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Die Repor­tage stammt aus der 11FREUNDE-Aus­gabe #164, die Ende Juni 2015 erschien. Das Heft gibt es hier. Mitt­ler­weile hat Freddy Adu Finn­land wieder ver­lassen. Zunächst stand er beim US-Zweit­li­gisten Las Vegas Lights unter Ver­trag, 2018 hörte er dort auf. Danach spielte er zwei Jahre nicht, in diesen Tagen hat er aller­dings einen neuen Verein gefunden: den schwe­di­schen Dritt­li­gisten Osterlen FF.

Eigent­lich sollte diese Geschichte an einem anderen Ort beginnen. Im Mara­canã mit der Hand am WM-Pokal, im Weißen Haus an der Seite von Barack Obama oder wenigs­tens in einem vor­bei­rau­schenden Lam­bor­ghini. Wenn die Experten recht behalten hätten, würde sie jeden­falls nicht auf einem Markt­platz in der fin­ni­schen Pro­vinz anfangen, genauer gesagt: in Kuopio, 400 Kilo­meter nörd­lich von Hel­sinki, vier Grad an einem Mitt­woch­vor­mittag Ende April. Hyvää Päivä. Guten Tag.

Hier sitzt also der Mann, der schon alles war: der neue Pelé, das Wun­der­kind, der fünfte Beatle und Superman. Hier hockt Freddy Adu, 1,73 Meter klein, Mütze, Nike Air Max, dicker Anorak, und macht erst mal das, was Fuß­ball­profis bei sol­chen Ter­minen so machen: Er schaut auf sein Smart­phone. Der Sponsor seines neuen Klubs Kuo­pion Pal­lo­seura, kurz KuPS Kuopio, prä­sen­tiert heute einen top­mo­dernen Fuß­ball­schuh und die Spieler sollen für Gla­mour sorgen. Der Erfolg ist über­schaubar. Etwas abseits ver­su­chen sich zwei Jungs mit der neu­esten Paul-Pogba-Frisur an einer Ball­ma­schine, und dahinter tip­pelt ein Mäd­chen, Typ DSDS-Kan­di­datin, von links nach rechts. Sonst: Lan­ge­weile. Sonst: wum­mernde Bässe aus den Boxen. Kanye West, Miley Cyrus, und dann singt die Band MKTO: Baby let’s live and die. What hap­pened to the Ame­rican Dream?“

Ich habe keine Zeit.“

Freddy Adu ist das alles ziem­lich egal. Die Sache mit dem Sponsor und dem Ame­rican Dream – und auch, dass hier zwei Jour­na­listen eines deut­schen Fuß­ball­ma­ga­zins stehen, denen Kuo­pios Pres­se­spre­cher einen Inter­view­termin ver­spro­chen hat. Er hockt weiter vor sich hin, und wie er so dasitzt, könnte man glauben, er gehe auf die 40 zu, so lange geis­tert sein Name durch die Fuß­ball­welt. Aber er ist erst 25, ein halbes Kind noch. Schließ­lich steht er auf und sagt: Ich habe keine Zeit.“ Dann schlurft er davon. Ach, Freddy.

Es war im Jahr 2003, als sein Name erst­mals in der inter­na­tio­nalen Presse auf­tauchte. Adu war damals das größte Ver­spre­chen, das dem US-Fuß­ball je gemacht wurde. Er hatte im Alter von zwölf Jahren ein sechs­stel­liges Angebot von Inter Mai­land abge­lehnt, weil seine Mutter wollte, dass er zuerst die Schule fer­tig­macht. Dafür unter­schrieb er ein Jahr später einen Eine-Mil­lion-Dollar-Deal mit Nike. Adu saß danach bei Talk­mas­tern wie Jay Leno oder David Let­terman neben Show­größen wie Alec Baldwin oder Britney Spears. Dort erklärte er den Ame­ri­ka­nern, was Fuß­ball ist, und zur Anschauung balan­cierte er den Ball in seinem Nacken, wäh­rend er sich das T‑Shirt aus- und wieder anzog. Die Vor­sit­zenden der Major League Soccer jubelten. Sie sagten, Adu sei größer als Fuß­ball: Pop­star, Pio­nier, Revo­lu­tionär, Bot­schafter, alles in einem.

Adu war sechs Jahre zuvor mit seiner Familie aus Tema, einer gha­nai­schen Hafen­stadt in der Nähe von Accra, in die USA nach Potomac/​Maryland emi­griert. Seine Mutter hatte in einer Lot­terie eine Green­card gewonnen. Den ame­ri­ka­ni­schen Traum fand die Familie zunächst nicht, der Vater suchte nach wenigen Monaten das Weite, und die Mutter hielt sich und die Kinder mit zwei Mini­jobs über Wasser.

Ja, es ist ein Wunder

Ein Freund erzählte später von seinem ersten Treffen mit Adu. Das Wun­der­kind in spe besuchte damals die vierte Klasse, und eines Sonn­tags durfte er zu einem Spiel zweier Schü­ler­mann­schaften mit­kommen. Adu erschien in einem oran­ge­far­benen T‑Shirt und einer Mickey-Mouse-Mütze. Die Gegner lachten, aber als er das erste Mal an den Ball kam, lief er durch sie alle hin­durch und schoss ihn ins Tor. Danach lachte nie­mand mehr, und der Trainer des Geg­ners fragte ihn, ob er noch für das U16-Team spielen könne. Adu sagte, ja klar, er sei schließ­lich erst neun Jahre alt.

So ging das später oft. Zum Bei­spiel als Adu im Alter von 14 der jüngste Debü­tant im US-ame­ri­ka­ni­schen Pro­fi­sport seit über 100 Jahren wurde (1887 debü­tierte der Base­ball­spieler Fred Chapman eben­falls mit 14 Jahren). Der ame­ri­ka­ni­sche Fuß­ball­ver­band über­legte, eine Kno­chen­mar­k­ana­lyse durch­zu­führen, weil nie­mand glaubte, dass Adu so jung sei. Später schickte die Zeit­schrift Sports Illus­trated“ zwei Detek­tive in das Ben­gali-Kran­ken­haus nach Tema, um dort seine Geburts­ur­kunde zu über­prüfen. Nach ein paar Tagen kamen sie mit der frohen Kunde zurück: Ja, er ist erst 14. Ja, es ist ein Wunder.

Spä­tes­tens jetzt waren sich die Fuß­ball­ex­perten sicher: Freddy Adu würde die USA zum Welt­meister machen, 2010 in Johan­nes­burg oder 2014 in Rio de Janeiro. Der­weil tin­gelte Adu weiter durch Talk­shows, und die Times“ oder der New Yorker“ schrieben hym­ni­sche Repor­tagen auf den Wun­der­knaben. In einer sagte Adu: Viele Jungen wurden schon in den Himmel gelobt und sind dann von der Bild­fläche ver­schwunden. Ich habe mir geschworen, keiner von denen zu werden.“