es wohl nicht kommen. Schon jetzt zeigen die Reaktionen im Netz, dass ihm weit überwiegend Sympathie und Anerkennung entgegen gebracht wird. Wenn er wollte, könnte er in den nächsten Wochen durch die Talkshows flanieren. Er wird sich dem wohl entziehen, schon weil ihm die Vorstellung, in Zukunft auf seine sexuelle Orientierung reduziert zu werden, ein Graus sein dürfte.
Ebenso wenig wird Hitzlspergers Coming-out dazu führen, dass ihm nun massenweise andere Kicker folgen werden. Das liegt an den Zuständen, die er im „Zeit“-Interview treffend beschrieben hat. „In England, Deutschland oder Italien ist Homosexualität kein ernsthaftes Thema, nicht in der Kabine jedenfalls“, sagt er.
Durch Hitzlspergers Schritt muss die Fußballgesellschaft Farbe bekennen. Will sie in alten Denkmustern verharren und sich entlang antiquierter Geschlechterrollen definieren oder will sie nun einen Schritt machen – hin zu einem Sport, in dem schwule Profis ebenso stinknormaler Alltag sind wie heterosexuelle. Wenn man so will, hat der Fußball also sein Coming-out noch vor sich.