Bremen feiert gerade das größte Comeback seit Howard Carpendales letzter Tour. Alexander Nouri entdeckt die Defensive und sein Mittelfeld trifft immer im richtigen Moment. Fünf Gründe, warum Bremen so stark ist.
2017 avanciert immer mehr zum Jahr der Comebacks. So einige Totgeglaubte tauchen plötzlich wieder auf der Bildfläche auf: Bastian Schweinsteiger schießt wieder Tore, die Kelly Family ist wieder vereint, ja, selbst die SPD erscheint wieder auf der Bildfläche. Doch keins dieser Comebacks kann es nur ansatzweise mit dem Comeback des Jahres aufnehmen: Werder Bremen.
Werder ist die Mannschaft des Monats. Mehr Punkte als die Bremer sammeln derzeit nur die Bayern. Mit nunmehr 16 Punkten aus den letzten sechs Spielen sind die Bremer plötzlich nur noch fünf Punkte von der Europa League entfernt. (Aber auch nur drei Punkte vom Relegationsrang – Wunderwelt Bundesliga.) Wie ist Alexander Nouri dieses Kunststück gelungen? Fünf mögliche Gründe für Bremens Auferstehung von den Toten.
1. Bremen steht defensiv stabil
Ein Vergleich genügt, um Bremens Stärken in der Rückrunde aufzuzeigen: In der Hinrunde kassierten sie in den ersten neun Partien 24 Gegentore. 2017 ließen sie gegen dieselben Gegner nur zehn Tore zu. Bremen hat sich defensiv massiv verbessert.
Seit Alexander Nouri auf eine Fünferkette umgestellt hat, stehen seine Bremer defensiv kompakter. Die Fünferkette sichert die Tiefe ab, während das Mittelfeld mannorientiert den Zugriff sucht. Gegen Freiburg konnte Bremen deren Dreiermittelfeld mit einem 5−3−2 zustellen. Bremen verschiebt besser über den Platz, kontrolliert dabei das Mittelfeld stärker – zwei eklatante Schwachstellen der Hinrunde, die Nouri abgestellt hat.
2. Delaney sei Dank: Bremen dominiert das Mittelfeld
Apropos Mittelfeld: Wer sich an große Bremer Mittelfeldspieler der vergangenen Jahre zurückerinnert, der denkt zunächst an Johann Micoud, Diego oder Mesut Özil. Vergessen wird manchmal, dass defensivstarke Sechser die Genialität der offensiven Mittelfeldspieler absicherten – Spieler wie Frank Baumann, Fabian Ernst oder Thorsten Frings.
Zum ersten Mal seit längerer Zeit hat Bremen wieder die Akteure, um das Mittelfeldzentrum stabil zu halten. Entscheidend hierfür war der Winter-Neuzugang Thomas Delaney. Bei eigenem Ballbesitz gestaltet er das Spiel aus der Tiefe, bei gegnerischem Ballbesitz sichert er den Raum vor der Abwehr. Auch Maximilian Eggestein überzeugte gegen Freiburg als absichernder Sechser.
Ihre Präsenz erlaubt es Spielern wie Florian Grillitsch und dem (am Wochenende ausgefallenen) Zlatko Junuzovic offensiver zu denken. Bremen kann endlich wieder auf ein starkes Zentrum mit einer guten Aufgabenteilung setzen.
3. Mittelfeldspieler treffen, Stürmer gestalten
Vertauschte Rollen in Bremen: Die Stürmer taten sich zuletzt als Spielgestalter hervor, während die Mittelfeldspieler die Tore schossen. Max Kruse und (der zurzeit angeschlagene) Claudio Pizarro sind spielstarke Angreifer, die sich im Spielaufbau auch mal fallen lassen. Dadurch entsteht ein interessantes Wechselspielchen mit den Mittelfeldspielern, die dynamisch nach vorne rücken.
Gerade gegen mannorientierte Gegner wie Freiburg funktioniert dieses Wechselspielchen gut, da die gegnerischen Mittelfeldspieler die Läufe der Bremer Achter verfolgen. Bremen reißt somit Lücken ins gegnerische Mittelfeld. Gegen Leipzig erzielten Zlatko Junuzovic und Florian Grillitsch je einen Treffer, gegen Freiburg netzte der nachrückende Delaney gleich dreimal ein. Somit kann Bremen auch verschmerzen, dass Top-Torjäger Serge Gnabry (zehn Treffer) fehlt.
4. (Fast) jeder Schuss ein Treffer
Die Chancenverwertung ist derzeit wohl Bremens größte Stärke. Sechs Spiele ist Bremen nun ungeschlagen. In diesen sechs Spielen schossen sie 55-mal in Richtung des gegnerischen Tores, 15 dieser Schüsse gingen ins Tor. Das ergibt eine Quote von 3,67 Schüssen pro Tor. Der Bundesliga-Schnitt liegt bei 8,85, Abstiegskandidaten wie Augsburg und Ingolstadt benötigen rund 13 Schüsse pro Treffer.
5. Bremen nutzt den Moment
Das Beeindruckende an Bremen ist nicht nur ihre Chancenverwertung – sondern die Chancenverwertung, wenn es darauf ankommt. Zuletzt landete gleich der erste Torschuss im Netz. So auch gegen Freiburg: Einen einzigen Ballkontakt hatten die Bremer bis zur 21. Minute im gegnerischen Strafraum. Max Kruses Sonntagsschuss warf Freiburg aus dem Gleichgewicht. Danach dominierte plötzlich Bremen das Spiel, störte früher, war wacher. Schon vor zwei Wochen gegen Leipzig fiel die Führung aus dem Nichts. Ab da waren die Bremer überlegen und erarbeiteten sich die besseren Chancen.
Es zeichnet sich ein Muster ab: Bremen kann nicht über 90 Minuten hinweg mit einem aggressiven Pressing oder schnellen Angriffen punkten. In den entscheidenden Spielphasen sind sie aber wacher. So kontrollierten sie gegen Freiburg nach dem Führungstreffer das Spiel, die Tore kurz vor und nach der Pause brachen dem Gegner das Genick.
Bremen gewinnt somit auch Spiele, die sie nicht über die volle Spielzeit dominieren können. Damit gelang ihnen in diesem Jahr ein eindrucksvolles Comeback. In Anlehnung an den Bremer Funktionär und Alt-Sozi Willy Lemke könnte man sagen: Nouri ist der Martin Schulz Bremens.