Die dritte Mannschaft des TuS Harpen spielt Kreisliga C und normalerweise vor zwanzig Zuschauern. Am Tag der Amateure sollten es knapp 3000 werden – neuer deutscher Rekord. Über einen Sportplatz außer Rand und Band.
In der Kabine ist es ganz ruhig. Die Spieler schauen auf den Bildschirm eines Laptops. Ihr Trainer spricht zu ihnen – per Videobotschaft. Guido Brüggemann befindet sich mit seiner Gattin im Urlaub. Über seine Abwesenheit ist er untröstlich. Denn auch für ihn wäre das Spiel der Höhepunkt seiner Trainerkarriere gewesen.
Doch das hält ihn nicht davon ab, die Kabinenansprache zu halten: „Denkt dran: Ihr müsst auf dem Platz kommunizieren“. Auf seinen letzten Rat hin wird es laut vor dem Laptop laut. Seine Spieler fangen an zu brüllen und klatschen ihre Hände gegen die Kabinenwand. Vielleicht auch, um sich selbst etwas Mut zu machen. Denn Organisator Oliver Drohn hat der Mannschaft soeben verkündet, dass mittlerweile über 1.000 Zuschauer vor Ort sind. Sogar das Fernsehen ist da. Vor solch einer Kulisse hat noch keiner von ihnen gespielt. Und die Schlange vor den Toren des Sportplatzes wird immer länger.
Tatsächlich verzögert sich der Anpfiff der Partie um knapp zwanzig Minuten, weil die Menschen vor dem Kassenhäuschen mehrere hundert Meter anstehen. Vor bis zum ortsansässigen Italiener. Der große Andrang hat auch mit 1Live-Reporter Daniel Danger zu tun. Schon die ganze Woche hat er im Radio kräftig die Werbetrommel gerührt, um noch mehr Menschen für den Tag der Amateure beim TuS Harpen zu begeistern. Mit großem Erfolg. Der Sportplatz platzt aus allen Nähten.
„Kevin Steinhaus, Fußballgott!“
Um 17:20 Uhr ist es endlich soweit. Die Mannschaften betreten den Rasen. An den Händen halten die Spieler Einlaufkinder, dazu läuft die Champions-League-Hymne. Heute wird das Spiel von einem richtigen Schiedsrichtergespann geleitet. Sogar eine Pyro-Show gibt es. Die Zuschauer-Massen drängen sich dicht um den Platz. Blau-weiße Fähnchen, die Harpener Vereinsfarben, werden geschwungen. Vom eigens errichteten Gästeblock auf der anderen Seite des Spielfeldes wehen Trommelwirbel und laute Gesänge herüber. Gänsehaut. Als Oliver Drohn die neue Zuschauerzahl durchsagt, erreicht der Geräuschpegel einen neuen Höhepunkt.
Das Spiel ist mäßig – etwas anderes war auch kaum zu erwarten. Die Stimmung hingegen ist Extraklasse. Als TuS-Kapitän Kevin Steinhaus in der 32. Minute das 1:0 für Harpen erzielt, ist der Jubel grenzenlos. Aber nicht nur wegen der Führung oder aufgrund der Tatsache, dass Harpen mit 2815 Zuschauern tatsächlich einen neuen Rekord aufgestellt hat. Die Freude gilt vor allem dem Torschützen. Denn ein Jahr lang war für Kevin Steinhaus an Fußballspielen nicht zu denken. Nach überstandener schwerer Krankheit feiert er ausgerechnet am Tag der Amateure sein Startelf-Comeback. Und was für eins. Am Ende gewinnt Harpen mit 5:0 (hier geht’s zur Video-Zusammenfassung). Steinhaus wird mit zwei Treffern und zwei Vorlagen zum Mann des Tages. Nach dem Spiel steht ihm die Freude ins Gesicht geschrieben: „Etwas Schöneres hätte ich mir nicht ausmalen können. So eine Stimmung kriegst du als Kreisligaspieler nie wieder.“
Die Zuschauer singen: „Kevin Steinhaus, Fußballgott!“ Die Mannschaft feiert den Sieg so ausgelassen wie eine Meisterschaft. Erst mit einer Humba, dann mit einer Bierdusche. Auch Oliver Drohn ist mittendrin. Er strahlt über das ganze Gesicht, der Druck ist von ihm abgefallen. Es ist geschafft. Der TuS Harpen hat etwas Großes auf die Beine gestellt. Auch wenn beim nächsten Heimspiel der „Dritten“ wieder nur zwanzig Leute am Rand stehen werden – diesen Sonntag wird in Harpen niemand so schnell wieder vergessen.