Aufgewachsen im gefährlichsten Viertel Medellíns sucht Juan Quintero früh sein Glück in Europa, kehrt später zurück in die Heimat – und erlebt seinen größten Moment doch in Madrid.
Wer in jungen Jahren miterlebt, wie die eigene Familie einen solchen Schicksalsschlag zu verkraften versucht, dem ist natürlich bewusst, dass der Fußball weit davon entfernt ist, das Wichtigste im Leben zu sein. Trotz der fast religiösen Bedeutung des Sports in Südamerika. Ob es einen Zusammenhang zwischen dem Fehlen einer Vaterfigur – er soll seinen späteren Nationaltrainer José Pékerman „Papa“ genannt haben – und seinem Scheitern als Fußballer in Europa gibt, wäre an dieser Stelle allerdings Spekulation.
Fakt ist nämlich auch, dass die klassische Zehnerposition, die Quintero bekleidet, im europäischen Fußball immer seltener wird, und er sich auch deswegen weder bei seinem Gastspiel in Porto, noch nach einen weiteren Wechsel bei Stade Rennes durchsetzten konnte. Nachdem er in Frankreich aus disziplinarischen Gründen suspendiert wird, geht er zurück nach Medellín. In die Heimat, dort, wo er das Fußballspielen gelernt hatte, in sein Land, mit dessen Nationalmannschaft er an der Weltmeisterschaft 2014 teilgenommen hatte.
Trotz erster Anlaufschwierigkeiten und Gewichtsproblemen findet er bei Independiente Medellín das wieder, was nach seiner Zeit in Europa schon verloren geglaubt schien – den Spaß am Fußball. Um ihn herum wird eine Mannschaft aufgebaut, er ist endlich wieder Spielmacher, Passgeber, Lenker seiner Mannschaft. Befreit von lästigen Defensivaufgaben und mit allen Freiheiten ausgestattet, schießt er in 25 Spielen dreizehn Tore und bereitet acht vor. „Meine Aufgabe ist es, die Angreifer mit Bällen zu füttern und dafür zu sorgen, dass alle meine Mitspieler sinnvoll am Spiel beteiligt sind“, sagt er in einem Interview.
Nachdem er zu alter Klasse wiedergefunden hat, unterschreibt er bei River Plate in Argentinien, wird sogar wieder in die Nationalmannschaft berufen und nimmt – was nur wenige Monate vorher unmöglich schien – an der WM in Russland teil. Doch den Höhepunkt des Jahres hebt er sich bis zum Ende auf, bis zur 109. Minute des Finalrückspiels der Copa Libertadores in Madrid. Rund zwanzig Meter vor dem Tor legt er sich den Ball auf den linken Fuß vor, zieht ab und sorgt für die Vorentscheidung. Ausgerechnet in Europa erlebt er nun doch seinen größten Moment als Fußballer – vielleicht hat er ja nun endlich Frieden mit dem Kontinent geschlossen.