Wie gewinnt man 4:0 gegen Barcelona? Holger Willmer weiß es, denn er hat es erlebt. Ein Gespräch über ein legendäres Spiel, die WG mit Bernd Schuster und seine Zeit bei Bayern.
Holger Willmer, wie gewinnt man 4:0 gegen Barcelona?
An jenem 5. November 1980 hat im Nou Camp einfach alles gepasst.
Das ist als Mutmacher für den FC Bayern wahrscheinlich wenig hilfreich. Gab es kein Erfolgsrezept?
Mindestens ein Tor vor der Halbzeit ist wichtig. Das ist uns gelungen, und dann haben wir Barcelona niedergekämpft. Die Barca-Fans waren darüber sehr aufgebracht. Mitten im Spiel liefen auf einmal sämtliche Ersatzspieler aufs Spielfeld, weil die Fans die Sitzbänke aus der Verankerung gezogen hatten und auf die Bank warfen. Auch nach Abpfiff gab es Tumulte. Wir mussten über zwei Stunden in den Kabinen bleiben.
Wie stark war Barcelona damals?
Zu Hause hatten wir 0:1 verloren, und da haben die Barca-Spieler durchaus brilliert. Dennoch: Die Mannschaft war nicht so stark wie die heutige. Aktuell ist Barca ja gespickt mit Superstars. Aber im Fußball ist alles möglich. Warum sollte Bayern heute nicht einen super Tag erwischen und Barcelona einen schlechten?
Sie glauben also noch an das Weiterkommen des FC Bayern?
Eigentlich schon. Weil ich das noch aus meiner Bayern-Zeit kenne. Wir haben auch Spiele gebogen, in denen keiner mehr mit uns gerechnet hat. Und wenn es einmal läuft, dann läuft das. Das 6:1 gegen Porto im Viertelfinale ist das beste Beispiel. Ich schmeiß auch gleich was in Phrasenschwein: Ein Spiel dauert 90 Minuten. Und wenn man ein frühes Tor schießt, hat man genügend Zeit, das noch zu drehen.
In Sachen frühe Tore sind Sie auch Experte: Sie schossen 1977 für den 1. FC Köln gegen Fortuna Düsseldorf in Ihrem ersten Bundeligaspiel gleich nach 70 Sekunden Ihr erstes Tor.
Normalerweise hätte Hannes Löhr gespielt, der hat sich aber beim Aufwärmen verletzt. Hennes Weisweiler sagte zehn Minuten vor Spielbeginn: „Holger, du musst ran“. Ab da war das easy going. Ich bin durch mehrere Spieler durchgetanzt und habe das Ding gemacht. Allerdings haben wir das Spiel 1:5 verloren.
Trotzdem gewannen Sie in der Saison gleich die Meisterschaft – an einem kuriosen letzten Spieltag: Vor dem Spiel gegen St. Pauli war Köln punktgleich mit Borussia Mönchengladbach, hatten aber ein um zehn Tore besseres Torverhältnis. Gladbach spielte gegen Dortmund.
Das wäre beinahe noch schiefgegangen, denn Gladbach hat Dortmund 12:0 geschlagen. Vermutlich verdanken wir den Titel unserem Manager Karl-Heinz Thielen. Er wollte uns die Drucksituation im berüchtigten Millerntor ersparen. Also hat er 30.000 Karten für das Spiel vorbestellt, sodass St. Pauli auf das Volksparkstadion ausweichen musste. Ich glaube, am Millerntor hätten wir nicht 5:0 gewonnen.
Waren Sie während des Spiels über den Spielstand in Gladbach informiert?
Selbstverständlich. Für mich hatte dieses 12:0 auch einen bitteren Beigeschmack, muss ich ganz ehrlich sagen. Man kann sicherlich verlieren und auch mal recht hoch. Aber ein 12:0? Ernsthaft?
Insgesamt hatten Sie eine turbulente Anfangszeit in Köln. In den ersten Jahren haben Sie auch mit den anderen Jungspielern Gerry Ehrmann und Bernd Schuster in einer WG gelebt. Das stellen wir uns amüsant vor.
Ich bin damals mit 18 aus Lübeck nach Köln gezogen. Da war es gut, dass Gerry, Bernd und ich in einer Familie untergekommen sind. Die Familie hat für uns gekocht, Wäsche gewaschen. Wir hatten den unteren Bereich des Hauses komplett für uns und jeder hatte sein eigenes Zimmer. Das waren zwei, drei Jahre – eine ziemlich entspannte Zeit.
Mit dem FC feierten Sie viele Erfolge. Ein besonderes Spiel war sicherlich das Pokalfinale gegen den Lokalrivalen Fortuna Köln 1983, das Sie mit 1:0 gewannen. Was war an diesem Tag in Köln los?
Das war schon verrückt, gerade wegen der Rivalität. Aber wenn man den Pokal gewinnt, ist eigentlich immer die Hölle los.
Wie bewerten Sie die aktuelle Mannschaft?
Dass sie das erste Jahr nach dem Aufstieg überstanden hat, ist schon mal wertvoll. Aber der FC muss sich im Sommer enorm verstärken, um auch im schwierigen zweiten Jahr die Klasse zu halten.
1984 sind Sie zum FC Bayern gewechselt, die vor einem Umbruch standen: Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner waren weg, junge Spieler wie Sie und Lothar Matthäus sollten die Lücken füllen. Wie haben Sie diese Situation erlebt?
In der Zeit ging es dem FC Bayern finanziell nicht so gut, daher standen wir von Anfang an unter Druck, mussten Erfolg haben. Auch die Konkurrenzsituation war neu für mich, wir waren 27 Profis, die alle spielen wollten.
Wie kam der Wechsel zum FC Bayern zustande?
Eigentlich wollten die Bayern mich schon 1982 holen, aber da habe ich mich für Köln entschieden, weil seinerzeit Pal Csernai in München Trainer war. Bei dem hatte ich kein gutes Gefühl. Als dann Udo Lattek Trainer wurde, erschien mir ein Wechsel attraktiver.
Wie war die Zusammenarbeit mit Lattek?
Udo war ein Lebemann und ein großer Motivator. Er brauchte uns ja nicht erklären, wie wir Fußball spielen sollten. Aber er hat immer die richtigen Worte gefunden, um uns zu motivieren. Ich selbst kam leider wegen einiger Verletzungen nicht so wie in Köln zum Zuge. Aber nichtsdestotrotz hatte ich in München meine schönste Zeit. Dort sind auch meine beiden Kinder geboren. Und dreimal deutscher Meister bin ich ja auch geworden.
Haben Sie heute noch Kontakt zum FC Bayern?
Ab und an. Man ist auch als ehemaliger Spieler noch Mitglied der Bayern-Familie. Ich überlege, ob ich mir nächste Saison mal wieder ein Spiel in München anschaue. Zu meinem letzten Verein aus Hannover habe ich aber noch mehr Kontakt und spiele mit früheren Mitspielern manchmal in einer Ehemaligen-Auswahl. Selbst unser Vereinsarzt von damals ist dann immer dabei. Der sieht immer noch genauso jung aus wie früher.
Eigentlich waren Sie gelernter offensiver Mittelfeldspieler, haben aber in ihrer Profilaufbahn hauptsächlich als Außenverteidiger gespielt. Wie kam es dazu?
Das hat sich in meiner Jugendnationalmannschaftszeit so entwickelt: Wir hatten ein Überangebot an guten Mittelfeldspielern. Bevor ich da nicht dabei bin, spiele ich doch lieber auf einer anderen Position. Und so bin ich dann immer weiter nach hinten gerutscht. Die linke Abwehrseite war meine. Gemeinsam mit Hansi Pflügler haben ich damals alles umgepflügt.
Pflügler ist 1990 Weltmeister geworden. Warum hat es bei Ihnen in der Nationalmannschaft nicht geklappt?
1982 war ich vor der WM noch im 40er-Kader. Aber letztendlich hatte man auf meiner Position einen Hans-Peter Briegel. An dem bin ich nicht vorbeigekommen.
Sie sind nach Ihrer Karriere wieder zurück in Ihre Heimatstadt Lübeck gegangen. Was machen Sie heute?
Ich bin selbständiger Finanzdienstleister und habe mit Fußball nicht mehr allzu viel zu tun.
Da geht es eher um nackte Zahlen als um Fußballwunder, oder?
Richtig. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Finanzberatern und Fußballern. Zum Beispiel den Ehrgeiz. In beiden Branchen ist alles möglich.