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Marco Noli, glaubt man der jüngsten Bericht­erstat­tung, gibt es eine ekla­tante Gewalt­zu­nahme beim Fuß­ball. Es heißt, dass der DFB den Fans bis­lang zu tole­rant begeg­nete. Wie sehen Sie das?
Ich kann keine Stei­ge­rung der Fan­ge­walt erkennen. Die Ver­letz­ten­zahlen in den Sta­dien sind rück­läufig. Dort ist es heut­zu­tage viel sicherer als in der Ver­gan­gen­heit. Beim Fuß­ball pas­siert weniger als zum Bei­spiel auf dem Okto­ber­fest.

Es gab diese Saison Platz­stürme und Pyro-Ver­gehen. Wurde das in der Bericht­erstat­tung auf­ge­bauscht?
Ja. Solche Aktionen hat es auch in der Ver­gan­gen­heit gegeben. Früher wurde Pyro­technik süd­län­di­sche Begeis­te­rung“ genannt, heute spricht man von schweren Ran­dalen“. Und wenn Anhänger früher nach einem Auf­stieg auf den Platz rannten, sprach man ihnen eine unbän­dige Freude zu. Heute heißt das­selbe Sze­nario Platz­sturm“. Die Worte haben sich also ver­än­dert – die Tat­sa­chen nicht. Natür­lich darf man nicht über­sehen, dass es im Ein­zel­fall Gewalt­aus­brüche gibt, die gefähr­lich und nicht zu tole­rieren sind. Aber auch das gab es schon früher.

Die Medien haben also falsch berichtet? 
Die meisten Medien haben häu­figer einen Reflex zu skan­da­li­sieren und sind an einer sach­li­chen Dis­kus­sion gar nicht inter­es­siert. Mitt­ler­weile hat diese Hys­terie das Ausmaß einer Hetz­kam­pagne gegen Fuß­ball­fans erreicht. Das halte ich für sehr gefähr­lich. Begriffe wie Ran­dale“, Kra­walle“ und Aus­schrei­tungen“ werden völlig undif­fe­ren­ziert und infla­tionär ver­wendet. Die gesamte öffent­liche Debatte ist völlig von der Rea­lität abge­driftet.

Wie kommt das? 
Die Debatte wird von Leuten geprägt, die ihre Eigen­in­ter­essen ver­folgen und meist keine Ahnung von der Fan­rea­lität haben, weil sie viel zu weit weg sind. Das beste Bei­spiel: Nach dem zweiten Rele­ga­ti­ons­spiel zwi­schen Düs­sel­dorf und Hertha BSC bestimmten Begriffe wie Todes­angst“ der Spieler und ein zu befürch­tendes Blutbad“ die Medien. Wie soll da noch sach­lich dis­ku­tiert werden? Wenn Ver­eins­ver­treter des unter­le­genen Klubs solche Begriffe aus purem Eigen­nutz benutzen, um even­tuell eine bes­sere Posi­tion im Sport­pro­zess zu haben, dann wird damit bös­willig Gift in die Debatte gegossen. Und schauen Sie sich nur das TV-Pro­gramm dieser Woche an: Da dis­ku­tieren Show­größen in Talk­shows bei Maisch­berger und Plas­berg über Fan­kultur. Dabei werden Ultras mit den Taliban ver­gli­chen und bumms­dumm“ genannt. Cho­reo­gra­phien im Sta­dion werden als faschis­toid bezeichnet. Das ist eine Unver­schämt­heit und reiner Popu­lismus. Nach sol­chen Sen­dungen beginnen die Dia­log­be­mü­hungen der Fans stets wieder bei Null.

Nach dem zweiten Rele­ga­ti­ons­spiel zwi­schen Hertha BSC und For­tuna Düs­sel­dorf sagte Innen­mi­nister Hans-Peter Fried­rich: Was wir jetzt erlebt haben, zeigt, dass die Gewalt in den Sta­dien die größte Bedro­hung für den Fuß­ball ist.“ Sollten sich auch Poli­tiker mit Mei­nungs­äu­ße­rungen zurück­halten?
Ich ver­stehe, dass sich ein Innen­mi­nister dazu äußert. Doch auf wel­cher Basis tut er das? Selbst die Polizei scheint mir viel zu weit weg vom Geschehen. Da sind die Wort­führer nicht immer die, die am Sta­dion im Ein­satz waren, son­dern Polizei-Gewerk­schafter, die Öffent­lich­keits­ar­beit machen. Es geht auch hier zu häufig um Eigen­in­ter­essen.

Welche Ver­säum­nisse werfen Sie dem DFB vor?
Er betei­ligt sich manchmal zu vor­schnell an der Hys­te­rie­mache und schottet sich zu sehr von den Fans ab. Ein Bei­spiel: Es gibt seit einigen Monaten die Fan­in­itia­tive Pyro­technik lega­li­sieren – Emo­tionen respek­tieren“. Diese Initia­tive war daran inter­es­siert, das Thema Pyro­technik auf eine sach­liche Dis­kus­si­ons­ebene zu bringen. Doch der DFB erklärte die Gespräche abrupt für beendet, und behaup­tete dann auch noch, dass nie wirk­lich ver­han­delt werden sollte, obwohl bereits zahl­reiche Gespräche statt­ge­funden hatten und auch schon Zusagen des DFB gemacht worden waren. Die Fans fühlten sich ver­schau­kelt. Die Folgen sehen wir nun.

Und zwar?
Es wird mehr Pyro­technik gezündet als je zuvor. Zudem zünden die Fans nun häu­figer jene Art der Pyro­technik, aus der nichts als Rauch ent­steht. Ver­mut­lich, weil man das Rauch­pulver dafür leichter ins Sta­dion bekommt. Ich plä­diere daher für eine Teil­le­ga­li­sie­rung von Pyro­technik, die ein Abbrennen in einem gesi­cherten Bereich vor­sieht. Damit kann man die Gefahr besei­tigen, die gerade durch die Ille­ga­li­sie­rung ent­standen ist, etwa weil sich die Fans nun enger zusam­men­stellen, und Ben­galos vor ihre Köpfe halten oder auf den Boden legen, um nicht iden­ti­fi­ziert zu werden. Der DFB hat nun neue Wege ange­kün­digt. Wir sind gespannt, was dies bedeuten soll.

Die Arbeits­ge­mein­schaft Fan­an­wälte, der Sie ange­hören, hat diese Woche eine Stel­lung­nahme abge­geben. Darin heißt es unter anderem, dass Gerichte bei der Straf­ver­fol­gung von Fuß­ball­an­hän­gern andere Maß­stäbe ansetzen als im Straf­recht ohne Fuß­ball­bezug. Woran machen Sie das fest?
Es gibt bei vielen Gerichten mitt­ler­weile spe­zia­li­sierte Staats­an­wälte für Fuß­ballan­ge­le­gen­heiten. Teil­weise wird auch bei kleinen Delikten ein Ermitt­lungs­auf­wand betrieben, als ginge es um Mord­er­mitt­lungen. Und Baga­tell­de­likte werden weitaus sel­tener ein­ge­stellt als in anderen Fällen. Beim Fuß­ball setzen Polizei und Justiz bereits jetzt andere Maß­stäbe an.

Was meinen Sie kon­kret?
Eine Schub­serei bei einem Fuß­ball­spiel ist mitt­ler­weile etwas anderes als eine Schub­serei in einer Dis­ko­thek. Weil die Skan­da­li­sie­rung um Fuß­ball­ge­walt so stark zuge­nommen hat, bestrafen in Fuß­ball­sa­chen härter bestraft als in anderen Ange­le­gen­heiten.

Herr Noli, wie kann denn ein Dialog mit den Fans aus­sehen?
So wie er auf dem Fan­kon­gress Anfang des Jahres ange­dacht war. Die Fans streckten damals die Hand aus. Sie luden Ver­treter vom DFB, der DFL, den Ver­einen und der Polizei ein. Doch es tauchten nur wenige Funk­tio­näre auf – und kein ein­ziger Polizei-Ver­treter. Das bestä­tigt mich in der Annahme, dass die Polizei nicht an einer Dis­kus­sion inter­es­siert ist, son­dern einzig an Repres­sionen.

Also kann eine Ent­span­nung über­haupt nicht statt­finden?
Doch, klar. Nötig wäre im ersten Schritt eine Ver­sach­li­chung der Debatte. Dazu müssten alle Betei­ligten mehr dif­fe­ren­zieren. Pyro ist nicht gleich Gewalt, und ein Platz­sturm bedeutet nicht unbe­dingt Ran­dale. Dazu ein wei­teres Bei­spiel: Beim zweiten Rele­ga­ti­ons­spiel flogen Ben­galos auf den Platz. Das muss man ver­ur­teilen. Doch man sollte auch anÅ­merken, dass es sich um Ein­zelne han­delte. Denn deutsch­land­weit gilt es in allen Fan­szenen als abso­lutes Unding, Pyro­technik aufs Feld zu werfen.

Was wäre der zweite Schritt?
Der Ver­band und die Polizei müssen ihre Taktik der harten Repres­sion und Null-Tole­ranz, die auf die gesamte Fan­szene abzielt, über­denken. Denn diese führen zu Soli­da­ri­sie­rungs­ef­fekten unter den Fans. Wenn man Fans an jedem Spieltag wie Ver­bre­cher behan­delt und öffent­lich als dumpfe Kra­wall­ma­cher stig­ma­ti­siert, muss man sich nicht wun­dern, wenn diese eher näher zusam­men­rü­cken. Und das birgt die Gefahr, dass man eines Tages nicht mal mehr die große Mehr­heit der fried­li­chen Fans erreicht.