Im Juli präsentierte der SV Meppen Torsten Frings als neuen Trainer. Nationalspieler, Vizeweltmeister, viel zu groß für die kleine Provinz. Was will er hier?
Dieses Interview erschien erstmals in Ausgabe 226. Hier im Shop erhältlich.
Torsten Frings, „Meppen und ich – das passt“, haben Sie bei Ihrer Vorstellung gesagt. Ein ungewöhnlicher Satz für einen 79-fachen Nationalspieler.
Ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein. Als ich in Darmstadt gearbeitet habe, hat jeder geschimpft, dass die Verhältnisse nicht bundesligareif seien. Für mich hat das den Charme ausgemacht. Um Fußball zu spielen, braucht’s einen Rasen. Alles andere kommt danach.
Es heißt, Sie hätten die Verantwortlichen bei einem persönlichen Gespräch von sich überzeugt.
Ich bin wohl das, was Meppen gesucht hat. Das erste Treffen war bei mir zu Hause, dann haben wir uns ein weiteres Mal getroffen und das Ding festgemacht.
Wie haben Sie sich auf das Gespräch vorbereitet?
Gar nicht.
Verspürten Sie keinen Druck wie bei einer Bewerbung?
Aber deshalb würde ich mich ja nicht verstellen und irgendwelche Powerpoint-Präsentationen vorbereiten. Das ist nicht mein Stil. Dass ich Sportvorstand Heiner Beckmann und Geschäftsführer Ronny Maul zu mir nach Hause eingeladen habe, zeigt ja auch, dass ich ein bodenständiger Mann bin. Die Haustür für andere zu öffnen, ist für mich ein Vertrauensbeweis. Als Bundesligaprofi habe ich mich einige Male auf Autobahnraststätten getroffen, mit Sportdirektoren, die mir gesagt haben, sie hätten Interesse an mir – hat mir nicht gefallen.
Kein Interview über den SV Meppen ohne Bezug zum Toni-Schumacher-Zitat: „Ich spiel’ doch nicht in Meppen.“ Was haben Sie für einen Eindruck vom Verein?
Das ist ein bodenständiger Klub, hier werden keine Faxen gemacht. Wir haben vier Stunden zusammengesessen, danach habe ich zu meiner Frau gesagt: „Das könnte passen.“ Als Nächstes habe ich im Internet mal nachgesehen, welche Wohnungen in der Stadt frei sind.
Aktuell sind es vier.
Meine Wohnung ist ja nicht mehr gelistet. (Lacht.) Ich wohne 500 Meter vom Stadion entfernt, passt gut. Heute Abend kommen die letzten Kisten.
Als Torsten Frings am Tag des Interviews vorfährt, verlässt er den Wagen und geht schnellen Schrittes Richtung Kabine. Kurze Begrüßung zweier Co-Trainer, dann nichts wie rein. Der ritualisierte Habitus eines Profis, der sich vielleicht noch immer verfolgt fühlt. Ein paar Minuten später schaut er aus einem Fenster der Geschäftsstelle hinunter, er ist nur kurz zu sehen, winkt und ruft: „Hey, das Interview – lasst uns das mal im Stadion machen. Ich will heut nicht raus.“ Dort angekommen, setzt sich der Trainer auf die breiten Betonstufen der Stehtribüne. Er überlegt vor jeder Antwort, wägt ab. Ihm sind Einzelheiten sehr wichtig. Irgendwann, im Laufe des Interviews, streckt er die Beine aus und lehnt seine Arme auf die Hinterstufe.
Es heißt, sie hätten bis vor wenigen Tagen noch gar keinen Vertrag unterschrieben.
Der Finanzvorstand war noch im Urlaub, das war mir aber auch nicht wichtig. Der Vorstand und ich hatten ja unsere Zusammenarbeit bereits per Handschlag besiegelt.
Ist Ihnen das Geld egal?
Geld ist mir nicht egal, steht aber für mich auch nicht an erster Stelle. Ich meine damit: Wir haben uns nach dem zweiten Treffen die Hand gegeben und damit war es klar. Ab diesem Moment begann für mich die Arbeit als Trainer des SV Meppen. Ich würde mir eher die Hand abhacken, als dass ich vertragsbrüchig werde.
Vertrag per Handschlag – so wurde das in Meppen der Legende nach zuletzt in den neunziger Jahren zu Zweitligazeiten gemacht.
Wenn ein Handschlag nichts mehr zählt, kann das ein Vertrag auch nicht retten. Dem Verein und mir hat das gereicht. Und es gibt ja genug zu tun.
Nämlich?
Telefonieren ohne Ende. Mir wurden seitdem über 500 Spieler angeboten, aus allen Teilen der Welt. Die muss ich sichten, mit Kandidaten und Beratern sprechen. Und natürlich auch die Spieler anrufen, die schon in Meppen sind und sie vom gemeinsamen Weg überzeugen.
Wie gelingt das?
Mit Geld ist hier niemand zu locken. Wir haben nicht die Mittel, die Dresden oder Uerdingen haben. Mir ist es schon vier, fünf Mal passiert, dass ich mit einem Spieler gute Gespräche hatte, er sich aber am Ende für ein finanziell besseres Angebot entschieden hat. Und das nehme ich ihm auch nicht übel. Jeder hat nur eine Karriere.
Und wer will schon nach Meppen …
Spieler, die sich entwickeln wollen. Ich glaube, die Jungs, die hier spielen, denen ist Wertschätzung sehr wichtig. Und das zeigt sich auch darin, dass wir uns finanziell für jeden Einzelnen strecken.
Spieler, die sich entwickeln, wecken Begehrlichkeiten. Benjamin Girth, Nick Proschwitz, Deniz Undav – in drei aufeinanderfolgenden Jahren verließ der beste Stürmer den Verein. Verspüren Sie eine aufkommende Ungeduld?
Das ist das Leid der kleinen Vereine. Wir müssen uns nichts vormachen, das ist der SV Meppen. Und hier sind nicht die finanziellen Mittel vorhanden, um einem Spieler zu sagen: Du bleibst jetzt.
Auf der Einfahrt des Vereinsgeländes steht Thilo Leugers. Er ist Kapitän und einer von nur noch zwei Spielern, die 2017 mit dem SV Meppen aufgestiegen sind und immer noch hier spielen. Die 3. Liga ist ein Personalkarussell. Er habe mit dem neuen Trainer schon telefoniert. „Torsten Frings“, sagt Leugers, „den fand ich schon als Spieler geil.“
Aufgewachsen sind Sie in Würselen bei Aachen. Sind Sie noch oft dort?
Eher selten, meine Eltern sind verstorben. Aber mein Bruder hat viele Rezepte meiner Mutter gerettet und kann einiges nachkochen. Wenn ich zu Besuch komme, schreibe ich ihm vorher, was ich mir wünsche. Sauerbraten oder Rouladen. Er schimpft immer: „Torsten, wann soll ich das machen? Ich muss doch auch arbeiten!“ (Lacht.)
Was würden Sie als Ihre Heimat bezeichnen?
Bremen ist Heimat. Ich lebe dort mit Unterbrechungen seit über zwanzig Jahren.
Sie haben auch in Dortmund, München und Toronto gespielt. Sind Sie dort je angekommen – oder waren das nur Stationen eines Arbeitnehmers?
Ganz im Gegenteil. Weil Sie gerade Toronto ansprechen, das war der schönste Ort, an dem ich bisher gelebt habe. Ich hätte mir vorstellen können, dort sesshaft zu werden. (Rückt beiläufig seine schwarze Cap mit dem Logo des NBA-Teams Toronto Raptors zurecht.)
Warum?
Ich war dort ein Niemand. Ich konnte unbekümmert durch die Stadt schlendern, das war so geil. Ein ganz normaler Mensch, ohne jeden Hype. Ich wollte mit meiner Frau essen gehen und das Restaurant war voll. Wir wurden abgewiesen – herrlich. In Bremen würde ohne zu zögern ein Tisch herangetragen werden. Ich will nicht undankbar klingen, aber ich war sehr glücklich, für ein paar Monate ein ganz normaler Mensch zu sein.
Was geschah, als Sie 2013 nach Deutschland zurückkehrten?
Das erste Autogramm habe ich bei meiner Ankunft am Flughafen geschrieben. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich mache das gerne. Das ist ja eine Bestätigung für das, was ich geleistet habe. Aber für mich haben diese Dinge heute nicht mehr die Bedeutung wie früher.
Sie haben vor dem Interviewtermin deutlich gemacht, dass Sie das Vereinsgelände nicht verlassen werden. Was schreckt Sie vor den Menschen in Meppen ab?
Wenn ich jetzt durch Meppen laufe und mich vor Gebäuden fotografieren lasse, weil ihr sie schön findet, dann bringt mir das nichts. Das war ich nie und das bin ich auch nicht. Meine Arbeit ist hier. Fotografiert mich halt dabei.
Ihre Außendarstellung scheint Ihnen wichtig zu sein. Bei Amtsantritt betonten Sie, entgegen den Gerüchten noch nicht mit Ihrem Ferrari in Meppen gewesen zu sein.
Das war eine banale Geschichte. Über Freunde hatte ich gehört, dass es hieß, ich sei hier mehrfach mit meinem Ferrari gesichtet worden. Aber das stimmt einfach nicht. Auf dem Foto, das herumging, ist im Hintergrund das Bremer Kino zu sehen.
Sie sind heute in einem schwarzen Mercedes vorgefahren.
Ich habe überhaupt kein Problem damit, in einem Ferrari herzukommen, der gehört ja schließlich zu mir. Und ich habe das Auto nicht geklaut, sondern es mir erarbeitet. Aber ein Ferrari passt nicht als Arbeitsfahrzeug hierher. Was mich an der Geschichte aufregt, sind Lügen, die anonym vor allem in den Sozialen Medien verbreitet werden.
Gerade aber sagten Sie, dass Sie zu Meppen passen. Warum dann nicht Ihr Sportwagen?
Wenn ich jeden Tag damit fahre, sinkt der Wert so dramatisch, das kann ich mir gar nicht leisten. (Lacht.) Ernsthaft: Es ist doch Wahnsinn, dass wir seit zwei Minuten über dieses Auto sprechen. Wofür? Damit mich jemand in die Schublade des millionenschweren Profis stecken kann, der nicht in die Provinz passt? Das ergibt für mich keinen Sinn.
Ein Ferrari in Meppen, das würde tatsächlich auffallen. Als Nick Proschwitz vor zwei Jahren einen Vertrag beim SV Meppen unterschrieb, war die Aufregung so groß wie bei Dürrenmatts Besuch der alten Dame. Denn der ehemalige Torschützenkönig der zweiten Liga und Premier-League-Spieler fuhr mit einem Sportwagen vor. Das kam gut an, wenn er traf. Und genauso wurde hinter vorgehaltener Hand gespottet, wenn der SV Meppen am Wochenende verloren hatte. Er hätte wohl auch mit Blaulicht und Martinshorn durch die Kleinstadt fahren können. Nicht weniger neugierige Meppener hätten gewusst, wo sich ihr Stürmer gerade aufhält.
Beim SV Meppen wird immer behauptet, der Verein lebe von der engen Verbindung zwischen Fans und Spielern. Wie stellen Sie die Verbindung her – wenn Kontakte doch verboten sind?
Ich verstehe, was Sie meinen. Mein Vorgänger Christian Neidhart konnte hier auch nicht den Abschied erhalten, den er sich über die sieben Jahre verdient hätte. Wir müssen improvisieren. Wenn jemand beim Training vorbeischauen will, ist er herzlich eingeladen. Die Meppener wissen ja, wo wir trainieren. Und dann gebe ich auch gerne Autogramme.
Zwei Tage nach diesem Interviewtermin taucht bei Instagram das Foto eines Fans auf. „18 Jahre auf die Unterschrift gewartet. Danke Torsten.“ Er hält am Rande des Trainingsplatzes zusammen mit Frings das deutsche WM-Trikot von 2002 hoch. Die Beflockung? „22 – Frings“.
Wird der Fußball durch die Abwesenheit der Fans zum Beruf?
(Überlegt.) Beruf? Nee. Ich will es so erklären: Als Kind habe ich davon geträumt, Profi zu werden. Viel Geld zu verdienen, erkannt zu werden, den Hype zu spüren. Aber nach all der Zeit weiß ich, dass ich sehr gut darauf verzichten könnte. Trotzdem bin ich Trainer – weil die Leidenschaft für Fußball größer ist.
Wären Sie froh, wenn Sie dauerhaft ohne Zuschauer, ohne den Hype spielen würden?
Nein, dann könnten wir ja auch drüben auf die Wiese gehen und dort kicken. Die Zuschauer sorgen dafür, dass wir Entbehrungen auf uns nehmen, dass wir es unbedingt schaffen wollen. Weil wir das Adrenalin am Spieltag spüren, in vollen Stadien spielen wollen, das treibt mich an. Aber klar: Ohne Zuschauer könnten wir nicht unser Einkommen verdienen.
Sie sind Deutscher Meister, dreifacher Pokalsieger, Vizeweltmeister. Was treibt Sie zum Drittligisten SV Meppen?
Ich habe hier die Möglichkeit, bei einer von insgesamt 56 Profimannschaften als Trainer zu arbeiten. Bei einem gestandenen, super geführten Verein, der sich weiterentwickeln will. Das Anspruchsdenken, das von außen hereingetragen wird, lautet: Ein Weltklassespieler muss einen Weltklasseverein trainieren. Ich muss aber nicht Real Madrid trainieren, um mich gut aufgehoben zu fühlen. Wenn ich hier mit den Jungs zusammen bin, gebe ich mein ganzes Herz.
Wie definieren Sie ihren Führungsstil?
Ich muss kein Feldwebel sein, um mir Autorität zu erarbeiten. Die Jungs sollen mit einem guten Gefühl zum Training kommen. Wenn jemand private Probleme hat, soll er mit mir darüber reden können. Ich glaube, dass er nur so seine optimale Leistung abrufen kann.
So eine Entscheidung wächst aus eigenen Erfahrungen.
Ich habe die gemacht, ja. Unter Trainern wie Thomas Schaaf oder Matthias Sammer, die nahbar waren, habe ich bessere Leistungen abrufen können. Und als Spieler hatte ich nur die Möglichkeit, meine Dankbarkeit zu zeigen, indem ich mir den Arsch aufreiße.