Enrico Valentini bleibt Nürnberger! Was toll ist, denn er ist nicht nur Club-Kapitän, sondern auch leidenschaftlicher Club-Fan – und das seit frühester Kindheit. Der Veteran über eine Busfahrt für die Ewigkeit und freche VIP-Fans auf der Haupttribüne.
Wenn Sie heutzutage als Profi und mit Ihrem Know-How im Stadion stehen, bewerten Sie viele Situationen wahrscheinlich anders als wir Schmalspur-Experten. Kann das zu Problemen führen?
Und ob. Wenn Leute um mich herum anfangen, Richtung Spielfeld zu pöbeln, dann pöble ich stellvertretend zurück. Am schlimmsten ist es immer auf der Haupttribüne, weil die Erwartungshaltung dort so groß ist. Da habe ich mich schon oft mit Leuten gestritten.
Zum Beispiel?
Einmal, damals spielte ich für Aalen und war zu Besuch in Nürnberg, machte Marcos Antonio in einem Spiel gegen Stuttgart mehrere Fehler und verschuldete dadurch ein Gegentor. Bis auf die Ultras pfiff ihn das gesamte Stadion aus. Irgendwann wurde es unmenschlich. Da bekam ich ein richtig beklemmendes Gefühl. Ich überlegte sogar, nach Hause zu gehen, es tat mir richtig weh. Irgendwann kam es zum Streit zwischen einem älteren Herren und mir. Ich habe die Sätze nicht mehr genau im Kopf, nur noch den letzten.
Und zwar?
Ich stellte fest, dass er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.
Verkrampft man als Spieler auf dem Platz, wenn man genau weiß, was ein eigener Fehler bei den Zuschauern für Reaktionen auslöst?
Nein, mir hilft das eher. Weil ich weiß, wie oberflächlich die Reaktionen teilweise sind. Ich habe mich außerdem davon freigemacht, Fehler wochenlang mit mir herum zu schleppen. Ich bringe ja keine Menschen um. Ein Fehler ist immer noch nur ein Fehler in einem Fußballspiel.
2010 verließen Sie den Club, weil Sie bei den Profis keine Perspektive für sich sahen. War es befreiend, in Aalen für einen Verein zu spielen, mit dem Sie persönlich nicht so eng verbunden sind?
Einerseits schon. Andererseits habe ich mich recht zügig mit dem Verein und der Stadt identifiziert. Vereine wie Aalen, Sandhausen oder Heidenheim werden ja stets belächelt. Deswegen war es cool, auswärts zu spielen und dort zu gewinnen. Du wusstest ganz genau: Nach einer Heimniederlage gegen Aalen steht der gegnerische Trainer zur Diskussion. Ich glaube, wir haben in meiner Aalen-Zeit alleine drei Trainer gefeuert. Nur, weil sie zu Hause gegen uns verloren haben.
In Aalen setzen Sie sich unter Ralph Hasenhüttl im Profibereich fest. Danach ging es weiter zum KSC, wo Sie 2015 unter Markus Kauczinski beinahe den Sprung in die Bundesliga geschafft hätten. Im Relegations-Rückspiel gegen den HSV fehlten Ihnen nur noch ein paar Sekunden und Sie wären aufgestiegen…
Als Marcelo Diaz zum Freistoß antrat, stand ich in der Mauer.
Der HSV hatte nur diesen letzten Schuss, um dem Abstieg zu entkommen. Haben Sie etwas von dem Gespräch zwischen Diaz und Rafael van der Vaart mitbekommen? Die beiden sollen ja diskutiert haben, wer diesen letzten Schuss ausführen darf.
Ja, sie quatschen und standen beide am Ball. Ich war mir bombensicher, dass van der Vaart schießen würde. Ich habe noch zu den Jungs in der Mauer gesagt: „100 Prozent van der Vaart, 100 Prozent van der Vaart.“ Ich wiederholte den Satz immerzu. Für mich stand fest, dass sich in diesem Moment der größte Spieler den Ball nehmen würde. Mit Diaz habe ich überhaupt nicht gerechnet. Wir hatten vor dem Spiel die Schützen analysiert, und Diaz hatte in der gesamten Saison nicht einen einzigen Freistoß geschossen.
Doch Diaz trat an – und setzte den Ball in den Winkel. Wie ging es Ihnen in den Stunden nach dem verpassten Aufstieg?
Direkt nach dem Abpfiff war ich enorm emotional und habe geweint. Dann standen wir vor der Kurve und die Fans sangen „Ein Kompliment“ von Sportfreunde Stiller: „Ich wollte dir – nur mal eben sagen – dass du das – Größte für mich bist!“ (singt). Für mich einer der schönsten Momente meiner Karriere. Danach haben wir unsere Runde beendet und ich sah meine Familie auf der Tribüne, 20, 25 Valentinis. Die haben alle geweint. Alle. Mein Vater, meine Mutter, meine Frau, selbst mein bester Freund. Gefühlt waren sie trauriger als ich. Das hat mich irgendwie glücklich gemacht. Komisch, das zu beschreiben, aber gemeinsam tun solche Erlebnisse weniger weh. Dass da Leute sind, die so mit dir mitfiebern, das spendet Trost.