Peter Fischer, Präsident von Eintracht Frankfurt, nimmt beim Thema Fans wahrlich kein Blatt vor den Mund. Vor dem Auftaktspiel in der Europa League gegen Girondins Bordeaux sprachen wir mit ihm über Pyrotechnik und die Gefahr von rechts.
Peter Fischer, neulich sind Fotos aufgetaucht, die Sie auf dem Flughafen von Baku zeigen. Nach dem Auswärtsspiel in der Europa-League-Qualifikation gegen den aserbeidschanischen Vertreter Qarabag Agdam kauften Sie wartenden Eintracht-Fans Cognac im Wert von 250. Hält man als Präsident so den Kontakt zu seiner Basis – mit Alkohol?
Schnaps ist keine Lösung. Aber in diesem Fall – Ortszeit 3 Uhr morgens, lange Wartezeit wegen Nachflugverbot in Frankfurt, ein geöffneter Duty-Free-Shop, hunderte Eintracht-Fans, die die Strapazen auf sich genommen hatten – eine ganz gute Idee.
Wenn Schnaps keine Lösung ist, wie schafft man es dann als oberster Funktionär eines Vereins mit 23.000 Mitgliedern und 750 Fanklubs nicht den Draht zur Kurve zu verlieren?
Ich habe dabei einen entscheidenden Vorteil: Ich bin in der Eintracht-Kurve großgeworden und aufgewachsen. Das war früher mein zweites Zuhause. 1969 habe ich mich das erste Mal als kleiner Junge ins Stadion geschlichen – ohne Eintrittskarte. Anfang der Siebziger hatte ich dann eine Dauerkarte im berühmten G‑Block. Aber wie es so ist im Fandasein: Je mehr Haare man verliert, desto mehr wandert man im Stadion von der Stehkurve zu den Sitzschalen.
Hand aufs Herz: Wie häufig haben Sie früher „Vorstand raus!“ gebrüllt?
Manchmal erwische ich mich heute noch dabei, wie ich im Eifer des Gefechts des Rauswurf des Präsidenten fordere. Dann fällt mir ein: Das bin ja ich! Ganz im Ernst: In meiner Funktion habe ich mit so vielen Dingen zu tun, die nicht in zweimal 45 Minuten passen, da muss man eher darauf achtgeben, nicht die Sicht des Fans auf das Spiel zu verlieren. Denn das würde mir die große Leidenschaft in meinem Leben zerstören.
Sie sind in den Siebzigern als Fußballfan sozialisiert worden. Nicht unbedingt die friedlichste Phase in den Kurven.
Wir haben uns schon ab und an in Auseinandersetzungen wiedergefunden. Mit meinen 2,01 Meter hatte ich zumindest gute Vorraussetzungen.
Dürfen wir das schreiben: „Eintracht-Präsident Peter Fischer war früher Hooligan!“?
Das wäre dann allerdings übertrieben.
Welche Erinnerungen verbinden Sie noch mit Ihrer Zeit als aktiver Fan?
Mit historischen Erinnerungen bin ich immer vorsichtig. Die verklärt man zu schnell und glaubt dann irgendwann, selbst Teil der Historie zu sein. Aber wenn Sie mich schon fragen: Das Klaus-Augenthaler-Tor gegen Uli Stein kommt mir in den Sinn, aber auch Lajos Detari, der ja eigentlich vollkommen überbewertet wurde, aber eben das Pokalendspiel 1988 gegen Bochum mit diesem wunderbaren Freistoß ganz alleine entschied. Doch eigentlich sind mir eher die Fahrten und Reisen zum Fußball, als die Spiele an sich im Gedächtnis geblieben.
Inwiefern?
Ich habe durch die Liebe zum Fußball Freunde und Bekannte kennengelernt, sogar meine erste Frau, die mir das erste Mal im Block begegnet ist. Und statt Handynummern auszutauschen, musste ich immer darauf hoffen, dass sie auch beim nächsten Auswärtsspiel mit am Start sein würde.
Waren Sie Kuttenträger?
Nein. Aber ich hatte jahrelang ein Minolta-Trikot bei den Spielen an, das habe ich geliebt. Heute bin ich dafür leider zu dick.
Kennen Sie diesen typischen Traum eines Fußballfan: Einmal im Leben ein entscheidendes Tor für den eigenen Verein schießen und dann das Bad in der Menge nehmen?
Natürlich! Mein Gott, wie häufig habe ich ich mir das schon ausgemalt: Wie der Trainer keine Spieler mehr auf der Bank hat und der Stadionsprecher ruft „Block 14, Reihe 27, Sitz 17 – ihr Klub braucht sie jetzt!“. Und wie ich dann aufspringe, mich noch in den Katakomben umziehe, eingewechselt werde und in der letzten Minute das entscheidende Tor schieße!
Irgendeinen Wunsch, wie das Tor fallen sollte?
Ich brauche keinen Fallrückzieher, mir reicht ein schnöder Kopfball aus dem Gewühl heraus. Zumal ich mir einrede, dass das bei meiner Größe sogar wirklich möglich wäre.
Gegner?
Völlig egal. Kann auch – bitte nicht übel nehmen – Fürth sein. Ich würde alles nehmen. Hauptsache, einmal die Eintracht zum Sieg führen!
Würden Sie sagen, dass Fan sein auch davon lebt, Rivalitäten zu pflegen?
Sport wäre ohne Rivalitäten gar nicht denkbar. Dann braucht man ja auch keinen Sieger finden. Deswegen habe ich nichts gegen Fan-Rivalitäten. Meiner Meinung nach ist verbal auch fast alles erlaubt, bis auf rassistische, faschistische, fremdenfeindliche und irgendwie diskriminierende Äußerungen. Gegnerische Fans können sich von mir aus beschimpfen, bis ihnen die Ohren abfallen. Nur Gewalt, das akzeptiere ich einfach nicht.
Das müssen Sie schließlich auch sagen – als Präsident eines Bundesligaklubs. Wollten Sie das eigentlich immer werden: Präsident Ihres Vereins?
Um Gottes Willen, nein! Eher hätte ich mir vorstellen können, Olympiasieger im Bodenturnen zu werden, als Präsident von Eintracht Frankfurt. Eigentlich eine absolut idiotische Entscheidung, aber irgendwer musste den Job halt damals machen. Bis heute weiß ich aber auch nicht so genau, was mich damals geritten hat, die Aufgabe auch anzunehmen.
Aber, Herr Präsident, jetzt mal ehrlich: Lecker Lachshäppchen in der vorgewärmten Loge zu verputzen ist doch viel bequemer, als im Block zu stehen und Bier in den Nacken gekippt zu bekommen.
Ha, jetzt muss ich Sie noch nicht mal anlügen: Ich mag gar keinen Lachs! Aber ich weiß ja, worauf Sie hinauswollen. Und ja: Beim berühmt-berüchtigten Spiel im Februar bei Schneeregen und verträumten zwei Grad plus genieße ich schon den Luxus, hinter einer Glasscheibe zu sitzen und den Satz zu hören: „Noch etwas Zitrone für Ihren Tee, Herr Fischer?“
Pyro ja oder Pyro nein?
Im Moment: nein. Ich gebe zu: Beim Anblick von Fankurven, die vom roten Pyro-Nebel eingehüllt sind, bekomme ich eine Gänsehaut. Dieser Faszination kann ich mich nicht entziehen. Aber das Risiko für schwerwiegende Verletzungen ist leider viel zu groß. Es ist ja auch illusorisch anzunehmen, dass Fans in einem bestimmten Bereich ein Seenotfeuer schwenken und das Teil unter Aufsicht der Feuerwehr anschließend ordnungsgemäß löschen. Und so lange wir keine Lösung für das Sicherheitsproblem gefunden habe, muss ich die Frage mit „nein“ beantworten.
Ist die Fanszene der Gegenwart gewaltbereiter als noch vor 10, 20 oder 30 Jahren?
Auf keinen Fall. Die deutsche Ultra-Szene im Jahr 2013 hat ein Pyro-Problem und einige Fanszenen ein Nazi-Problem. Aber gewalttätiger als früher ist sie ganz sicher nicht.
Was denken Sie dann, wenn Sie eine anerkannte Journalistin wie Sandra Maischberger von den „Taliban der Fußballfans“ sprechen hören?
Das macht mich unglaublich wütend. Am liebsten möchte ich jeden, der Konflikte mit Fußballfans mit Krieg und Terror gleich setzt, packen und in diese Krisenregionen karren. Völkermord in einem Atemzug mit einer Schlägerei unter Fans nennen – ja, geht’s denn noch?
Sie haben das Nazi-Problem angesprochen – wie sollte eine Fanszene Ihrer Meinung nach auf die rechte Gefahr reagieren?
Da muss ich mich dann in Sachen Gewaltverzicht doch korrigieren: Das braune Pack sollte jede anständige Kurve selbstständig aus dem Block prügeln. Das haben wir früher so gemacht, das wird in Frankfurt heute noch so gemacht. Und da bin ich stolz drauf. Deswegen haben wir eine so große und bunte Szene, wo wirklich jeder willkommen ist, dessen Herz für die Eintracht schlägt.