Bochum, ich komm’ aus dir: Hermann Gerland über die Liebe zu seiner Heimat, Ommas Nagelbürste und sein Münchner Exil.
Warum gibt es im Revier an jeder Ecke einen großen Verein, während im Süden alles von zwei, drei Klubs absorbiert wird?
Vor allem natürlich, weil dort überall so viele Menschen leben, die früher keine andere Freizeitbeschäftigung hatten als Fußball. Heute hat man die finanziellen Möglichkeiten, Tennis zu spielen, Golf zu spielen, Schlittschuh zu laufen oder sogar Segelfliegen zu gehen. Früher sind die Jungs aus der Zeche gekommen und wollten Fußball spielen. Fußball war das Größte für die. Daraus sind meines Erachtens die Vereine entstanden.
Ist der Fußball generell präsenter im Alltag?
Ich glaube schon, aber ich kann das nur schwer beurteilen, weil ich überall sehr viel über Fußball rede. Auf jeden Fall laufen die Begegnungen im Pott anders ab. Das habe ich erst bei meinem letzten Besuch in Bochum wieder bemerkt.
Erzählen Sie!
Ich hatte kaum das Auto abgestellt, da kam schon der Erste auf mich zu: „Na Mensch, watt machs du denn hier?“ Und gleich danach kamen zwei ältere Damen: „Ach, guck mal, da iss ja unser Hermann, ach, watt war datt schön, als du noch bei uns gespielt has.“ Und schon ist man mitten im Gespräch.
Werden Sie in München nicht angesprochen?
Doch, aber das ist anders. Zunächst mal duzt mich in Bochum jeder, hier sagen sie Herr Gerland.
Was ist Ihnen lieber?
Duzen natürlich. Jeder kann Hermann zu mir sagen.
Hermann, hat es dich nie gereizt, deine Erfahrungen beim FC Bayern für den VfL Bochum zu nutzen?
Tja, ich bin seit 25 Jahren weg, und erst jetzt hat mich mit Martin Kree zum ersten Mal ein Offizieller von Bochum angesprochen. Von Ottokar Wüst, als der noch mitgemischt hat, wurde das zwar auch gewünscht, das weiß ich, aber es ist nie jemand vom VfL Bochum auf mich zugekommen.
Würdest du den FC Bayern für den VfL Bochum aufgeben?
Heute auf gar keinen Fall mehr. Es gab eine Zeit, da hätte ich es mir vorstellen können. Je nachdem, wie alt ich werden kann, könnte ich mir auch vorstellen, im Rentenalter mal eine Mannschaft zu übernehmen oder die Jugendabteilung, wenn man mich ansprechen würde. Dann allerdings ohne Geld.
Du willst wieder zurück nach Bochum.
Ja, wobei es jetzt auch so ist, dass meine Frau in diesem Jahr noch zweimal Omma wird. Und den kleinen Paul haben wir schon. Der ist jetzt drei, und als ich zu Jahresbeginn einen Fanklub in der Uckermark besucht habe, habe ich in Berlin Station gemacht, wo meine Töchter wohnen, und ihn mitgenommen. Er hat dann für mich auf die Torwand geschossen und von drei Versuchen zwei getroffen. Ein verrückter Linksfuß. Mit drei!
Und jetzt überlegst du, ob du nach Berlin musst, ihn ausbilden?
Naja. Ich mag meine Töchter schon auch leiden, keine Frage, aber vor allem hat meine Frau das Gefühl, sie würde dort gebraucht. Ich würde schon gerne zurück ins Revier, wir haben da einen Bauernhof mit Pferdezucht. Und für die Kinder ist das doch auch wunderbar, wenn sie kommen können und mit dem Oppa Trecker fahren. Aber das ist alles noch nicht entschieden.
Werner Olk hat mal gesagt: „München ist die schönste Stadt der Welt, hier will doch keiner weg.“ Warum willst du doch?
Sagen wir mal, der FC Bayern lässt mich noch fünf oder sechs Jahre hier arbeiten. Dann habe ich 30 Jahre in der schönsten Stadt der Welt gewohnt. Dann kann ich doch zurück in meine Heimat. Wobei, von meinen Kumpels sind schon einige gestorben: Ottokar Wüst, Eia Kremer, Werner Balte. Wenn ich in ein paar Jahren gar keinen mehr kenne, dann weiß ich auch nicht, was ich in Bochum noch zu tun habe. Wie gesagt: Es geht nicht um die Königsallee oder das Stadion, das habe ich meinem Enkel schon gezeigt. Es geht um die Menschen, um Weggefährten.