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Hin­weis: Das Inter­view erschien erst­mals im März 2019. 

Robin Gosens, als Jugend­li­cher wurden Sie von Borussia Dort­mund zum Pro­be­trai­ning in der U19 ein­ge­laden. Heute nennen Sie den Nach­mittag ein Fiasko“. Warum?
Weil ich mich schon beim Auf­wärmen gefragt habe: Robin: Wat machst du hier eigent­lich?“

Schon beim Auf­wärmen?
Es unter­schied sich maximal von allem, was ich kannte. Ich spielte damals beim VfL Rhede, erste Leis­tungs­klasse Nie­der­rhein. Ordent­li­ches Niveau, aber im End­ef­fekt bes­serer Bau­ern­fuß­ball. Bei uns in Rhede machten wir zu Trai­nings­be­ginn ein Eck auf, alberten ein biss­chen rum, dann gab es Schuss­trai­ning, dann ein Spiel­chen, und danach ging es auch schon wieder ab nach Hause. In Dort­mund lag eine Koor­di­na­ti­ons­leiter auf dem Rasen.

Klingt nach dem fal­schen Trai­nings­gerät für einen ner­vösen Jugend­li­chen.
Schon da lief es kata­stro­phal. Bei den für mich viel zu kom­plexen Pass­übungen wurde es nicht besser. Aber das Schlimmste kam erst noch. Ein tak­ti­sches Elf gegen Elf über den ganzen Platz. Ich wurde über­rannt. Ich habe mich die ganze Zeit hilflos umge­guckt und hatte keinen Schimmer, wo ich hin­laufen soll. Unter dem Strich ein Fiasko. Nach dem Trai­ning sprach ein Betreuer mit mir. Er sagte: Wir melden uns dann bei dir, falls etwas sein sollte.“ Aber ich wusste genau: Das Thema ist durch. Ich habe auch nichts mehr aus Dort­mund gehört.

Wie fühlt man sich, wenn man eine derart große Chance ver­passt?
Ach, ich war nicht mal son­der­lich traurig. Die anderen Jungs waren ein­fach zu gut gewesen, es war nicht mal knapp zwi­schen uns. In meiner Dorf­truppe in Rhede war ich ein kleiner Star, aber dort, in Dort­mund, war ich ein Nie­mand.

Bis auf den BVB hatte Sie bis dahin kein grö­ßerer Klub auf dem Schirm. Wieso?
Ehr­lich gesagt war ich als Jugend­li­cher, zumin­dest bis zur B‑Jugend, kein auf­fäl­liger Spieler. Klar, ich war in Rhede ein Leis­tungs­träger, dort waren alle zufrieden mit mir. Und als ich 17 war, hörte ich auch immer öfter, dass ich mich sehr gut ent­wi­ckelt hätte. Aber es war nie so, dass irgendwer ange­kommen wäre und gesagt hätte: Alter, du bist ja eine Rakete! Mach was aus dir!“

Wollten Sie denn Profi werden?
Natür­lich hatte ich den Traum im Hin­ter­kopf. Aber ich hatte damit abge­schlossen. Und ich war ja auch nicht unglück­lich mit meinem Leben.

Wie lief ihr Leben denn so?
Unter der Woche ging ich zur Schule. Nebenher jobbte ich an einer Tanke hin­term Tresen.

Und am Wochen­ende?
Frei­tag­abends ver­ab­schie­dete ich mich von meinen Eltern mit den Worten: Sonntag, nach dem Spiel, könnt ihr mich wieder abholen.“ Dann fuhr ich von Elten rüber nach Rhede, dort wohnten alle meine Kum­pels. Und dann waren wir zwei Abende unter­wegs. Das volle Pro­gramm.

Wie sah das aus?
Freitag raus, Samstag raus, die Nächte durch­ze­le­briert. In Rhede gab es eine ange­sagte Dorf­disco, das Blues“. Davor trafen wir uns meis­tens bei den Eltern meines Mann­schafts­kol­legen Buggi (André Bugla, d. Red.) im Keller. Dort wurde dann vor­ge­schep­pert. Zu der Zeit tril­lerten wir immer den glei­chen Song: Kama Ahava“. Ich weiß gar nicht, von wem der ist, aber der Text geht nur so: Kama, Kama Ahava!“ Der letzte Schwach­sinn, aber wir haben dieses Lied über­trieben gefeiert. Irgend­wann fuhren wir dann alle zusammen mit den Fahr­rä­dern zum Blues. Wun­der­bare Nächte.

Auch vor Spielen?
Klar. Eigent­lich erstaun­lich, dass wir das durch­ge­standen haben, ganz ver­kehrt war das Niveau ja auch nicht. Aber Buggi und ich hatten stets das Gefühl: Je länger wir unter­wegs waren, desto besser lief es auf dem Platz.

Kurz nach dem BVB-Pro­be­trai­ning wurden Sie bei einem Aus­wärts­spiel in Klewe von einem nie­der­län­di­schen Scout ent­deckt. Waren Sie vor dieser rich­tungs­wei­senden Partie auch im Blues?
Und ob. Ich hatte maximal eine Stunde geschlafen, es war eine der Nächte, in denen wir mehr oder weniger direkt aus dem Blues“ zum Treff­punkt gestol­pert sind.

Wie konnte das gut­gehen?
Ich weiß es nicht, aus heu­tiger Sicht ist das für mich fast unvor­stellbar. Aber vom Anstoß weg habe ich die Sterne vom Himmel gespielt. Ich schoss ein Tor selber, ich berei­tete wei­tere Tore vor, im Prinzip gelang mir alles. Direkt nach dem Spiel, ich war gerade auf dem Weg vom Platz in die Kabine, sprach mich dann ein Typ an. Er meinte, er sei ein Scout von Vitesse Arn­heim und eigent­lich wegen eines anderen Spie­lers gekommen. Jetzt wollte er aber lieber mit mir reden. 

Und Sie?
Ich wollte eigent­lich über­haupt nichts sagen. Mir wurde ganz heiß.

Warum?
Weil ich Angst hatte, dass er meine Fahne rie­chen würde. Ich hielt mir also die Hand vor den Mund. Schluss­end­lich lud er mich trotzdem nach Arn­heim ein. Direkt nach dem Pro­be­trai­ning sagte der U19-Trainer: Ich muss dich haben. Unbe­dingt.“ Dann ging das Gefühls­chaos los.

Eigent­lich wollten Sie Poli­zist werden.
Einmal, als ich sechs Jahre alt war, stülpte mir mein Opa seine Poli­zei­mütze auf den Kopf und setzte mich zum Spaß neben sich in den Strei­fen­wagen. Ab dem Moment war die Sache für mich geritzt: Eines Tages würde ich Poli­zist werden. Als das Angebot aus Arn­heim kam, hatte ich mich längst für den höheren Dienst beworben und war auch schon mehr oder weniger ange­nommen.

Ihre Mutter war nicht begeis­tert von der Idee, alles stehen und liegen zu lassen, um in Hol­land Jugend­fuß­ball zu spielen.
Es gab zwei Lager. Mein Papa sagte: Robin, Polizei schön und gut. Aber dein wahrer Traum war es immer, Fuß­baller zu werden.“

Und Ihre Mutter?
Die sagte: Mach erst mal deinen Abschluss und zieh die Bewer­bung bei der Polizei durch. Wer weiß, was pas­siert?“ Und sie hatte ja eigent­lich Recht. Es ging um die A‑Jugend bei Vitesse Arn­heim, nicht um einen Pro­fi­ver­trag. Ich hatte noch über­haupt nichts in der Hand. Des­wegen war sie eher auf Sicher­heit bedacht. Sie hatte die Sorge, dass ich mein Abi ver­hauen und am Ende mit leeren Händen dastehen würde.

Haben Sie Ihr Abi ver­hauen?
Nein, über­haupt nicht. Ich habe ein für meine Ver­hält­nisse gran­dioses Abitur gemacht. Ich war nie ein beson­ders guter Schüler, aber am Ende hatte ich einen Schnitt von 2,0. Weil ich schon immer dis­zi­pli­niert arbeiten konnte, wenn es drauf ankam.

Was bedeu­tete das kon­kret für diese Zeit?
Ich lernte bei­spiels­weise im Auto. Oft stand ich auf dem Rückweg von Arn­heim nach Deutsch­land im Stau. Dann legte ich meine Unter­lagen aufs Lenkrad und ging den Stoff durch.

Nach einem Jahr A‑Jugend wurden Sie in Arn­heim in die U23 hoch­ge­zogen. Wieder ein paar Monate später machte Sie Peter Bosz zum Profi.
Auf einmal flog ich ins Trai­nings­lager nach Abu Dhabi. Kurze Zeit zuvor hatte ich noch auf Asche gespielt. Es war kom­plett abge­fahren. Aber Peter Bosz war der Erste, der in mir einen Links­ver­tei­diger erkannte. Zuvor war ich Achter oder Sechser, spielte immer im Zen­trum. Doch Bosz sah meine Lauf­stärke, meine Physis, mein Durch­hal­te­ver­mögen.

Schulte er Sie um?
Nach dem Trai­nings­lager in Abu Dhabi machte ich noch ein Spiel für Arn­heims U23. Bosz sagte dem U23-Trainer, dass er mich links hinten ein­setzen sollte. Ich machte meine Sache so gut, dass plötz­lich Zweit­li­gist Dor­d­recht an mir inter­es­siert war. Dort hatte ich eine Per­spek­tive, auf hohem Niveau zu spielen.

Also ließen Sie sich ver­leihen.
Ich wollte Ein­sätze sam­meln. In Dor­d­recht wurde ich von der lokalen Presse als Königs­transfer ange­kün­digt. Als der Links­ver­tei­diger, der so drin­gend benö­tigt wurde. Die hatten keine Ahnung, dass ich in meinem ganzen Leben genau eine Partie auf dieser Posi­tion gemacht hatte!

Hatten Sie zu der Zeit eigent­lich schon einen Berater?
Ja, er war mir privat emp­fohlen worden von meinem Jugend­trainer in Arn­heim. Anfangs machte er seine Sache auch gut. Aber irgend­wann wollte er mich über den Tisch ziehen. 

Wie das?
Im Winter 2016/17, ich war mitt­ler­weile zu Hera­cles Almelo in die Ere­di­visie gewech­selt und dort Stamm­spieler, erzählte er mir, dass Ata­lanta Ber­gamo an mir inter­es­siert sei. Dann hörte ich ein halbes Jahr nichts mehr von der Sache. Bis zum letzten Sai­son­spiel. Plötz­lich riefen die Ita­liener wieder an, also schickte ich meinen Berater nach Ber­gamo.

Klingt doch super.
War es ja zunächst auch. Die Serie A, das klang wie ein Mär­chen! Wäh­rend mein Berater in Ber­gamo war, flog ich mit den Jungs von Almelo auf Abschluss­fahrt nach Mal­lorca. Am zweiten Tag stand ich in Bade­hose am Strand, plötz­lich klin­gelte mein Telefon. Mein Berater sagte: Du musst jetzt sofort unter­schreiben!“

Was war daran so schlimm?
Ich selber hatte noch mit nie­mandem aus Ber­gamo gespro­chen. Nicht mit dem Trainer, nicht mit dem Manager. Ich kannte die Stadt nicht, hatte das Trai­nings­ge­lände nicht gesehen. Mein Berater sollte ledig­lich Infos ein­holen, her­aus­finden, ob das Inter­esse von Ber­gamo ernst gemeint war. Doch er wollte den Transfer unbe­dingt sofort ein­tüten.

Warum?
Wahr­schein­lich hatte er eine nette Prämie für sich aus­ge­han­delt. Ich habe seine Ansage zunächst gar nicht für voll genommen und ein­fach auf­ge­legt. Eine Minute später rief mich der Sport­chef von Almelo zu sich rüber, er war mit uns Spie­lern auf Malle. Ich stapfte zu ihm durch den Sand, er guckte mich ver­wun­dert an und sagte: Robin, wir sind uns mit Ata­lanta einig, du kannst unter­schreiben!“ Ab diesem Moment wusste ich: Ich bin für die meisten in diesem Geschäft nur ein Objekt, mit dem sich Geld ver­dienen lässt. Der Verein wollte auch nur die Ablö­se­summe kas­sieren.

Wie gingen Sie mit dieser Erkenntnis um?
Ich war völlig über­for­dert. Ich schal­tete mein Handy auf stumm und tat so, als wäre nichts pas­siert. Zurück in Hol­land sagte ich dann zu meinem Berater: Ers­tens, Freund­chen: Du bist gefeuert. Und zwei­tens: Ich gehe nicht nach Ber­gamo. Kannst du denen aus­richten.“ Damit war die Sache für mich durch.

Heute spielen Sie trotzdem in Ber­gamo.
Wieder ein paar Tage später klin­gelte mein Handy, ein Anruf aus Ita­lien. Ich ging ran und hörte: Cia­aaoo Robin!“ Danach sprach ein Mann auf Ita­lie­nisch, ich ver­stand kein Wort. Irgend­wann merkte er, dass ich ihm nicht folgen konnte, also sagte er: I give you wife!“ Und dann tele­fo­nierte ich mit der eng­lisch spre­chenden Frau von Ata­lantas Sport­chef. Der hatte mich per­sön­lich ange­rufen, weil er von meinem Berater nichts mehr gehört hatte.

Und seine Frau zurrte den Transfer fest?
So unge­fähr. Am Telefon waren beide total höf­lich, super nett. Sie luden mich ein, mir alles in Ber­gamo anzu­schauen. Also flog ich zusammen mit meinem Vater zum letzten Meis­ter­schafts­spiel nach Ber­gamo und hatte dort ein wun­der­schönes Wochen­ende.

Jetzt spielen Sie gegen Welt­stars wie Cris­tiano Ronaldo und für einen Klub, dessen Fans berühmt sind für ihre Lei­den­schaft.
Die Stadt lebt für den Verein. Ich werde auf der Straße erkannt, Leute wollen mich umarmen. Nach Nie­der­lagen haben manche auch am Tag danach noch Tränen in den Augen.

Mitt­ler­weile gibt es sogar ein Skill­video von Ihnen bei You­tube!
Stimmt. Da sieht man mich vor allem grät­schen. Meine linke Sense ist berüch­tigt!

Haben Sie sich schon an den Pro­fi­zirkus gewöhnt?
Es geht so, ich bin vom Typ her noch immer anders. Weil ich nie das Kon­kur­renz­denken ent­wi­ckelt habe, das viele meiner heu­tigen Kol­legen seit Jahren prägt. Viele der Jungs, die ihr Leben schon früh auf den Fuß­ball aus­ge­richtet haben, denken nur an sich. Das meine ich über­haupt nicht wer­tend, ich stelle es nur fest. Die wollten unbe­dingt Profi werden, von Hun­derten Kids das eine sein, das es am Ende schafft. Ich dagegen war lange Teil einer Kum­pel­truppe. Ich war ein ganz nor­maler Bauer. Dem­entspre­chend ist es auch heute noch so: Selbst wenn ich nicht spiele, freue ich mich über Siege. Klar bin ich nicht glück­lich, auf der Bank zu sitzen, aber ich umarme trotzdem jeden und denke: Geil, drei Punkte.“

Nicht nur des­halb dürften Sie unter Kol­legen als Son­der­ling gelten.
Sie meinen wegen meines Stu­diums?

Neben der Pro­fi­kar­riere stu­dieren Sie Psy­cho­logie.
An einer Fernuni, genau.

Wozu die Quä­lerei?
An einem nor­malen Tag gehe ich um neun Uhr zum Fuß­ball und bin um 15 Uhr wieder zu Hause. Dann habe ich noch einen halben Tag. Warum sollte ich mich vor die Xbox hocken und bis Mit­ter­nacht zocken? Da kann ich mich genauso gut noch zwei, drei Stunden bilden. Im besten Fall lebe ich ja nicht nur, bis ich 34 Jahre alt bin. Es gibt hof­fent­lich ein sehr langes Leben nach dem Fuß­ball.

Was denken die Kol­legen?
Der Ein­zige, der davon über­haupt etwas mit­be­kommt, ist mein Zim­mer­kol­lege. Wenn wir auf Aus­wärts­fahrt sind, hole ich ab und zu die Bücher raus.

Was sagt er?
Er sagt: Brudi, ich habe rie­sigen Respekt vor dir! Ich könnte mich dazu nicht moti­vieren.“ Doch bei mir ist es so: Natür­lich bin ich phy­sisch platt nach einer Ein­heit. Aber der Kopf funk­tio­niert ja noch. Ich habe mal ein Inter­view von Nils Petersen gelesen. Der meinte sinn­gemäß, dass er seit zehn Jahren ver­blöden würde. Ich finde, daran kann jeder, der es wirk­lich will, etwas ändern. Wenn er nicht ver­blöden möchte, soll er stu­dieren. Oder sich ander­weitig fort­bilden. Ich bin nicht schlauer als andere. Ich will nur die Energie, die ich in mir spüre, nicht ver­küm­mern lassen.

Warum Psy­cho­logie?
Ich inter­es­siere mich für Men­schen. Durch meinen Job bekomme ich ja unglaub­lich viel Input. Ich habe in meiner Kar­riere mit hin­ter­häl­tigen Men­schen zu tun gehabt. Ich erlebe in meinen Teams Men­schen aus den unter­schied­lichsten Län­dern und Kul­turen. Im Moment spiele ich zum Bei­spiel mit einigen Süd­ame­ri­ka­nern zusammen, etwa mit Papu Gomez oder Duvan Zapata. Die kommen aus einem kom­plett anderen Teil der Welt, die orga­ni­sieren ihr Leben ganz anders. Die sind nicht aus der Ruhe zu kriegen. Wir dagegen machen uns dau­ernd Stress. Zu sehen, wie Men­schen sich ver­halten, wie sie auf ähn­liche Situa­tionen kom­plett ver­schieden reagieren, das finde ich span­nend.

Wie würden Sie reagieren, wenn im Sommer ein Angebot aus der Bun­des­liga kommt? Angeb­lich soll aus­ge­rechnet Borussia Dort­mund an Ihnen inter­es­siert sein.
Ich habe noch nie in Deutsch­land auf hohem Niveau gespielt. Die Bun­des­liga bleibt also mein Traum. Aber aktuell bin ich in einer starken Liga, die wieder am Auf­blühen ist, und bei einem Verein, der immer mehr an Fahrt auf­nimmt. Ich strebe nicht auf Teufel komm raus nach der Bun­des­liga. Ich fühle mich in Ber­gamo zu Hause.