1986 vergriff sich Franz Beckenbauer derart im Ton, dass ein mexikanischer Journalist plötzlich tausende deutsche Juristen zum Freund hatte. Wie fühlt sich eine Todesdrohung vom Kaiser an, Miguel Hirsch?
Miguel Hirsch, haben Sie noch immer ein Franz-Beckenbauer-Trauma?
Nein, das ist alles verarbeitet, die Sache ist ja schon ewig her. Aber damals in Mexiko war meine Belastung durch diesen Vorfall schon sehr hoch.
Was genau ist denn 1986 im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft im mexikanischen Morelia kurz vor WM-Beginn passiert?
Ich arbeitete damals als Korrespondent für die größte mexikanische Zeitung „Excelsior“. Da ich durch meine Zeit in Deutschland fließend Deutsch konnte, schickte mich der Chefredakteur für das gesamte Turnier ins WM-Lager der deutschen Mannschaft. Zusammen mit 50 anderen deutschen Journalisten wohnte ich sogar im selben Hotel wie die Mannschaft, das war damals noch möglich. Selbst die Freundinnen und Frauen der Spieler durften dort nur zu den Besuchsstunden rein.
Wie können wir uns den Umgang mit den Spielern vor Ort vorstellen?
Das war alles sehr kollegial. Abends traf man sich an der Theke und redete informell. Bei mir kam noch dazu, dass meine hochschwangere Frau mit dabei war, sie war die einzige Frau im Lager. Daher waren wir relativ schnell bekannt. Kalle Rummenigge hat ihr übrigens jeden Abend als glücksbringendes Ritual die Hand auf den Bauch gelegt.
Wie kamen Sie dann in Kontakt mit Franz Beckenbauer?
Mein Chefredakteur bat mich, Beckenbauer zu fragen, ob er bereit wäre, ein bis zweimal die Woche einen Kommentar zu schreiben über ein beliebiges Spiel. Pele war schon an Bord. 10.000 Dollar pro Text sollte ich ihm anbieten. Was für ein Zeilengeld! Also verabredete ich mich mit Beckenbauer nach der täglichen Pressekonferenz zum Gespräch. Als ich ihm gerade das Angebot unterbreiten wollte, platzte der Kollege Ludger Schulze von der Süddeutschen Zeitung dazwischen. Er fragte, ob er kurz unterbrechen dürfte: Es gebe Gerüchte, dass die Spieler am vorherigen Abend so richtig die Sau rausgelassen hätten, mit viel Alkohol und Prostituierten. Beckenbauer sagte nur, dass er nicht dabei gewesen sei und das also nicht bestätigen könne, es seien lediglich einige Spieler ein, zwei Stunden später heimgekommen. Daraufhin ging Schulze wieder und Beckenbauer lehnte mein Kolumnen-Angebot dankend ab. Am Abend verarbeitete ich aber die kleine Episode in meinem täglichen spanischsprachigen Bericht.
Was schrieben Sie wortwörtlich?
Genau kann ich das nicht mehr rekonstruieren, es war aber nur ein Nebensatz ganz am Ende. Ich schrieb, dass einige Spieler ein, zwei Stunden länger unterwegs gewesen waren, mehr nicht. Der SZ-Mann Schulze selbst hatte den Vorfall in seinem Bericht nicht erwähnt.
Was geschah dann?
Erst einmal geschah die nächsten fünf Tage nichts. In Mexiko hat die Information wahrscheinlich auch niemanden interessiert. Doch dann kam die „Bild“ ins Spiel. Die hatten eine große Zahl an Übersetzern vor Ort, die die spanischsprachigen Medien nach Geschichten durchforsteten. Anscheinend sind sie auf meinen Text aufmerksam geworden, denn am besagten Tag lagerten mir gleich zwei „Bild“-Reporter am Frühstücksbuffet auf. Sie sagten: „Wir wissen, dass du dies und dies geschrieben hast und wollen dich davon in Kenntnis setzen, dass wir diese Geschichte morgen als Aufmacher auf der Titelseite bringen.“ Es gehe um einen Sex-Skandal. Ich war völlig entsetzt, denn das hatte ich nie geschrieben und es gab keine haltbaren Beweise dafür. Aber ich konnte zeitlich auch nicht mehr reagieren.