Bayern München gewinnt den Pokal. Doch darüber schwebt die Frage: Tor oder nicht Tor? Im Pokalfinale hat Schiedsrichter Florian Meyer einen klaren Treffer nicht anerkannt. Also reden alle über die Torlinientechnik-Debatte.
Mats Hummels wirkte zerknirscht. Nach dem Spiel schlich der Innenverteidiger als einer der ersten Dortmunder durch die Mixed Zone in Richtung Mannschaftsbus. Mit leiser Stimme erklärte Hummels den wartenden Journalisten: „Ich habe sofort gesehen, dass der Ball drin war, aber ich war ja auch nur einen Meter weg.“ Der Verteidiger sprach über die kritischste Szene dieses DFB-Pokalfinales zwischen Bayern München und seinem BVB. Bayern-Abwehrspieler Dante hatte in der 64. Minute beim Stand von 0:0 einen Hummels-Kopfball hinter der Linie geklärt. Der Pfiff von Schiedsrichter Florian Meyer blieb aber aus.
Zwar wollten weder Spieler noch Verantwortliche vom BVB die Fehlentscheidung als Ausrede für die unter dem Strich verdiente 0:2‑Niederlage gegen die Bayern gelten lassen, dennoch haderten sie mit Meyer. „Die Bilder sind eindeutig. Es ist schade, dass so ein Finale durch eine Fehlentscheidung letztlich entschieden wird“, so Manager Michael Zorc. Trainer Jürgen Klopp sagte: „Wenn ein Spieler, wie in dem Fall Dante, mit dem rechten Bein auf der Linie steht und mit links den Ball rausschlägt, dann muss es ein Tor sein. Da musst du schon vom Cirque du Soleil sein, um den noch von der Linie zu kratzen.“
Ein zu später Hilferuf?
Dass Schiedsrichter-Assistent Frank Willenborg – wie kurzfristig vom Boulevard in Umlauf gebracht wurde – sogar auf den Mittelpunkt gezeigt und damit signalisiert haben soll, dass der Ball im Tor war, brachte Klopp zusätzlich auf die Palme: „Wenn das so wäre, wäre das ein Hammer. Wenn der Schiedsrichter den überstimmt, der das am besten sieht, habe ich kein Verständnis mehr.“ Linksverteidiger Marcel Schmelzer unterstützte die von einigen Journalisten beobachtete Szene: „Ich hatte den gleichen Gedanken. Ich habe gesehen, dass er mit der einen Hand zur Mittellinie gezeigt hat und dachte eigentlich, dass das ein Tor ist.“ Nur gut, dass Schiedsrichter Meyer diese Szene nur Minuten später selbst ins Reich der Fabeln verwies.
Unabhängig davon, ob und wie Meyer und Willenborg nun in der Szene entschieden haben, ist mit dem Pokalfinale eine leidige Debatte auf die große Fußball-Bühne zurückgekehrt: das Für und Wider der Torlinientechnik. Eigentlich wollten die Vereine sich in naher Zukunft nicht mehr damit beschäftigen. Unmittelbar nach dem Pokalfinale war sie doch wieder in aller Munde. Sowohl zu Klopp als auch zu Zorc soll Schiedsrichter Meyer gesagt haben, es täte ihm leid, aber da seien ihm die Hände gebunden. Da brauche man die Technologie. Ein zu später Hilferuf des Unparteiischen?
Ende März lehnten die 36 Vereine der ersten und zweiten Liga die Einführung der Torlinientechnik ab. Es ist kein Geheimnis, dass Bayern München und Borussia Dortmund zu den Befürwortern des Beweismittels zählten. Auch aus diesem Grund sagte Zorc nach dem Pokalspiel angefressen: „Wir konnten es nicht im Alleingang durchsetzen. Es ist und bleibt für mich unverständlich.“ Und Schmelzer ergänzte: „Ich glaube alle die dagegen gestimmt haben, waren noch nie in der Situation aufgrund einer solchen Szene ein wichtiges Finale verloren zu haben.“
Im Gegensatz zu den Dortmundern sprachen sich die meisten Bayern-Akteure unmittelbar nach Spielschluss gegen die Einführung der Technik aus. So sei nun einmal der Fußball, sagte Jêrome Boateng. Torwart Manuel Neuer erklärte, er sei ein Freund der Tatsachenentscheidung und hätte keine Lust später auch Fouls und Zweikämpfe zu diskutieren. Und Kapitän Philipp Lahm, der nach 30 Minuten verletzt vom Platz humpelte, gab zu Protokoll: „Das ist natürlich bitter für Dortmund. Aber ich habe mir auf der Bank gedacht, dass man nach der Einführung der Technik auch viele weitere Entscheidungen hinterfragen müsste.“ Lahm dachte an die Szene, in der Keeper Neuer den Ball an der Seitenauslinie klärte, Robert Lewandowski sich vom Balljungen einen Ball zuwerfen ließ und den Einwurf so schnell ausführte, dass Neuer noch längst nicht wieder in seinem Kasten stand.
„Müssen wir dann zum Beispiel auch über Balljungen und ihr Verhalten diskutieren?“, fragte Lahm, der außerdem sagte: „Irgendwie machen den Fußball solche Diskussionen doch auch aus.“ Mit seinen Aussagen mag Lahm durchaus Recht haben. Und es ist ja ohnehin nicht zweifelsfrei geklärt, ob Hummels vor seinem verwehrten Treffer nicht vielleicht doch einen Millimeter im Abseits stand. Das hätte Meyer aber selbst bei Einführung der Technik nicht überprüfen können.
Spiele in Ostsibirien
Trotzdem könnte der DFB in wichtigen Spielen wie einem Pokalfinale auch über wesentlich leichter umzusetzende Hilfestellungen für Schiedsrichter nachdenken. Etwa die in europäischen Spielen bereits üblichen Torrichter. „Ich weiß nicht, warum die nicht dabei waren. Vielleicht waren sie alle schon im Urlaub“, motzte Klopp auf der Pressekonferenz. „Bei Spielen in Ostsibirien stehen diese Leute auf der Linie und wir lassen sie bei einem Pokalfinale eines so großen Verbandes wie dem DFB einfach zu Hause“, sprach er und ging.
Das tat auch Mats Hummels. Der verhinderte Torschütze bestieg nach den kurzen Erklärungen in der Mixed Zone den Mannschaftsbus und ließ sich mit den Teamkollegen zur BVB-Party ins Berliner Kraftwerk chauffieren. Um Mitternacht meldete sich Hummels noch einmal zu Wort. Per Facebook kommentierte er ein Foto der aus Dortmunder Sicht spielentscheidenden Szene: „Das sieht natürlich bitter aus.“ Seinen Ehrgeiz schien der der Nationalspieler allerdings schon wieder zurück zu haben: „Nächstes Jahr gibts ‘nen Titel. Ich weiß nicht welchen, aber es gibt ‘nen Titel“, versprach er kämpferisch.