Drama, Liebe, Wahnsinn! Können wir bitte, bitte noch mal so eine Pokalrunde bekommen wie diese? Und zwar am besten sofort?
Morgen ist wieder Bundesliga. Schade.
So etwas hört man nicht oft, vor allen Dingen nicht in einer Saison, in der die Liga nach neun Spieltagen spannender ist als vielleicht jemals zuvor. Aber, und hier kommt schon der nächste Superlativ, was soll man anderes sagen nach einer der besten Pokalrunden aller Zeiten?
Gut, das Halbfinale 1984 war jetzt auch nicht völliger Murks, aber das waren eben nur zwei Spiele. Gestern und vorgestern gab es ingesamt 16 Partien, von denen nur drei relativ eindeutige, eher langweilige Angelegenheiten waren. Das allein ist schon für eine zweite Hauptrunde sehr ungewöhnlich, dabei muss man sagen, dass eine dieser drei Begegnungen trotz allem spektakulär war – und zwar gerade wegen ihrer Einseitigkeit. Hat überhaupt schon mal ein Erstligist im Pokal daheim mit 1:6 verloren, wie es Wolfsburg gestern passiert ist?
Taktikfuchs Favre
Den nächsten Rekord gab es in Dortmund, wo mehr Menschen als jemals zuvor ein Spiel der zweiten Runde sehen wollten. Sie wurden vielleicht nicht mit einem fußballerischen Feuerwerk belohnt, aber immerhin mit einer weiteren taktischen Meisterleistung von Trainer Lucien Favre, dessen Mannschaft zum zweiten Mal in nur vier Tagen einfach abwartete, bis einem dauerpressenden Gegner nach 70 Minuten die Luft ausging. Eine Taktik, die man offenbar auch in Ostwestfalen schätzt, wo die Arminia ihren Fans zuerst die schlechteste Halbzeit der Saison zumutete – und dann die beste. Die Schlussphase an der Alm war zwar aus Sicht der Gastgeber nicht von Erfolg gekrönt, bot aber den atemberaubendsten 23-minütigen Sturmlauf der bisherigen Spielzeit.
Auch in Bochum feierten die Fans nach dem Schlusspfiff ihre Mannschaft, obwohl sie als Verlierer vom Feld ging. Das macht Mut. Und zwar nicht bloß den VfL-Anhängern, die ein bisschen den Glauben an ihre Elf zurückgewannen, sondern allen Fans. Denn die Bochumer waren auch so gut, weil ihr Gegner eine biedere, bräsige Leistung zeigte. Das lässt hoffen, dass der knapp sechs Jahre lang verschüttete echte FC Bayern München so langsam wieder zum Vorschein kommt. (Jüngeren Lesern muss man an dieser Stelle erklären, dass es früher völlig normal war, dass der Rekordmeister sich im Pokal mal blamiert und in der Liga turnusmäßig durchhängt.)
Natürlich dürfen bei einer tollen Pokalrunde aber auch solche Spiele nicht fehlen, in denen am Ende doch der Underdog triumphiert. Zwei besonders schöne Beispiele dafür gab es in Verl und Saabrücken. In beiden Partien setzte sich der Viertligist auf dramatische Art durch, einmal mit dem 18. Elfmeter des Abends, einmal mit einem Siegtor in letzter Minute nach zuvor verschenkter Zwei-Tore-Führung. Ach ja, der Trainer der Saarbrücker, die den Bundesligisten Köln düpierten, ist ausgerechnet Dirk Lottner.
Schon 2.749 Zeichen Text – und noch kein Wort über die beiden Spiele, die am meisten in Erinnerung bleiben werden. Eines davon, in Berlin, sahen mehr als 70.000 Menschen, die am Ende stumm in die Nacht stolperten, weil sie beim Spiel ihre Stimme gelassen hatten. (Das ist keine Vermutung, sondern basiert auf empirischen Befunden. Zwei Redakteure und fünf Praktikanten waren im Stadion. Die Morgensitzung geriet sehr ruhig.) Ein Ausgleichstor fiel in der 90. Minute, und zwar für den Gastverein, der mehr Fans mitgebracht hatte, als sein eigenes, wirklich nicht kleines Stadion fassen kann. Der andere Ausgleich fiel in der 123. Minute. Mehr muss man nicht sagen.
Erst Depp, dann Held
Außer vielleicht dies: So bekloppt das Spiel zwischen Hertha und Dresden auch war, es reicht nicht wirklich an das griechische Drama heran, das mal wieder am Betzenberg aufgeführt wurde. Das große Traditionsduell zwischen Kaiserslautern und Nürnberg wollten mehr als 21.000 Leute sehen, obwohl der FCK gerade sportlich dem Abgrund entgegentaumelt, administrativ im Chaos versinkt und finanziell böse schlingert. Da schien es ins Bild zu passen, dass den drittklassigen Lauterern nur eine Minute zum Sieg gegen den Zweitligisten fehlte, als ihr junger Torwart Lennart Grill den Ball auf den Boden legte … und nicht bemerkte, dass hinter ihm ein Gegenspieler genau darauf lauerte.
Aber eben dieser Torwart wurde später im Elfmeterschießen dann doch noch zum Helden. Dabei half ihm allerdings, dass beim Gegner der linke Verteidiger zwischen den Pfosten stand. Kurz vor dem Ende der Verlängerung verletzte sich Nürnbergs Schlussmann, und weil die Franken nicht mehr wechseln konnten, streifte sich Enrico Valentini die Handschuhe über. Der selbst eigentlich nicht mehr auf dem Platz sein durfte, weil er nach einer Notbremse in der 109. Minute Gelb-Rot hätte sehen müssen.
Kann der Leser noch folgen? Falls nicht, dann hat er genug Zeit, das Ganze noch mal in Ruhe nachzulesen. Das Achtelfinale steigt erst Anfang Februar. Wie gesagt, schade.