Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Im Leben kommt es nicht darauf an, wie viel ein Mensch aus­teilen, son­dern wie viel er ein­ste­cken kann. Diese lei­dige Erfah­rung macht nun auch Lukas Podolski. Ver­meint­lich immun gegen jeg­li­chen Ein­fluss von außen, tän­zelte er jah­re­lang wie ein Sekt­korken auf den peit­schenden Wogen der Bun­des­liga. Selbst als Edel­re­ser­vist beim FC Bayern perlte Kritik an dem Youngster scheinbar ab. Im DFB-Dress traf er wie der­einst im Juni 2006. Nerven wie Draht­seile sprach man dem Sun­nyboy zu, der selbst nach Monaten auf der Münchner Ersatz­bank immer noch mit gerecktem Daumen in jede Kamera griente. 



Doch Poldis Ver­spielt­heit hat gelitten. So sehr, dass die rhei­ni­sche Froh­natur nach dem Län­der­spiel gegen Argen­ti­nien Anfang März einen TV-Reporter zum Ring­kampf her­aus­ge­for­dert haben soll, als dieser ihn am Bus mit allzu kri­ti­schen Fragen behel­ligte. Und jede noch so mar­gi­nale Bou­le­vard­mel­dung zu seiner Person ver­dichtet sich im Kern auf eine These: Podolski steht unter DRUCK! 

Ein Begriff, der viel Raum für Asso­zia­tionen lässt, spä­tes­tens seit dem Rück­tritt von Sebas­tian Deisler aber auch eine patho­lo­gi­sche Kom­po­nente bekommen hat. Kaum ein Inter­view ver­geht, ohne dass kri­ti­sierte Spieler oder Trainer zur Beschrei­bung ihrer per­sön­li­chen Situa­tion mit dem Druck-Begriff ope­rieren. Aber was ver­setzt Pro­fi­ki­cker eigent­lich unter grö­ßeren Stress als den Bus­fahrer, den Herz­chir­urgen oder den Manager eines Dax-Unter­neh­mens? 

Je pro­mi­nenter du bist, desto mehr Druck lastet auf dir“

Der frü­here Bun­des­li­ga­stürmer Thomas Brdaric sagt: Druck erhöht sich pro­por­tional zu deinem Bekannt­heits­grad. Je pro­mi­nenter du bist, desto mehr Druck lastet auf dir.“ Im Falle von Tee­nie­schwarm Podolski muss sich dem­nach ein explo­siver Cock­tail zusam­men­ge­braut haben. Die Wis­sen­schaft geht von drei Arten des Drucks aus, die bei dem Kölner ins­be­son­dere nach dessen Rück­kehr zum FC zum Tragen kommen: 1. Erwar­tungs­druck, 2. Nomi­nie­rungs­druck und 3. der mediale Druck.

Dass sich Podolski, aus­ge­stattet mit einem exor­bi­tanten Gehalt und Vor­schuss­lor­beeren, die ihm beinah über­sinn­liche Kräfte zuspre­chen, bei seinem Rück­transfer enormen Erwar­tungen aus­setzte, muss ihm bewusst gewesen sein. Auch dass die rhei­ni­sche Medi­en­land­schaft diese Hal­tung des Umfelds quasi als öffent­liche Mei­nung ver­kaufen würde. Aber dass zwi­schen­zeit­lich ganz Deutsch­land jede Minute mit­zählte, die der Spieler kein Tor mehr geschossen hatte, und damit nach und nach auch die Stamm­platz­ga­rantie Podol­skis in Frage stellte, poten­zierte das Druck­sze­nario auf den 24-Jäh­rigen ins Extreme. Vale­rien Ismael sagte einmal über seine Zeit beim FC Bayern: Jeder kämpft um seinen Platz und muss über seine Grenzen gehen. Denn die Kon­kur­renz schläft nicht. In so einer Situa­tion kommt es zu der einen oder anderen Über­re­ak­tion, die an die Öffent­lich­keit gelangt.“ In Podol­skis Fall entlud sich der Über­druck aus­ge­rechnet in Rich­tung derer, die ihn nach Ansicht des eins­tigen Spring­ins­feld mit erzeugt hatten: die Reporter. Ein Teu­fels­kreis. 

Dabei ist Druck im Pro­fi­fuß­ball bei­leibe keine Zeit­geis­t­er­schei­nung. Im Gegen­teil. Ohne sich selbst unter Druck zu setzen, kann ein Sportler wohl kaum Höchst­leis­tungen erzielen. Bern­hard Peters, ehe­ma­liger Hockey­na­tio­nal­trainer und heu­tiger Direktor für Sport- und Nach­wuchs­för­de­rung bei der TSG Hof­fen­heim, sagt: Druck ist etwas Spe­zi­fi­sches und Gutes im Leis­tungs­sport, denn Druck fokus­siert. Nur der Leis­tungs­sportler, der in der Lage ist, psy­chi­schem Druck stand­zu­halten, ist auch erfolg­reich.“ Chris­toph Daum setzte seine Kicker schon in den Neun­zi­gern unter künst­li­chen Druck, indem er sie über Glas­scherben wan­deln ließ und damit die Erkenntnis schuf, dass mit eisernem Willen alles zu errei­chen sei. Spieler wie Oliver Kahn oder Uli Stein lebten zu ihrer aktiven Zeit in einer stän­digen Druck­si­mu­la­tion, um in der ent­schei­denden Spiel­si­tua­tion nicht die nötige Kör­per­span­nung ver­missen zu lassen. Stein ver­brachte Halb­zeit­pausen oft auf dem Klo, um wenigs­tens dann bei einer Ziga­rette für Augen­blicke zu ent­spannen. Auf einen leis­tungs­be­zo­genen Ver­trag bei Arminia Bie­le­feld ver­zich­tete der Keeper einst mit den Worten: Stell dir vor, mein Ver­tei­diger lässt seinen Gegen­spieler laufen, der mir dann frei vor dem Tor den Ball ins Netz haut! Den würde ich vor Wut gleich auf dem Rasen umbringen.“ 

Box­beutel zur Schweins­haxe – das war einmal

Und doch hat sich die Lebens­welt eines Fuß­bal­lers ver­än­dert. Von Gerd Müller, dessen ein­zig­ar­tige gene­ti­sche Ver­an­la­gung zur Anti­zi­pa­tion von Spiel­si­tua­tionen ihn dazu brachte, als Mit­tel­stürmer mit 365 Bun­des­li­ga­toren einen Rekord für die Ewig­keit auf­zu­stellen, ist der Satz über­lie­fert: Wennst nach­denkst, is’ eh zu spät.“ Müller spielte in Zeiten, als Selbst­zweifel noch nicht gras­sierten und Druck­kom­pen­sa­tion ungleich leichter fiel. Das Leben von Fuß­bal­lern abseits des Feldes war so privat, dass der Bomber“ mit seinem Kumpel Franz Becken­bauer jeden Frei­tag­abend vor Heim­spielen in der Sport­schule Grün­wald unbe­hel­ligt einen Box­beutel zur Schweins­haxe trinken konnte. 

Auch Lukas Podol­skis Cool­ness wird darauf zurück­ge­führt, dass er sich keinen Kopf macht und auch mal Fünfe gerade sein lässt. Doch in Zeiten, in denen jeg­liche Regung eines Profis unmit­telbar öffent­lich ver­han­delt wird, tut sich selbst ein weniger reflek­tierter Spieler mit­unter schwer, das Nach­denken ein­fach weg­zu­schlagen. An einem ver­ge­benen Elf­meter können Mil­lionen hängen, eine Rote Karte zur fal­schen Zeit kann den Abstieg bedeuten und für Dut­zende im Verein die Arbeits­lo­sig­keit. Kurz: Würde ein Goal­getter wie Gerd Müller heut­zu­tage am Vor­abend eines Matches mit einem kleinen Radler im Ver­eins­heim von einem Bou­le­vard­jour­na­listen gesehen, wären dis­zi­pli­na­ri­sche Folgen wohl vor­pro­gram­miert.

So emp­findet ein Spieler am Ende das­selbe, was jeden Arbeit­nehmer umtreibt: die Angst um den Job, um das Aus­kommen, die öffent­liche Aner­ken­nung und sein indi­vi­du­elles Quantum Macht. Mit dem kleinen, aber ent­schei­denden Unter­schied, dass sich die Wahr­neh­mung des Spie­lers je nach Erfolg von Woche zu Woche ver­än­dert.

Druck­sze­na­rien können viel­fältig sein: Mit Grausen erin­nert sich Thomas Brdaric an die Pfiffe von den Rängen, als der ehe­ma­lige Han­no­ve­raner in der Saison 2004/05 mit dem VfL Wolfs­burg ins Nie­der­sach­sen­sta­dion zurück­kehrte. Zwölf Tore hatte ich in der Vor­saison für 96 geschossen, und jetzt wurde ich aus­ge­buht. Wenn du bei den Fans keine Chance hast, dann bist du tot.“

In sol­chen Momenten reagiert jeder Profi anders: Den einen moti­vieren die Pfiffe und erzeugen eine Trotz­re­ak­tion, dem anderen gelingt kein Flach­pass über zehn Meter mehr. Ein Spieler, der mit der Spiel­si­tua­tion nerv­lich nicht zurecht­kommt, fällt auch im klub­in­ternen Kon­kur­renz­kampf zurück. 

Aber nur wer regel­mäßig spielt, hat auch die Chance, lang­fristig wirt­schaft­liche Sicher­heit zu erlangen. Des­halb ist die Ver­let­zung wohl der größte Stress, unter den ein Profi geraten kann. Wer ver­letzt ist, kann der Mann­schaft nicht helfen, was ein­her­geht mit dem Ver­lust der Akzep­tanz durch die gesunden Spieler, wirt­schaft­li­chen Ein­bußen und schließ­lich dem Gefühl der Min­der­wer­tig­keit. Manche Kicker setzt die Angst vor der Bedeu­tungs­lo­sig­keit derart unter Druck, dass sie Fit­ness vor­täu­schen. Die Folgen sind ver­hee­rend: Etliche Profis päp­peln sich aus Angst, keine Rolle mehr zu spielen, mit Schmerz­mit­teln fast bis zur Gefühl­lo­sig­keit und ris­kieren so mit­unter eine früh­zei­tige Inva­li­dität. 

Ent­weder du gewinnst, oder du ver­lierst“

Doch diesem Nomi­nie­rungs- und Erwar­tungs­druck unter­liegt, wenn auch in Abstu­fungen, jeder Leis­tungs­sportler. Was den Fuß­baller nach­haltig von anderen unter­scheidet, ist der Druck, den Medien ver­ur­sa­chen. Bern­hard Peters sagt: Medien erhöhen den Erwar­tungs­druck in der Öffent­lich­keit unge­mein. Viele Spieler fürchten sich vor den Beur­tei­lungen der Nicht-Könner in den Redak­tionen.“ Wie der Ein­zelne mit dieser Situa­tion umgeht, hängt auch von seiner Per­sön­lich­keit ab. Stefan Effen­berg schien jede Nega­tiv­schlag­zeile zu Höchst­leis­tungen zu pushen, Sebas­tian Deisler hat die Erwar­tungs­hal­tung der Öffent­lich­keit letzt­lich die Kar­riere gekostet. In einem Inter­view mit dem Tages­spiegel“ sagte er: Ich habe etwas getragen und aus­ge­halten, was nicht jeder in diesem Geschäft erleben muss. Stellen Sie sich mal damals die Schlag­zeile vor: Der Retter des deut­schen Fuß­balls muss gerettet werden. In dieser Welt ist man nur jemand, wenn man keine Schwä­chen zeigt: Ent­weder du gewinnst, oder du ver­lierst.“ 

Deisler gehört zu den 17 Pro­zent der Men­schen, die in unserer Gesell­schaft unter Depres­sionen leiden. Auch wenn es eine hohe Dun­kel­ziffer unter Fuß­bal­lern gibt, ist das Ausmaß seines Lei­dens sicher­lich eine Aus­nahme im Pro­fi­seg­ment. Um Lizenz­spieler zu werden, durch­läuft schon der Nach­wuchs einen Selek­ti­ons­pro­zess. Jemand, der sich auf diesem Weg zu viel zu Herzen nimmt, fällt meist schon früher durchs Raster“, sagt Dr. Thomas Nickel, Psych­iater am Max-Planck-Institut in Mün­chen, wo Sebas­tian Deisler in Behand­lung war. Doch Deisler war von seinem Talent derart her­aus­ra­gend, dass er sehr rasch die Spitze erreichte, obwohl er von seiner Per­sön­lich­keit her nicht unbe­dingt für dieses Leben geschaffen war.“ 

Der Nor­mal­fall im Pro­fi­ge­schäft sind robus­tere Cha­rak­tere, die in der Lage sind, ihre Situa­tion rational zu bewerten und sich Aus­wege aus Druck­sze­na­rien zu schaffen. BVB-Kapitän Sebas­tian Kehl sagt: Als Fuß­baller stellst du dir irgend­wann die Frage: Lese ich die Zei­tungen, oder lese ich sie nicht? Ich lese sehr wenig, auch weil ich weiß, wie das Geschäft tickt und wie die Kri­tiken oder Lobes­hymnen aus­fallen werden.“ Oliver Kahn machte es sich noch ein­fa­cher, um sein Über­leben als Alpha­tier im umkämpften Geschäft abzu­si­chern: Man stumpft halt ab.“
Exem­pla­risch dafür, wie die Kar­riere eines Durch­schnitts­profis ver­laufen kann, wenn ein Spieler den Druck nicht kom­pen­sieren kann, ist die Lauf­bahn von Tobias Rau. 48 Spiele für den VfL Wolfs­burg reichten, um aus dem talen­tierten Links­ver­tei­diger die große deut­sche Defen­siv­hoff­nung zu machen. Gut 2,2 Mil­lionen Euro ließ sich der FC Bayern Mün­chen 2003 die Dienste des Jung­stars kosten. Nach nur zwei Jahren Bun­des­liga stand Rau plötz­lich auf der Son­nen­seite des Lebens. Bis ihn die harte baju­wa­ri­sche Rea­lität wie eine Keule traf. In Mün­chen stand er am Ende der Nah­rungs­kette hinter Leit­wölfen wie Thomas Linke oder Bixente Liza­razu. Trainer Felix Magath ließ Rau nach zwei Ein­sätzen zu Beginn der Saison 2003/04 auf der Bank, und der musste zunächst allein mit seiner Situa­tion zurecht­kommen. Leis­tung und Erfolg sind im Fuß­ball wich­tiger als soziales Ver­halten“, sagt Rau heute. Wegen der extremen Kon­kur­renz ist sich jeder selbst der Nächste.“

Erst als sich Mehmet Scholl des Neu­lings annahm, ver­bes­serten sich dessen Aus­sichten. Der Rou­ti­nier zeigte Rau in aller Deut­lich­keit seine Fehler und Schwä­chen auf und riet dem schüch­ternen Blond­schopf zu einer fre­cheren Gangart im Trai­ning. Die Beloh­nung dafür folgte prompt: Weil ihm Scholl auch nahe­ge­legt hatte, Gespräche mit dem Trainer zu suchen, kam Rau bald wieder zu Ein­satz­zeiten.

Im Fuß­ball ist kein Platz für Mensch­lich­keit“

Doch dann warf ihn eine Ver­let­zung nach wenigen Spielen wieder aus dem Kader. Fuß­ball ist ein Wochen­ge­schäft, da bleibt kein Platz für allzu viel Mensch­lich­keit“, sagt Rau, Du musst funk­tio­nieren, und wer nicht funk­tio­niert, hat Pech gehabt.“
Zeit für sich, Zeit, um abzu­schalten, hatte Tobias Rau wäh­rend seiner aktiven Kar­riere eigent­lich nur in der Som­mer­pause. Der stän­dige Nomi­nie­rungs­druck, die eigenen Erwar­tungen und die seines per­sön­li­chen Umfelds, sie spielten in jenen Wochen plötz­lich keine Rolle mehr. In der Zeit habe ich gemerkt, wie sehr ich kör­per­lich aus­ge­zehrt war“, berichtet Rau. Alle Last fiel von mir ab, ich war fix und fertig.“
Nach zwei Jahren endete das Aben­teuer Mün­chen. Arminia Bie­le­feld zahlte nur noch ein Drittel der Ablö­se­summe, die Bayern Mün­chen einst an Wolfs­burg über­wiesen hatte. Raus Markt­wert war rapide gesunken. In Bie­le­feld erwar­tete man den­noch Wun­der­dinge von dem Linksfuß. Jeder dachte, der schießt jetzt in jedem Spiel zwei Tore für uns. Ich konnte diese Erwar­tungen natür­lich nicht erfüllen, also waren alle ent­täuscht.“ Die Folge des über­zo­genen Erwar­tungs­drucks: Rau machte in vier Jahren Bie­le­feld nur 32 Spiele, war häufig ver­letzt und been­dete 2009 vor­zeitig seine Kar­riere, um ein Lehr­amts­stu­dium in Bie­le­feld zu beginnen. Die Bilanz des heute 29-Jäh­rigen: Fuß­ball ist eine Schein­welt. Du kannst deinen eigent­li­chen Cha­rakter nicht aus­leben und musst ein guter Schau­spieler sein, um zu bestehen.“

Wäh­rend sich Spieler in Bra­si­lien vor dem Anstoß übli­cher­weise in einer langen Reihe auf­stellen und gemeinsam uri­nieren, um Druck phy­sisch abzu­bauen, ist man in Deutsch­land ungleich humor­loser. Druck ist ent­weder der Motor einer Kar­riere. Oder ihr Garaus. Moderne Pro­fi­kader sind das Abbild einer knall­harten Aus­lese. Die distin­gu­ierte Füh­rungs­riege des deut­schen Teams um Jogi Löw sucht den per­fekten Fuß­baller über eng­ma­schige Scou­ting­netze. Krumm­bei­nige Drib­bel­kö­nige wie Wolfram Wuttke oder Pierre Litt­barski würden heute wegen ihrer kör­per­li­chen Dys­ba­lancen“ genauso durch­fallen wie psy­chisch Labile. Im Pro­fi­fuß­ball kommt eine scheinbar stress­re­sis­tente Elite an. Wer diesen Sprung geschafft hat, tut sich natur­gemäß schwer damit, Schwä­chen ein­zu­ge­stehen. Die Profi-DNA sieht eine Fehl­pro­gram­mie­rung nun mal nicht vor.


Doch auch der taffste Profi ist ein Mensch. So ist sich das Gros der Bun­des­li­ga­prot­ago­nisten zwar da- rüber einig, dass es für Robert Enke das Beste gewesen wäre, mit seinen Depres­sionen offen umzu­gehen. Indes zwei­felt aber nie­mand daran, dass ihm ein sol­ches Bekenntnis beruf­lich geschadet hätte. Doch öffent­lich will nie­mand mit dieser Aus­sage zitiert werden.
Jens Todt, Ex-Natio­nal­spieler und inzwi­schen Leiter des Nach­wuchs­leis­tungs­zen­trums beim VfL Wolfs­burg, erklärt die Angst der Aktiven, psy­chi­sche Pro­bleme zu offen­baren: Fuß­ball ist eine recht kleine Branche, sehr tra­di­tio­nell und im Kern kon­ser­vativ. Da tut man sich natur­gemäß schwer mit Spie­lern, die Schwä­chen zugeben.“ Ist doch klar: Ein Trainer, der sich zwi­schen einem ver­meint­lich psy­chisch gefes­tigten Spieler ent­scheiden muss und einem, der bekennt, dass er mit Ver­sa­gens­ängsten zu kämpfen hat, wird sich im Zwei­fels­fall immer für ers­teren ent­scheiden. Bern­hard Peters ergänzt: Es ist ein typi­sches Phä­nomen, dass Spieler nicht mit dem Emp­finden von Druck nach außen gehen und diesen für sich behalten. Viele kap­seln sich ab und agieren nur als Ich-AG. Es gibt auch Extrem­bei­spiele, wo Spieler unter Schlaf­stö­rungen und anderen psy­chi­schen Krank­heiten leiden.“ Die Hoch­schule für Gesund­heit und Sport in Berlin hat ermit­telt, dass fünfzig Pro­zent aller Hoch­leis­tungs­sportler sich einmal im Monat aus­ge­brannt fühlen, 75 Pro­zent davon leiden zudem regel­mäßig unter Schlaf­stö­rungen.

Der Zweifel sitzt in der linken Gehirn­hälfte“

Schon in den sieb­ziger Jahren star­teten im deut­schen Fuß­ball die ersten psy­cho­lo­gi­schen Opti­mie­rungs­expe­ri­mente. Auch damals war vielen klar: Ein Gedanke zur fal­schen Zeit kann vieles kaputt­ma­chen. Damals stieß Pro­fessor Fritz Stemme zur Natio­nal­mann­schaft. Er hatte sich mit sowje­ti­schen Ath­leten beschäf­tigt, denen durch kos­mo­nau­ti­sches Trai­ning die Angst vor Ver­let­zungen genommen wurde, etwa vor dem Genick­bruch beim Abgang vom Reck. Nun sollte der Wis­sen­schaftler von der Uni Bremen Bernd Höl­zen­bein den Bammel vorm Straf­stoß nehmen – mit Hilfe der Visua­li­sie­rungs­me­thode, im Volks­mund: Kopf­kino. Je öfter ich mir vor­stelle, dass ich einen Elf­meter ver­wandle, desto höher ist die Wahr­schein­lich­keit, dass ich es in der kon­kreten Situa­tion auch tat­säch­lich schaffe“, dozierte er. Der Zweifel sitzt in der linken Gehirn­hälfte. Je mehr ein Fuß­baller mit der rechten Gehirn­hälfte denkt, desto besser: Dort laufen die hand­lungs­an­lei­tenden Filme ab, die Pro­zesse, die ein Spieler Tau­sende Male geübt hat.“ Zwar konnte auch Stemme nicht ver­hin­dern, dass Uli Hoeneß im EM-End­spiel 1976 gegen die Tsche­cho­slo­wakei seinen Elfer in den Nacht­himmel von Bel­grad häm­merte – doch der Sie­geszug der psy­cho­lo­gi­schen Druck­im­mu­ni­sie­rung hatte begonnen.

Psy­cho­lo­gi­sche Begriffe wie Moti­va­tion“, mental“ und Krise“ gingen in den Sprach­schatz des Fuß­balls über – auch wenn alte Trai­nerz­am­panos sich dagegen wehrten. Krisen“, so Otto Reh­hagel gallig, gibt es auf der Inten­siv­sta­tion, aber nicht im Fuß­ball.“ Zuletzt rieb der kon­ser­va­tive Rudi Assauer sich auf Schalke in Rück­zugs­ge­fechten gegen den Moder­ni­sierer Ralf Rang­nick auf. Da bewirkte die phy­sio­lo­gi­sche Trai­nings­wis­sen­schaft schon längst keine bedeu­tenden Leis­tungs­vor­sprünge mehr – das Momentum lag in der Psy­cho­logie.


Heute beschäf­tigt nahezu jeder Spit­zen­verein einen Sport­psy­cho­logen, doch 40 Jahre nach Prof. Stemmes Pio­nier­ar­beit zeigt sich ein para­doxes Bild: So wie ein hoch­kom­pli­zierter Com­puter stö­rungs­an­fäl­liger ist als ein Rechen­schieber, sind die modernen Spieler offenbar emp­fäng­li­cher für Druck­sze­na­rien als die alten. Profis, die scheinbar per­fekt auf Extrem­si­tua­tionen vor­be­reitet sind, kriegen die Flatter, wenn diese tat­säch­lich ein­treten. Psy­cho­logen haben ein Auge darauf, ob ein Spieler beson­ders oft über Zip­per­lein klagt, die seinen Ein­satz gefährden, oder ob sich ein Kicker jeden noch so unbe­deu­tenden Infekt ein­fängt, der gerade im Umlauf ist. All das können Sym­ptome der über­großen Anspan­nung sein. Die Ursache sol­cher Erschei­nungen sind Ver­sa­gens­ängste. Zumeist lassen sich solche Sym­ptome noch glimpf­lich nach dem Medi­zin­mann-Prinzip kom­pen­sieren. Ein letztes Hand­auf­legen des Mas­seurs oder die jüngst in Mode gekom­menen Tape­streifen, die sich Spieler an ver­schie­denste Stellen des Kör­pers kleben, sind eher Rituale und Pla­cebos als tat­säch­liche medi­zi­ni­sche Maß­nahmen. Wenn die nicht mehr helfen, hilft nur noch der Gang zum See­len­klempner.

Junge Fuß­baller leiden unter ein­di­men­sio­nalem Druck

Ex-Profi Uwe Hart­tgen ist einer aus dieser Riege der Bun­des­liga-Psy­cho­logen. Seit seinem Kar­rie­re­ende arbeitet er im Nach­wuchs­leis­tungs­zen­trum von Werder Bremen. Das Phä­nomen des Wol­lens aber nicht Kön­nens“ unter den Aktiven ist sein täg­lich Brot. Er weiß aus seiner Zeit als Spieler: Der Pro­fi­sport glaubt, dass Leis­tung ständig opti­miert werden kann. Darin erkennt Hart­tgen den Kern des Pro­blems. Seinen Respekt zollt er des­halb den­je­nigen, die in der Lage sind, über­trie­benen Erwar­tungen auch mal eine lange Nase zu zeigen: Johan Micoud konnte mit einem herr­li­chen Selbst­ver­ständnis auch schlecht spielen. Leis­tung kann nicht immer gestei­gert werden. Wir müssen end­lich mal ver­stehen und akzep­tieren, dass Leis­tungs­schwan­kungen normal sind. Auf hohem sport­li­chem Niveau ist der Umgang mit Leis­tungs­schwan­kungen die zen­trale Frage, nicht die der Leis­tungs­stei­ge­rung.“
Rück­ruf­ak­tionen sind bei Fuß­bal­lern nun mal nicht mög­lich. Also bleibt den Klubs ledig­lich die sorg­same Pro­phy­laxe. Längst gehört es für sie dazu, jungen Talenten auch eine andere Per­spek­tive zu eröffnen. Denn gerade Jugend­liche leiden oft unter dem ein­di­men­sio­nalen Druck, es um jeden Preis in den Pro­fi­fuß­ball schaffen zu müssen. Eine reine Ori­en­tie­rung auf die Bun­des­liga aber wirkt sich in den meisten Fällen stark leis­tungs­min­dernd aus. Pro­fi­klubs sind sich inzwi­schen ihrer Ver­ant­wor­tung für den Nach­wuchs bewusst, von dem nur ein Bruch­teil den Sprung in das Lizenz­team schafft. Junge Spieler werden des­halb dazu ange­halten, neben der fuß­bal­le­ri­schen auch wei­tere Iden­ti­täten sowohl über die schu­li­sche Bil­dung als auch über soziale Kom­pe­tenz zu ent­wi­ckeln. Beides soll ihnen in den Eli­te­schulen der Erst­li­gisten bei­gebracht werden, um die Vor­aus­set­zungen für posi­tives Leben und Denken zu gewähr­leisten. Jens Todt sagt: Junge Spieler werden in ihrem Umfeld oft schon wie kleine Stars behan­delt. Wenn Eltern, Freunde und Klas­sen­ka­me­raden sug­ge­rieren, dass alles andere als eine Pro­fi­kar­riere als Schei­tern zu sehen wäre, können Ver­sa­gens­ängste auf­kommen. Des­halb sage ich auch: Wer am Ende in der dritten Liga spielt und sich damit sein Stu­dium finan­ziert, ist kei­nes­wegs geschei­tert, son­dern auch ein erfolg­rei­cher Kicker.“


In Übungs­ein­heiten werden Spie­lern men­tale Tech­niken bei­gebracht, die helfen sollen, sub­jek­tive Bedro­hungs­si­tua­tionen als Her­aus­for­de­rungs­si­tua­tionen zu begreifen. So ist die Medizin zu der Erkenntnis gelangt, dass bei­spiels­weise posi­tive Selbst­ge­spräche dazu führen, dass ein Spieler ganz im Hier und Jetzt agiert und sich besser auf seine Auf­gaben fokus­sieren kann.

Im Ide­al­fall gehen aus diesen Schu­lungen psy­chisch kon­stante Typen wie Sebas­tian Kehl oder Manuel Fried­rich hervor. Letz­terer macht sich dem Ver­nehmen nach so wenig Gedanken um Fuß­ball, dass er mit­unter erst bei der Team­be­spre­chung erfährt, gegen wen sein Klub tags drauf antritt. Als er von Mainz nach Lever­kusen wech­selte, tat er dies auch in der Über­zeu­gung, dort ruhiger und unbe­hel­ligter arbeiten zu können als in großen Medi­en­städten. Seine Ratio­na­lität ist sein Erfolgs­ge­heimnis: Fuß­ball ist auch Glück­sache. Man muss zur rich­tigen Zeit am rich­tigen Ort sein. Das ein­zu­sehen, kann dem Ein­zelnen den Druck nehmen.“

Sebas­tian Kehl hat in bis­lang zwölf Pro­fi­jahren mehr Rück­schläge hin­nehmen müssen als viele seiner Kol­legen. Medi­en­schelten, lang­wie­rige Ver­let­zungen, Form­tiefs – der Dort­munder hat alles mit­ge­macht. Das, sagt er, gehöre nun mal zum Geschäft. Für ihn heißt das Schlüs­sel­wort für die erfolg­reiche Grat­wan­de­rung zwi­schen sport­li­chem Erfolg und see­li­scher Gesund­heit: Authen­ti­zität. Fuß­ball sei ein Spiegel der Gesell­schaft: Du hast harte Hunde und Sen­si­bel­chen. Wer den harten Mann spielt, ohne es wirk­lich zu sein, der wird auf Dauer keinen Erfolg haben und ver­mut­lich daran zer­bre­chen. Was nicht authen­tisch ist, macht dich kaputt.“ Kehl kommt zu dem Schluss, dass keine Schwäche zu zeigen auf Dauer keine Lösung ist. Sein Appell: Auch im Fuß­ball kann und muss man sich Sen­si­bi­lität erlauben können. Das ist auch in diesem Beruf kein Schimpf­wort.“

Burn-Out und Depres­sion sind in der Liga ange­kommen

Leichter gesagt als getan, denn in der Män­ner­do­mäne regiert am Ende doch der Mob. Die men­schen­ver­ach­tenden Schmä­hungen, die Sebas­tian Deisler bei seiner kurzen Rück­kehr allein bei Spielen für die Ama­teure des FC Bayern ertragen musste, haben bewiesen, dass diese Gesell­schaft noch nicht bereit ist, Fuß­balli­konen auch als Anti-Helden zu akzep­tieren. Und doch muss auch der dump­feste Sta­di­on­be­su­cher ange­sichts Deis­lers Bekenntnis akzep­tieren, dass der Burn-Out und die Depres­sion in den Pro­fi­ligen ange­kommen ist. Wie auf dem freien Arbeits­markt gibt es auch im Fuß­ball keine län­ger­fris­tigen Stellen, sprich Stamm­plätze, mehr. So wie kaum ein Mensch noch bis zur Rente in der­selben Firma arbeitet, zählen auch unter Kickern die Ver­dienste von ges­tern nichts mehr. Thomas Hitzl sperger, der über Jahre beim VfB Stutt­gart den Leit­wolf gab, verlor nach einem Form­tief in der lau­fenden Spiel­zeit den Anschluss an die Stamm­for­ma­tion. Um über­haupt noch zum Ein­satz zu kommen, ließ er sich dar­aufhin kur­zer­hand zu Lazio Rom trans­fe­rieren.

Par­allel zur ver­rin­gerten Arbeits­platz­si­cher­heit hat im Fuß­ball der kurz­fris­tige Ergeb­nis­druck zuge­nommen. Diese Situa­tion muss ein junger Mensch erst einmal kom­pen­sieren können. Psych­iater Nickel bringt es auf den Punkt: Vor­stände von Dax-Kon­zernen haben schon x‑mal gezeigt, dass sie sich durch­setzen und Druck aus­halten können, bevor sie derart in der Öffent­lich­keit stehen, wie es Profis tun. Aber bei jungen Fuß­bal­lern kann diese Wahr­neh­mung fast über Nacht ent­stehen. Einige sind dem nicht gewachsen.“ Sport­phi­lo­soph Dr. Rein­hard K. Sprenger geht noch einen Schritt weiter, wenn er die Situa­tion, in der sich ein erfolg­rei­cher Fuß­baller befindet, zwangs­läufig mit einer Per­sön­lich­keits­ver­for­mung gleich­setzt. Aus seiner Per­spek­tive ist es zumin­dest ent­wick­lungs­psy­cho­lo­gisch überaus frag­würdig, einen jungen Men­schen einzig wegen seiner fuß­bal­le­ri­schen Fer­tig­keiten aus der Umge­bung und Familie heraus zu ziehen, um dessen sin­gu­läres Talent alter­na­tivlos aus­zu­beuten. Fast jeder Natio­nal­spieler ist heute durch diese nicht kind­ge­mäße Früh-Ent­bet­tung defor­miert, weil fast alle aus ihrem natür­li­chen Umfeld her­aus­ge­hoben worden sind. Ihre Ent­wick­lung ist bruch­haft, steil auf­stei­gend und außen­ge­steuert. Im Fuß­ball zeigt es sich, wer über die Kom­pe­tenz ver­fügt, mit dieser Situa­tion umzu­gehen und wer nicht.“


Zunächst sah es so aus, als fehle Martin Mei­chel­beck die Fähig­keit, sich in diesem System durch­zu­setzen. In der Saison 1998/99 fei­erte er sein Profi-Debüt bei Greu­ther Fürth unter Trainer Benno Möhl­mann, der den Neu­ling aber nur eine Hand­voll Spiele machen ließ. Zu wenig für Mei­chel­beck, der schon bald über­legte, die Kar­riere dran­zu­geben, weil ihm Bank­drü­ckerei den stän­digen Kon­kur­renz­druck nicht wert schien. Ein glück­liche Fügung des Schick­sals, wie sich im Nach­hinein her­aus­stellte. Denn der Profi begann nebenher ein Stu­dium der Ver­hal­tens­wis­sen­schaft. Nach dem Umweg über den VfL Bochum spielt er inzwi­schen wieder in Fürth und blickt mit 33 auf eine solide Kar­riere zurück. Druck ist für ihn zum Lebens­thema geworden: Er prak­ti­ziert par­allel zum Pro­fitum als sport­psy­cho­lo­gi­scher Coach bei seinem Verein. Mehr­mals in der Woche sitzt er mit Mit­spie­lern zusammen und spricht mit ihnen über Stress, Anspan­nung und Ver­sa­gens­ängste. Er sagt: Ängste hat jeder Mensch. Und Fuß­baller sind nun einmal Men­schen.“ Er kennt die situa­ti­ons­be­dingte Furcht der Spieler aus eigener Erfah­rung, vor dem Fehl­pass, vor der ver­ge­benen Chance, und er weiß, was die Spieler umtreibt: Die Angst vor den Kon­se­quenzen.“

Dass sich moderne Spieler mehr mit den mög­li­chen Folgen ihres Han­delns beschäf­tigen als die Kicker frü­herer Jahre, hängt auch mit dem sozio­lo­gi­schen Phä­nomen des Nomi­na­lismus zusammen. Sich intensiv mit den inneren Befind­lich­keiten aus­ein­an­der­zu­setzen, ist eine Erschei­nung unserer Zeit. Nomi­na­lismus beschreibt den Vor­gang, dass Begriffe eine ganz bestimmte Rea­lität erst erzeugen, die die Men­schen sen­si­bi­li­siert und mög­li­cher­weise auch patho­lo­gi­siert. Wo war Stress vor dem Wort Stress“? Wo war der Burn-Out? Auch diese Ent­wick­lung ist eine Ana­logie zur gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Ver­än­de­rung: Wäh­rend es früher Ärger im Büro“ gab, seziert inzwi­schen eine ganze Mob­bing­in­dus­trie unzu­mut­bare Zustände am Arbeits­platz. Die Kno­chen­prel­lung, die einst vom Trainer mit einem har­schen Stell dich nicht so an!“ quit­tiert wurde, trägt heute so futu­ris­ti­sche Namen wie Bone Bruise“ und erfor­dert bei man­chen Spie­lern einen Hei­lungs­pro­zess von bis zu vier Wochen.

Dinge wie Burn-Out scheinen plötz­lich in zu sein“

Auch HSV-Keeper Frank Rost, einer der letzten Ver­treter der Gene­ra­tion Karo­hemd in einer sich zuse­hends ver­jün­genden Bun­des­liga, erkennt bei Nach­wuchs­spie­lern die Aus­for­mungen des Nomi­na­lismus. Er sagt: Dinge wie Burn-Out scheinen plötz­lich in zu sein. Viele hor­chen in sich hinein und finden irgendwo ein Körn­chen Zweifel.“ Ein Grund für diese Ent­wick­lung könnte auch der Ter­min­plan eines deut­schen Profis sein, der immer noch viele Leer­zeiten zwi­schen Vor- und Nach­mit­tags­trai­ning beinhaltet. Jürgen Klins­mann plante als Coach des FC Bayern nicht zuletzt des­halb, den Acht-Stunden-Tag ein­zu­führen, weil er die Spieler davor bewahren wollte, zu viel zu reflek­tieren und dabei auf fal­sche Gedanken zu kommen. Denn klar ist doch: Wer zu viel Zeit hat, fängt auto­ma­tisch an, um sich selbst zu kreisen. Sport­phi­lo­soph Rein­hard K. Sprenger bringt es auf eine simple Glei­chung: Ein Mensch muss sich nur dreimal fragen, ob er glück­lich ist, dann findet er schon irgend­wann einen guten Grund, warum er es gerade nicht ist. Das ist die Not der Not­lo­sig­keit.“ Stress ist eine Wohl­stands­krank­heit. Eine These, die auch Ewald Lienen bestä­tigen kann. Er ging als Spieler in die Annalen der Bun­des­liga ein, als ein Bremer Abwehr­spieler ihm mit den Alu-Stollen den Ober­schenkel auf­riss. Das Foto machte ihn zur Sym­bol­figur des lei­denden Profis. 1987 gehörte er zu den Grün­dern der Ver­ei­ni­gung der Ver­trags­fuß­ball­spieler, die sich für die Rechte von Kickern ein­setzt. Als Trainer arbei­tete er in Spa­nien und Grie­chen­land, was ihn zu der Erkenntnis gebracht hat, gerade den Profis hier­zu­lande man­gele es mit­unter an Stress­re­sis­tenz. Es ist eine typisch deut­sche Krank­heit, zu sehr auf die Mei­nung anderer zu hören. Viele Spieler nehmen viel zu ernst, wenn man ihnen in jungen Jahren sagt, sie seien die Größten bezie­hungs­weise das Letzte. Auf meinen Aus­lands­sta­tionen habe ich junge Spieler ken­nen­ge­lernt, die sich davon nicht so leicht beein­flussen lassen.“

Doch Zeit­geist hin, Zeit­geist her, Ver­sa­gens­angst hier, Sozi­al­dar­wi­nismus dort – das Geschäft nimmt keine Rück­sicht auf die Zweifel eines Profis. Das Leis­tungs­prinzip greift in der glo­ba­li­sierten Fuß­ball­welt. Druck war, ist und bleibt ein sys­tem­im­ma­nentes Phä­nomen, das jeder Profi, der erfolg­reich sein will, auf seine Weise kom­pen­sieren muss. Wer seine Ver­sa­gens­ängste nicht in den Griff bekommt – mit oder ohne medi­zi­ni­sche Hilfe – fällt früher oder später dem Aus­le­se­pro­zess zum Opfer. Und spä­tes­tens, wenn das Kar­rie­re­ende naht, beschleicht auch den robus­testen Kicker eine ganz beson­dere Form der Angst: dass das Adre­nalin nicht mehr kommt. Wenn dieser Augen­blick, bevor man das Feld betritt und im Spie­ler­tunnel der Bauch zu krib­beln beginnt, unwie­der­bring­lich vorbei ist. Spä­tes­tens wenn der Applaus aus­bleibt, gerät fast jeder Fuß­baller in eine Iden­ti­täts­krise. Da geht es dem Kicker nicht anders als dem eins­tigen Ten­nis­idol Boris Becker, der nach seiner aktiven Kar­riere vieles aus­pro­bierte, um im Fokus der Öffent­lich­keit zu bleiben. Doch so gut wie auf dem Centre Court wurde er nir­gends sonst. Game, Set and Match – das ist Geschichte. Wenn alle dem Druck stand­halten würden“, sagte Becker als Aktiver mal, gäbe es tau­send Wim­ble­don­sieger.“