Am 9. April 1988 machte Frank Mill ein Tor, das heute nicht mehr fallen wüde: Der Stürmer köpfte Hannovers Torwart Ralf Raps den Ball aus den Händen. Eine Ausstellung in Essen erinnert an diese Schlitzohrigkeit.
Als Franky „Hängesocke“ Mill an jenem Nachmittag zum Jubeln abdrehte war das keineswegs einer dieser überschwänglichen Torjubel, die ihn im Laufe seiner langen Bundesligakarriere zur Blaupause des glückseligen Jürgen Klinsmann werden ließen. Vielmehr war es ein verstohlener schüchtener Blick, den er da offenbarte – einer von der Sorte, die man auf den Gesichtern von Kindern sieht, die wissen, dass sie soeben die Grenze des Vertretbaren überschritten haben. Die gerade dabei ertappt wurden, wie sie mit ihren kleinen Kinderhänden eindeutig zu tief in Omas Bonbon-Glas grabbeln und mit mehr Colakracher davonkommen als ihre Erzeuger es für vertretbar halten.
Jetzt aber, da Schiedsrichter Amerell seine Pfeife aus dem Mund nimmt und Richtung Mittelkreis zeigt, bricht es aus dem Vollblutstürmer heraus. Mill reißt die Arme in die Luft und setzt zu einem kleinen Freudensprung an. Wohl wissend, mit Hannovers Torhüter Ralf Raps ein Ding abgezogen zu haben, das dieser mit Sicherheit sein Leben nicht vergessen wird. Ein dreistes Stück, von dem kleine Kinder entlang der A40 höchstens in ihren kühnsten Träumen zu phantasieren wagen – ein Tor, das selbst die biedersten Fußballfachleute der Republik in den kommenden Wochen in Wallungen bringen würde.
Raubtierartig hatte sich Franky „Hängesocke“ erst an den ahnungslosen Schlussmann herangeschlichen, ihn regelrecht ausgeguckt, nur um dann – just in dem Moment, in dem Ralf Raps den Ball aus der Hand abschlagen wollte – mit seinem Kopf dazwischen zu fahren. Um ihn schließlich mit der Kaltschnäuzigkeit eines Straßenköters aufzunehmen und unter dem Gejohle der 21.100 feixenden Zuschauer im Gehäuse der Hannoveraner unterzubringen.
Was Mill und die anwesenden Zuschauer an diesem Samstag im April 1988 noch nicht wissen konnten, war, dass das Schlitzohr wegen dieser Räuberpistole nicht nur zum Torschützen des Monats gekürt werden sollte. Dieses Tor sollte auch der Auslöser für eine gravierende Regeländerung in den Statuten des DFB sein. Kein Stürmer sollte es fortan wagen dürfen, einen Torhüter anzugehen, wenn dieser den Ball in seinen Händen hielt oder gar „aus seinen Händen abspielen möchte“. Ein denkwürdiger Moment also. Und Grund genug, um den fußballverrückten Studenten Thomas Böcker in die Spur zu schicken, den Torjäger a.D. für die Fotoausstellung „Da war doch wat!“ im Essener Forum für Kunst & Architektur zu porträtieren.
Einer Anfrage, der Mill auch mehr als 20 Jahre nach dem Tor sehr gerne nachkam. Vielleicht auch in der Hoffnung, dass das Fotoportrait ihn endlich reinwasche von dem Stigma, das ihn seit seinem legendären Pfostenschuss aus der Saison 1986/87 umweht.
„Ein Leuchten in seinen Augen“
Und so will auch der Design- und Fotografiestudent Böcker beim Shooting im Westfalenstadion einen gewissen Stolz für das Erreichte gespürt haben: „Auch wenn ich jetzt nicht sagen kann, ein Leuchten in seinen Augen wahrgenommen zu haben, so wusste er dennoch ganz genau, wie das Tor entstanden ist, dass er den Ball mit dem linken Fuß reingemacht hat“, so der Fotograf.
Womit der Stürmer aber beileibe nicht allein auf weiter Flur steht. Denn auch im Rahmen der Ausstellung der Fachhochschule Düsseldorf, die sich zum Ziel gesetzt hat, Geschichten aus dem Ruhrgebietsalltag erneut ans Tageslicht zu fördern und neu zu vermitteln, erfreuen sich die Besucher genauso an der Geschichte von Franky „Hängesocke“ Mill wie an den Bildern von „Diamanten Paul“ und der Essener Lichtburg. Eine Anekdote, die eben auch typisch Ruhrgebiet ist. Ein kleines Gaunerstück auf grünem Rasen, von dem die (Groß-)Eltern entlang der A40 auch heute noch gerne ihren Steppkes erzählen. In der Hoffnung, ihr Filius würde eben nicht der nächste Bierhoff werden, sondern ein Vollstrecker der alten Schule. Ein räudiger Straßenköter mit der Schlitzohrigkeit eines Frank Mill.
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Alle Infos zur Foto-Ausstellung in Essen gibt’s hier: https://www.dawardochwat.de