Heute Abend spielen Brentford und Fulham um den Aufstieg in die Premier League – und um jede Menge Geld. Das Play-Off-Finale ist das lukrativste Spiel Europas. 120 Millionen Pfund für den Sieger. Nichts für den Verlierer. Wir waren 2013 vor Ort – eine Reportage aus Wembley.
„The size of the prize“, sagt Ian Holloway und schüttelt sachte den haarlosen Kopf, „schaut euch nur an, was auf dem Spiel steht.“ Weiterreden muss er nicht, alle haben die Zahl seit Tagen im Kopf: 120 Millionen. Eine monströse Zahl ist das, die in Britischen Pfund, der härtesten Währung der Welt, an den Gewinner dieses einen Spiels überwiesen wird.
Wembley an einem lauwarmen Tag Ende Mai. Glänzend ist die große Arena und voller Menschen.
Mehr als 82 000 Zuschauer sind gekommen, stolz tragen sie ihre Farben, knallgelb leuchtet die Kurve im Osten, tiefrot die im Westen. Win or lose, das sind die Optionen heute, nichts sonst. Es ist also alles genau so wie zwei Tage vorher, als der FC Bayern hier gegen Dortmund angetreten ist. Nur dass es diesmal, bei Watford gegen Crystal Palace, dem Team von Trainer Holloway, um wirklich viel Geld geht.
Es geht: um den verbliebenen dritten Aufstiegsplatz in die Premier League. Und um 120 Millionen Pfund, die er mindestens mit sich bringt. Vor allem Fernsehgeld, denn die reichste Liga der Welt hat vor kurzem den größten Übertragungsdeal der Geschichte abgeschlossen, selbst das schlechteste Team wird im nächsten Jahr gut 60 Millionen aus dem TV-Pool erhalten, hinzu kommen noch einmal knapp 60 Millionen an sogenannten Fallschirm-Zahlungen, die Absteiger automatisch erhalten. Das schönste Worst-Case-Szenario der Welt.
Ach ja, um das noch zu erwähnen: der Verlierer dieses Spiels, der kriegt gar nichts – oder um in heimischer Währung zu zahlen: fuck all. Und doch lächelt Holloway, da unten auf dem Rasen, sie spielen „God save the Queen“, die Glatze des Trainers glänzt in der Sonne, 80 000 singen beseelt, es ist dies ein sehr englischer Moment, ein großer Moment vor einem großen Spiel, und deshalb lächelt auch der Italiener Gianfranco Zola, der Coach des FC Watford. Beide wissen: Solche Tage sind ziemlich selten im Leben eines Trainers, egal ob er nun Zola, Holloway oder Ferguson heißt.
Wembley reloaded. Nicht mal 48 Stunden nach dem Erfolg der Bayern gegen die Westfalen, an einem strahlenden Montagnachmittag um 15 Uhr, die Deutschen sind weg, die Parks der Hauptstadt voller Menschen und das mächtige Stadion auch, ein Feiertag nicht nur für Londons Bankangestellte.
Ein wunderschöner, nobler Termin, das wichtigste Spiel um den dritten Platz, das es gibt, aber auch für alle Akteure, Fans wie Spieler wie Funktionäre, absolut brutal. 120 Millionen!
Montag totale Freude, Dienstag totale Panik
Ihre Play-off-Halbfinals haben die Teams schon überstanden, gegen die Konkurrenz der Plätze drei bis sechs, Watford schaffte es in letzter Minute gegen Leicester City, nervenzerfetzender Lauf der Dinge, Elfmeter gehalten, schneller Konter, Tor, die Videos vom übers ganze Feld flitzenden Zola gingen um die Welt. Und Crystal Palace gewann auswärts beim Erzrivalen Brighton, danach tanzte Holloway in der Kabine im Ausgehanzug einen wilden Dubstep, auch das ist per wackligem Video dokumentiert.
Doch jetzt, da unten auf dem heiligen Rasen, haben beide ein Problem. Was, wenn es schiefgeht? Und, schlimmer noch: Was, wenn es klappt? Holloway, eigentlich nie um eine Antwort verlegen, hat das mögliche Siegesszenario schon vorab pointiert beschrieben: „Montag: totale Freude. Dienstag: totale Panik.“ 120 Millionen verändern alles, neue Spieler müssen her, das Stadion muss modernisiert, bessere Kabel verlegt werden, selbst das Spielfeld muss größer werden. Oder auch nicht. „Es ist wie im Casino“, so sagt es Steve Parish, einer der Besitzer von Crystal Palace, „du setzt die Zukunft des Klubs auf Rot oder Schwarz. Eine 50:50-Wette, mit der du deinen Fußballverein verändern kannst. Vielleicht. “ Es ist ein guter Tag für ein Glücksspiel, mit viel Sonne und einem kühlenden Wind, der gut tut, weil er den Schweiß trocknet, ein bisschen jedenfalls.
Denn die Angst hat alle Formen angenommen. Sie ist: ein nägelkauender Teenager in der Bakerloo Line, der viel zu früh aufspringt und aufgeregt vor dem Ausgang hin und her tippelt, next stop: Baker Street. Sie ist: die nervöse Unterhaltung zwischen einem alten Mann und seiner Tochter in der Bahn kurz vor Wembley Park. „Wie lange noch?“ – „Vier Stunden, Dad.“ – „Vier Stunden?!“ – „Dad, hör auf zu singen, bitte.“ Die Angst, sie ist schließlich auch eine Pfütze Erbrochenes vor dem Stadion, am wuchtigen Betonpfeiler vor Eingang K.
Oben in Block 548 ist die Angst ein 58 Jahre alter Buchhalter mit grauer Bundfaltenhose und schwarzem Pulli. Steve Fryer, ein schmächtiger Mann mit hängenden Schultern, kauert auf seinem Plastiksitz, verfolgt die ersten tastenden Angriffe seines Teams, der Blick fällt starr durch Brillengläser, die Hände quetschen die Knie. „Normalerweise träume ich nicht vor Spielen “, presst er bei einem Einwurf schnell heraus, ohne den Blick abzuwenden, „aber heute habe ich geträumt, dass wir 2:0 gewinnen. Beim ersten Tor saß ich hier oben, beim zweiten war ich unten auf dem Rasen. Ist das nicht seltsam?“ Fryer geht in sein 50. Jahr als Supporter von Crystal Palace, Dauerkarte Arthur Wait Stand. Fryer war 1979 dabei, beim ersten Aufstieg in die höchste Liga, und auch bei allen folgenden.
Crystal Palace: ein Tritt in den Bauch
1991, als der Klub seinen einzigen Titel gewann, den Zenith Data Systems Cup, einen lächerlichen Ersatzpokal, den es nur sieben Jahre lang gab. Er hat die insgesamt vier Jahre in der Premier League erlebt, oder besser: mitgemacht, und die vier Abstiege jeweils gleich nach dem ersten Jahr. Und den Sommer 2010, als der Klub fast tot war, beinahe pleite, die Fans lärmten vor der Lloyds Bank, bis vier besonders Wohlhabende unter ihnen schließlich Stadion und Verein kauften. Immerhin besser als Rapper P. Diddy oder Diktator Muammar Al-Gaddafi, auch die waren mal interessiert. Nur ein paar Reihen entfernt schließlich saß Steve Fryer, als der wutschnaubende Franzose Cantona einst mit dem Bein voraus über die Werbebande sprang.
Solcherart ist das Leben, wenn du Crystal Palace liebst: ein Tritt in den Bauch. „Du solltest dich besser ans Verlieren gewöhnen, denn das können wir wirklich gut.“ Der Vorabend des Endspiels, Robert Sutherland sitzt im „Spread Eagle“, einem Pub in Croydon, der Heimat des Vereins. Sutherland schreibt für das Fanzine „Five Year Plan“, aber allzu weit voraus schauen will er dann doch nicht. „Wir sind in Wembley, das alleine ist schon was, oder?“
Er merkt, dass das nicht so recht überzeugt, also schiebt er nach: „In den letzten 20 Jahren haben wir nicht allzu viel gerissen.“ Das wiederum hat der Klub mit seinem Stadtteil gemein, wie auch Sutherland leichthin zugibt. Die Straßen in Croydon, 20 Minuten südlich der City, sind an einem Sonntagabend gespenstisch leer, alles erinnert an das Set eines Remakes von „Vanilla Sky“, bis dann doch zwei Menschen um die Ecke biegen, ein Mann in Camouflage- Hose, der neben einem Rollstuhlfahrer herläuft und laut auf ihn einblökt. Die Mittelklasse zieht noch weiter raus, wenn sie kann. Während der „London Riots“ im August 2011 brannte auch Croydon.
Klingt das nicht schon mächtig nach Beschiss?
Und Palace, der „Stolz von Südlondon“, wurde letztes Jahr 17. der Championship, ein richtig mieser Zweitligaklub. „Sie haben so schlecht gespielt, dass sie mich aus England vertrieben haben“, sagt Sutherland, der drei Jahre in Amerika gelebt hat. „Als ich wiederkam, im November, waren sie Erster.“ Und nun: Wembley. Es ist ein weiter, beschwerlicher Weg aus dem schmuddeligen Süden bis hier herauf unter den großen, weißen Bogen. Der FC Watford, Ex- Klub von Glitzerstar Elton John (auch er hockt im Stadion), musste nur ein paar Stationen mit der Overground fahren.
Es ist ein aus dem Ausland gepampertes Team, so sehen sie das bei Palace, gespickt mit Leihspielern von Udinese und dem FC Granada, den beiden anderen Klubs des italienischen Besitzers Giampaolo Pozzo. Sechs seiner Wanderarbeiter stehen heute in der Startelf. Ein Schlupfloch im System, aber überhaupt, Pozzo, Ponzi, klingt das nicht, bitte schön, schon mächtig nach Beschiss?
Eine Kurve singt an gegen die Angst
Knallgelb und ruhig sitzen die Watford- Fans in der Nachmittagssonne und schauen sich das Gekicke erst mal an. Vielleicht ist es die lähmende Furcht vor dem Scheitern, vielleicht die Gelassenheit des Favoriten?
Derweil sind die Schmuddelkinder aus dem Süden ziemlich laut – wo sie schon mal hier sind. „Red ‚n‘ Blue Army! Red ‚n‘ Blue Army!“, krakeelen sie, aber es gibt nur drei Silben, die verschwimmen zu: „Redblarmy! Redblarmy!“ Eine Kurve singt an gegen die Angst. „Wir sind normal 15 000 Zuschauer, wo kommen die alle her?“, fragt Steve Fryer, ein bisschen abschätzig, aber natürlich auch begeistert. Der Außenseiter macht das Spiel, und doch setzt es auch heute schnell den ersten, den obligatorischen Tiefschlag.
Frühe Verletzung, Holloway wechselt schon nach 17 Minuten. Die Fans raunen. „Das ist nicht gut“, sagt Steve Fryer, „ganz und gar nicht gut.“ Es kann ein langer Nachmittag werden. Ein zähes Spiel ist das, ein echtes Finale. „Erwartungen?“, hat der Fanzine-Schreiber Rob Sutherland noch als Letztes am Bahnhof East Croydon, Platform 2 gefragt und dann verkündet: „Ich erwarte eigentlich gar nichts.“ Fatalismus, die letzte Waffe der Gebeutelten.
Doch kein Mensch denkt jetzt mehr an das „Que sera“, das sie vorhin vor dem „Green Man“-Pub geschmettert haben, gegenüber auf dem Hügel, wo es Zuversicht in Plastikbechern zu kaufen gab, vier Pfund das Pint. Whatever will be, will be? Fuck that. „Uuuuuff“, macht Steve Fryer. Endlich mal eine gute Chance, der junge Wilfried Zaha ist rechts durchgekommen, der Schuss aber findet nicht den Weg durch die Abwehrbeine.
Wie gewinnt man ein Finale ohne Stürmer?
Zaha, das ist Croydons Hoffnung. Auch er ein Leihspieler, aber das ist was anderes, oder? Im Winter hat Manchester United den 20-jährigen Jungnationalspieler gekauft, für 15 Millionen Pfund, und ihn, den Palace ausgebildet hat, für ein halbes Jahr an seinen Stammverein zurückgeliehen, ein letztes halbes Jahr. Großartig, was dieser dünne Junge mit dem Ball anstellt, er scheint den zweiten Trick vor dem ersten zu machen, so schnell geht das. Die Verteidiger sind chronisch überfordert. Sein Bruder Herve ist derweil das beste Beispiel, was aus einem jungen Mann in Croydon werden kann, wenn er nicht gerade ein begabter Dribbler ist. Herves Gangsterkarriere verläuft ähnlich eindrucksvoll wie Wilfrieds Fußballerlaufbahn.
Vorläufiger Höhepunkt: eine einjährige Bewährungsstrafe wegen versuchter schwerer Körperverletzung. „Excellent, Wilfried“, lobt nun Steve Fryer auf der Tribüne. Zaha soll, muss es heute richten, aber er ist kein Stürmer. Der heißt Glenn Murray und sitzt in Anzug und Schlips auf der Tribüne, 30 Tore, Kreuzbandriss im Halbfinale, neben ihm lehnen seine Krücken.
Wie gewinnt man ein Finale ohne Stürmer? Die Antwort, das wird Minute für Minute klarer: Es geht nicht.
Schon ist Halbzeit, die Watford- Fans sind immer noch still, und es steht immer noch 0:0. „Wir brauchen einen impact player“, murmelt Steve Fryer und geht die Namen durch. „Bolasie? Moritz? Vielleicht Phillips?“ Kevin Phillips. Vier Monate älter als Ryan Giggs. Wird im Juli 40 Jahre alt. Der einzige Engländer, der je den Goldenen Schuh der UEFA gewonnen hat, was auch schon wieder 13 Jahre her ist.
Diese Saison hat er nur einmal die Woche mittrainiert, seine Familie wohnt oben in Birmingham, zweieinhalb Autostunden entfernt, er ist aus dem Alter raus, sie jedes Mal umziehen zu lassen, wenn er wieder mal einen neuen Verein hat. Phillips, das ist auch der Mann, der dreimal dieses Aufstiegsfinale gespielt und noch nicht ein- mal gewonnen hat. Ein Mensch gewordenes Trauma, das nun ins Spiel kommt. Der älteste Strohhalm der Welt.
Das rächt sich
Holloway, der hier im Vorjahr mit Blackpool den Kürzeren gezogen hat, das Gegentor fiel drei Minuten vor dem Ende, dirigiert unten immer hektischer, Wasserflasche in der Hand, das Sakko hat er längst ausgezogen, die Glatze funkelt. Zola ist ruhiger, nur wenn er plötzlich und mit wehender Mähne die zehn Meter zur Bank zurückspurtet, um sich auf seinen Sitz plumpsen zu lassen, ein grotesker Sprint, ahnt man die Anspannung. Klare Chancen hat Palace, die normalerweise für zwei, drei Endspiele reichen. Aber: nichts.
Steve Fryer reißt an seinem rotblauen Schal, er gräbt sich tief in seinen Nacken. Seine Augen scheinen aus den Höhlen zu treten, er pustet gegen seine Daumen, als wären sie eine Panflöte.
Er flucht leise, er denkt, was alle denken: Das rächt sich. „Redblarmy! Redblarmy!“ Immer öfter kommt es jetzt, immer verzweifelter. Doch die Truppe ist müde. Sie schleppt sich in die Verlängerung. Das Spiel wird jetzt kippen, Richtung Watford, die gelben Fans sind lange aufgewacht.
Aber irgendwie kippt es nicht, auch die Gelben vergeben den Sieg. Und als alles schon auf ein Elfmeterschießen zuläuft, auf die finale Lotterie, Montagsziehung, im Jackpot für Sie heute: 120 Millionen Pfund, als schier gar nichts mehr zu gehen scheint, da geht: Zaha. Der legt den Ball in den Strafraum, drängt an seinem Gegenspieler vorbei, es ist die 105. Minute, und Marco Cassetti, Rechtsverteidiger, grätscht dazwischen und trifft keinen Ball der Welt, dafür einen jungen Mann aus Croydon, der 15 Millionen Pfund wert ist oder vielleicht noch viel mehr, und der Schiedsrichter pfeift ohne zu zögern Elfmeter.
Coach Holloway jubelt über diesen Pfiff wie über ein Tor, den Mund weit aufgerissen, der Körper spannt sich, sein Anzug droht zu zerreißen, gleich platzt ihm die Plastikflasche in der rechten Faust. Und auch Zaha schleudert den rechten Arm in den Himmel, freudeschreiend, aber oben, Block 548, Sitz 262, ist Steve Fryer, der Buchhalter, schon einen Schritt weiter. „Wer schießt? Wer schießt? Nicht Zaha, bitte nicht Zaha!“ Keine Mätzchen jetzt.
Nein, Zaha schießt nicht. Es schießt stattdessen: Kevin Phillips. Der alte Mann sieht entschlossen aus, als er sich den Ball auf den Punkt legt und bedächtig zwei Schritte zurück geht. Blick geradeaus. Ein wahnwitzig kurzer Anlauf. Es gibt Fans, die nicht hinsehen können, Rücken zum Spielfeld, sie atmen in die flache Hand, die Augen gerötet, sie warten wie auf ein Erschießungskommando.
„Ich kann es nicht glauben“
Ein Schuss für 120 Millionen Pfund. Kevin Phillips läuft an und drischt den Ball in den Winkel. Dann haut es alles auseinander. Menschen fliegen übereinander, unten auf dem Feld und in Block 548, wo Steve Fryer einfach hintenübergepurzelt ist, umgeworfen von diesem Moment, und erst gar keine Anstalten macht, sich wieder aufzurappeln. Fryer sitzt einfach auf dem Hosenboden, zwischen all den hüpfenden, schreienden Leuten, und schaut aus großen, ungläubigen Augen wie ein Kind, das ins Planschbecken geworfen wurde. Er ist jetzt, in diesem kurzen, wertvollen Moment, wieder der Achtjährige, der zum ersten Mal mit darf zu dem Verein mit dem sonderbaren Namen, ein kleiner Junge, der davon träumt, dass England einmal Weltmeister wird und Palace Champion in der First Division.
So ist das mit den Träumen, nur jeder zweite wird Wirklichkeit, wenn man Glück hat, und so wird es keinen zweiten Treffer mehr geben in diesem Finale und Steve Fryer wird nicht unten auf dem Rasen stehen, aber das macht gar nichts.
Es wird langen, dieses eine Mal langt es, das spüren jetzt alle irgendwie. Und dann schlägt sich Steve Fryer selbst mit der flachen Hand gegen den Kopf, rauft sich die Haare. „Ich kann es nicht glauben! Es ist unglaublich! “ Das ruft er, der seit bald 50 Jahren Palace-Fan ist, als Martin Atkinson eine Viertelstunde später dieses Finale abpfeift.
Fryer hat es gemacht wie alle, er hat nichts erwartet, mit dem Schlimmsten gerechnet und wird nun ehrlich überrascht. „Palace in Wonderland“, wird die „Daily Mail“ tags darauf euphorisch titeln, und das trifft es, denn was ist es sonst als ein Wunder, wenn die, die immer alles vergeigen, plötzlich ein so großes Spiel gewinnen?
Baby, I am glad all over
Die Erleichterung, auch sie hat tausende Gesichter. Das von Abwehrchef Damien Delaney, dem irischen Hünen, der zusammengesunken und alleine im dunklen Kabinengang kauert und sich immer wieder die Tränen vom Gesicht wischt. Das von Wilfried Zaha, der mit 20 Jahren seinen ersten Cup in die Kurve trägt, ein freudestrahlender Junge mit einer großen Zukunft. Das von Coach Ian Holloway, der seine Spieler fest an sich drückt, einen nach dem anderen, wie ein stolzer Vater seine Söhne, die es nach all den Jahren doch zu etwas gebracht haben.
Und das eines 58 Jahre alten Buchhalters, der seinen rot-blauen Schal zum ersten Mal an diesem Nachmittag quer über den Kopf spannt und lauthals mitsingt. „You say that you love me“, schmettert er, „all of the time!“ Es ist das Lied von Crystal Palace, ein Liebeslied, natürlich. „Glad All Over“ von den „Dave Clark Five“, fast 50 Jahre alt ist auch der Song, der im Januar 1964 die Beatles von der Spitze der britischen Charts boxte.
„Baby, I’m glad all over“, das singen sie nun, die Alten und die Jungen, und klatschen dazwischen zweimal, so wie dieser Song es vorsieht. „Say that you love me“, natürlich lieben sie ihren Klub, aber nur ganz selten liebt er sie so sehr zurück wie heute. 30 000 Menschen in Rot und Blau, überglücklich, ihre Stimmen schallen durch Wembley, das nur noch zur Hälfte voll ist, und keiner, wirklich keiner, denkt in diesem Moment an das ganze verdammte Geld.