Eigentlich hätte Jens Kirschneck den Champions-League-Sieg bejubeln sollen, oder zumindest den UEFA-Cup. Aber es kam alles ganz anders. Wegen Stadien aus Lego und einem Besuch bei Tante Ro.
Eigentlich hätte auch alles ganz anders kommen können. Aber wenn es heißt, dass der erste Stadionbesuch einen fürs Leben prägt, dann ist bei mir irgendwas schief gelaufen. Im Grunde war alles bereitet für eine glamouröse Fankarriere in Schwarzgelb oder Königsblau, doch die Wege des Fußballgottes sind seltsam, plötzlich gibt es einen Fehler im Zeitablauf und man landet im Fahrstuhl, in dem man dann für den Rest des Lebens gefangen bleibt.
Doch von Anfang an. 1977 spielte ich in der D‑Jugend des SV Bölhorst/Häverstädt, kurz: SVBH. Wir waren nicht gut, sondern schlecht. Auch unser Trainer war nicht gut, hatte aber immerhin gute Ideen: zum Beispiel, dass es unserer Gruppe talentfreier Grobmotoriker gut tun könnte, mal etwas aus der Nähe anzusehen, was tatsächlich an Fußball erinnerte. In der näheren Umgebung war es diesbezüglich übel bestellt. Der SVBH spielt im Kreis Minden-Lübbecke, dessen athletisch begabter Nachwuchs traditionell dem Handballsport zugeführt wird. Die besten Fußballklubs kommen bis heute selten über die sechste Liga hinaus.
Also fuhren wir ins Dortmunder Westfalenstadion. BVB gegen S04, 14. Spieltag der Saison 1977/78, ausverkauftes Haus, Bombenstimmung. Mit anderen Worten: Es war alles da, um dem noch sehr jungen Jens Kirschneck ein Erweckungserlebnis zu bescheren.
Das Personal auf beiden Seiten: exquisit. Manni Burgsmüller, „Ente“ Lippens, Mirko Votava, Wolfgang Frank, „Tanne“ Fichtel, Rolf Rüssmann, „Abi“ Abramczyk, Klaus Fischer, die Kremers-Zwillinge, um nur einige zu nennen. Die Atmosphäre: jedenfalls kein Vergleich mit dem Niedernfeldstadion des SV Bölhorst/Häverstädt, wobei diesen zugigen Acker Stadion zu nennen sicher einem begabten Humoristen eingefallen ist. Der Spielverlauf: hochdramatisch. 1:0 Burgsmüller, 1:1 Fischer, dann immer hin und her, schließlich 2:1 durch einen Foulelfmeter von Lothar Huber drei Minuten vor dem Abpfiff. Südtribüne explodiert.
Man hätte danach problemlos Dortmund-Anhänger werden können, aus schierer Begeisterung. Oder Schalke-Fan, aus Mitgefühl wegen der unglücklichen Niederlage. Beides ist nicht passiert. Denn es war schon zu spät.