„Dass eine Dorfmannschaft mal mit zehn Mann antritt, weil ein paar Jungs noch in der Kneipe sitzen, davon hat man ja schon gehört. Aber wir? Arminia Bielefeld? In der zweithöchsten deutschen Spielklasse?
Der Kader war damals schlichtweg zu klein. Das wurde zum Problem, weil in der Woche vor dem Spiel gegen Saarbrücken nach und nach zehn Leute ausfielen. Als wir immer weniger wurden, reduzierte unser Trainer Horst Franz die Trainingsbelastung, damit sich nicht noch jemand verletzte.
Doch wenn man kein Glück hat, dann kommt, wie es so schön heißt, auch noch Pech dazu: Wegen einer Grippe fielen am Freitag zwei weitere Kameraden aus. Am Ende waren es nur noch sieben einsatzfähige Profis. Wir gingen davon aus, dass wir nicht würden spielen müssen. „Kann ja nicht gehen“, dachten wir. „Wir kriegen doch keine Mannschaft zusammen!“ Die Arminia-Verantwortlichen versuchten natürlich unter Vorlage der Atteste, das Spiel verschieben zu lassen. Das macht der DFB aber nur, wenn alle an demselben Virus erkrankt sind. Wir konnten die Mannschaft nicht einmal mit Amateuren auffüllen, da laut Statuten nur drei eingesetzt werden durften. Sieben Profis plus drei Amateure – das macht zehn Spieler.
Uns war klar, dass wir mit einer derart geschröpften Truppe gegen die starken Saarbrücker keine Chance haben würden. Aber wir wollten uns so gut wehren wie irgend möglich. Leichter gesagt, als getan: Nach nur zehn Minuten fiel auch noch Thomas Ostermann mit einem Leistenbruch aus. Wir warteten die gesamte erste Hälfte, dass Horst Franz endlich einen anderen Spieler brachte. Erst in der Halbzeitpause erfuhren wir: Er durfte nicht. Ostermann war Profi und konnte nicht durch einen Amateur ersetzt werden.
Also waren wir nur noch neun. Wir fühlten uns wie Gladiatoren, umzingelt von Raubtieren. Wir wussten: Eigentlich können wir uns gleich in den Staub werfen und uns fressen lassen. Oder aber wir kämpfen bis zum Letzten – und das taten wir. Zwar gerieten wir in Rückstand, doch dann geschah das Unfassbare, durch eine Standardsituation fiel das 1:1! Und jetzt denken Sie mal an die Saarbrücker: Die standen von Anfang an unheimlich unter Druck – und dann das! Das Publikum tat sein Übriges. Zwar waren nur 2600 Fans auf der Alm, aber die bejubelten jeden Ball, den wir hinten raus schlugen, wie die Verrückten. Jeder Ball, der auf die Tribüne flog, wurde erst einmal nicht mehr hergegeben, sondern hin- und hergeworfen.
Aber ganz ehrlich: Das hatte schon auch etwas Lächerliches. Es war kein ernst zu nehmendes Spiel – es war etwas, das man heute wohl „Event“ nennen würde. Es ist doch desolat, dass eine Mannschaft im Profi-Bereich zu zehnt antritt und nur ein Ziel hat: bloß nicht zweistellig zu verlieren. Immerhin das gelang uns: Bis zur Pause hielten wir ein 1:1, gegen Ende wurden unsere Beine aber so schwer, dass wir kurz vor Abpfiff noch zwei Tore kassierten. Das war zwar im ersten Moment sehr enttäuschend, andererseits dachten alle: „War ja klar! Was hätte denn sonst passieren sollen?“ Wenn wir wenigstens einen Punkt geholt hätten, dann hätten wir daraus vielleicht noch Selbstvertrauen für die kommenden Spiele ziehen können. So blieb dieses Spiel ein vollkommen irreales Ereignis. Zu zehnt in einem Zweitligaspiel? Wir? Arminia Bielefeld? Das ist doch beknackt.“
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Aufgezeichnet von Dirk Gieselmann