Am 15. und 19. November kämpfen Islands Nationalspieler in den Playoffs gegen Kroatien ums Ticket für die WM. Eyjólfur „Jolly“ Sverrisson kennt viele von ihnen, seit 2009 ist er isländischer U21-Trainer. Hier spricht der ehemalige Bundesliga-Legionär über Wikingerblut und isländische Weltklassespieler.
Eyjólfur Sverrisson, wissen Sie, welchen Rekord Trinidad und Tobago im Fußball hält?
Ich nehme mal an, es ist das kleinste Land, das an einer WM teilgenommen hat. Stimmt das?
Völlig richtig. 1,3 Millionen Menschen leben dort. Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sich Island mit seinen 320.000 Einwohnern diesen Rekord am 19. November schnappt?
Ich würde sagen 50:50. Die Kroaten sind zwar der Favorit, aber in solchen Spielen weiß man ja nie. Da hängt viel von der Stimmung ab. Und die Stimmung ist gut bei Island, wir sind im Aufwind. Es wird allerdings schwierig sein, die Kroaten auszurechnen. Die haben außerdem mit Niko Kovač einen neuen Trainer.
Mit ihm haben Sie Mitte der neunziger Jahre zusammen für Hertha BSC gespielt.
Da weiß man nie, was kommt. Vielleicht ist die Mannschaft verunsichert durch den neuen Trainer. Vielleicht ist sie durch ihn aber auch besonders motiviert. Es ist eher ein Nachteil für Island, dass Trainer Lars Lagerbäck nur schwer planen kann. Wie werden die Kroaten wohl spielen?
Möglicherweise unterschätzen sie Island.
Ich kann mir jedenfalls vorstellen, dass sie gejubelt haben, als sie uns gezogen haben. Für alle vier Mannschaften aus dem ersten Topf wären wir der absolute Lottogewinn gewesen.
Kaum einer setzt auf Island. Spornt das die Spieler an oder entmutigt sie es?
Die wissen, was sie können. Die meisten von ihnen waren 2011 mit mir bei der U21-EM in Dänemark. Die Jungs haben damals internationales Flair geschnuppert und waren am Ende die fünftbeste Juniorennationalmannschaft in Europa. Und sie haben noch einige Jahre, in denen sie zusammenspielen und wachsen werden. Das sind junge Leute. Und trotzdem gute Leute.
Wo ist das Team besonders gut?
Wir sind offensiv sehr stark, es gibt viele Spieler, die gerade einen richtigen Lauf haben. Gylfi Sigurðsson spielt in Tottenham, Jóhann Guðmundsson und Kolbeinn Sigþórsson verdienen ihr Geld in Holland, alle drei machen viele Tore. Wenn man noch Aron Jóhannsson mitzählt, der sich leider für die US-Nationalmannschaft entschieden hat, haben drei der Topscorer in Holland isländische Wurzeln. Schon erstaunlich.
Ist Eiður Guðjohnsen, der in Barcelona und für Chelsea gespielt hat, noch immer der Star des Teams?
Er ist der erfahrenste Spieler, ja. Aber Star? Das ist eher Sigurðsson. Er ist ein Juwel und kann Spiele allein entscheiden, etwa durch seine Freistöße. Ein absoluter Ausnahmespieler, er hat eine einmalige Entwicklung gemacht. Und Kolbeinn Sigþórsson von Ajax wird total unterschätzt. Er ist schnell, kopfballstark, ein unheimlich aggressiver Stürmer, brandgefährlich. Für mich ist er auch ein Weltklassespieler.
Noch vor Kurzem wurde Island in seinen Qualifikationsgruppen verlässlich Vorletzter oder Letzter. Was hat sich geändert?
Das ist die allgemeine Entwicklung von Fußball in Island. Wir haben große Hallen gebaut, in denen man das ganze Jahr über 24 Stunden trainieren kann. Dadurch haben wir uns unheimlich verbessert. Vor allem in der Breite. Die athletischen Leute haben wir immer schon gehabt. Dass so viele von uns erfolgreich sind im Handball und im Fußball, ist eigentlich phänomenal. Da muss was in den Genen liegen. Irgendwas ist da. Diese Durchschlagskraft. Das Wikingerblut hat uns geprägt.
Sicher, dass es daran liegt?
Die Motivation ist in Island auch sehr hoch. Vielleicht werden wir einfach vom Wetter beeinflusst. Das wechselt ständig, man muss sich immerzu neu orientieren. Die Isländer geben nicht auf und arbeiten hart, um erfolgreich zu sein. Egal, was sie machen.
Ihr Sohn Hólmar Eyjólfsson spielt beim VfL Bochum, ein A‑Länderspiel hat er schon absolviert. Wahrscheinlich wäre er im nächsten Jahr bei der WM dabei, wenn Island sich qualifiziert. Würde Sie das wurmen? Sie waren nie bei einem großen Turnier dabei.
Nein, ich würde mich freuen. Für alle Spieler. Die meisten habe ich ja trainiert, ich kenne die gut. Ich hätte so etwas auch gerne geschafft, als ich noch aktiv war, aber wir waren nicht gut genug, vor allem in der Breite. Wenn heute einer ausfällt, rückt der nächste nach, der ist nicht viel schlechter.
Verfolgen Sie eigentlich noch die Bundesliga?
Ja, jedes Wochenende. Ich gucke alle Spiele, die ich live kriegen kann, vor allem natürlich meine Mannschaften: Stuttgart und Hertha. Ich halte die Bundesliga für die attraktivste Liga der Welt. Da wird sensationeller Fußball gespielt. Und es ist witzig, dass viele meiner ehemaligen Mitspieler jetzt Trainer und Manager sind, Michael Preetz, Marc Arnold, Michael Frontzeck. Es macht Spaß zu gucken, wie sich diese Typen entwickelt haben.
Auch Kroatiens Trainer Niko Kovač ist einer Ihrer ehemaligen Mitspieler. Werden Sie vor den Playoffs mit ihm telefonieren?
Wir kennen uns gut, haben aber keinen regelmäßigen Kontakt. Ich glaube nicht, dass er mich anrufen wird. Da würde er eh nicht viel rauskriegen.
Was ist Ihr Tipp für die beiden Spiele?
Da bin ich natürlich gefärbt. Ich glaube, wir kommen weiter. 0:0 in Island und 1:1 auswärts. Dann sind wir das kleinste Land, das je an einer WM teilgenommen hat. Und es wird lange dauern, bis uns jemand diesen Rekord wieder abnehmen kann.
Würden Sie nach Brasilien fliegen?
Na sicher, auf jeden Fall!