Erneut schmilzt vor der entscheidenden Saisonphase die Personaldecke des FC Bayern bedrohlich zusammen. Ist Pep Guardiola für diese Situation verantwortlich?
Ach, was waren das für Zeiten, als Bundesligatrainer noch mit der Trillerpfeife im Mund ihre Spieler wie willfähriges Kanonenfutter kommandierten. Sie mit Schimpfwörtern überzogen und Weltstars den „Entengang“, die „Schubkarre“ oder im Akkord Liegestütze machen ließen. Wenn die Kicker nach der Einheit kotzend auf der Toilette verschwanden, erfüllte es den Trainer mit den Gewissheit, dass er seinen Jungs alles abverlangt hatte und sie fit genug waren, um am Samstag in der gewohnten Formation zu gewinnen.
Der FC Bayern in den glorreichen Siebzigern gewann drei Landesmeistercups in Folge – mit einem Kader, in dem selten mehr als 13, 14 Spieler zum Einsatz kamen. Verletzungen, die einem Fußballer widerfuhren, hießen damals „Bein gebrochen“ oder „Kreuzbandriss“, und wenn doch einmal ein Schienbein barst, wussten Fans und Funktionäre, dass eine Karriere zu Ende war. Bernd Hölzenbein, Weltmeister 1974, erfuhr erst nach seinem Wechsel in die USA am Ende seiner Laufbahn, dass Wassertrinken während und nach dem Training nicht schädlich für den Körper sei. Bis dato hatten alle Übungsleiter, unter denen er bei Eintracht Frankfurt gespielt hatte, die Zufuhr von Flüssigkeit selbst bei Hitze verboten.
Solche Räuberpistolen sind im heutigen Profifußball undenkbar. Die medizinische Versorgung der Eliteklubs wirkt seltsam keimfrei und scheint jede noch so renommierte Uniklinik zu übertrumpfen. Die Spieler sind Ich-AGs, die ihren Körper wie der Formel-1-Pilot seinen Boliden kennen und überwachen. Wenn es irgendwo zwickt, erkennt der moderne Profi sofort, welche Maßnahmen einzuleiten sind. Und ein vielköpfiges Expertenteam springt herbei, um den eingewachsenen Fußnagel zu entfernen oder einen morschen Oberschenkelmuskel elastisch zu massieren.
5,5 Millionen Euro für den Ausbau der medizinischen Infrastruktur
Zumindest drängt sich dieser Eindruck auf, wenn man die lange Liste mit Namen studiert, die bei einem Bundesligaverein das Funktionsteam bilden. Der Branchenführer FC Bayern hat gerade 5,5 Millionen Euro in den Ausbau seiner medizinischen Infrastruktur gesteckt. Im Leistungszentrum entstanden neue Räumlichkeiten, eine Kältekammer, ein neues Schwimmbecken, dazu wurde ein MRT-Gerät angeschafft. Vom BVB wurde Reha-Coach Andreas Schlumberger abgeworben und Ernst-Otto Münch, der Teamarzt des Deutschen Skiverbands, verpflichtet. Mehr Know-How auf medizinischer Ebene hat es an der Säbener Straße – und vermutlich in der gesamten Bundesliga – noch nie gegeben.
Doch die erste Bilanz fällt nüchtern aus. Denn als Jerome Boateng am vergangenen Freitag nach einem harmlosen Zweikampf aufrecht am Boden sitzen blieb und signalisierte, dass er ausgewechselt werde müsse, war es bereits die vierzehnte Muskelverletzung eines Bayern-Profis in dieser Saison. Der Klub, der gewohnheitsmäßig das Triple anstrebt, gleicht vor der alles entscheidenden Periode in der Saison einem Lazarett: Mario Götze, Mehdi Benatia, Juan Bernat, Franck Ribery und auch Javi Martinez sind verletzt oder nicht vollends genesen. Darüber hinaus fielen in dieser Saison bereits aus: Arjen Robben, Sebastian Rode, Douglas Costa, Kingsley Coman und Philipp Lahm.
Die Öffentlichkeit hat den Schuldigen bereits ausgemacht: Pep Guardiola.
Angeblich lässt er falsch trainieren. Es heißt, er gäbe angeschlagenen Spielern nicht ausreichend Zeit zur Regeneration. Er zeige sich oft beratungsresistent und mache seinen Medizinern zu viel Druck. Schließlich ist er dafür verantwortlich, dass der Wunderdoktor Müller-Wohlfahrt nach Jahrzehnten seinen Dienst beim FC Bayern quittierte.
Klar ist, der Katalane ist wie die meisten seiner Zunft bereit, dem Erfolg vieles unterzuordnen. Aus seiner Zeit beim FC Bayern werden nicht viele Zitate bleiben, eines jedoch ganz sicher: „Wenn der Arzt sagt, der Spieler ist in acht Wochen fit, will ich ihn in sieben Wochen haben.“ Guardiola ist noch dazu auf Abschiedstournee. In einem Milieu wie dem Fußball ihm nun peu à peu den Schwarzen Peter für Missstände zuzuschieben, ist eine leichte Übung.