Bayern gegen Dortmund ist das vermeintlich größte Spiel der Saison. Aber hat es außer den Fans der beteiligten Mannschaften eigentlich irgendwen interessiert?
Am frühen Samstagabend waren wir mit ein paar alten Freunden in einem Lokal etwas essen. Einer ist Bayern-Fan, einer Schalke zugetan, einer Hannover 96, ich persönlich Arminia Bielefeld und einer hat im Laufe der letzten Jahre das Interesse am Fußball ein wenig verloren. Der Bayern-Fan hatte bei der Terminplanung nicht aufgepasst und zu seinem Entsetzen feststellen müssen, dass parallel das Spiel zwischen seinen Roten und dem BVB lief – eine Begegnung, die manche den deutschen Classico nennen.
Während wir uns über eine reichhaltige Schlachteplatte griechischer Art hermachten, war unser Bayern-Freund über sein Smartphone und irgendeinen Liveticker mit den Ereignissen in München verbunden. „Wahnsinn!“, rief er bereits um kurz nach halb sieben. „1:0 für Bayern!“ Wir anderen sagten „Mmh“ und pulten uns ein Stück Souflaki aus den Schneidezähnen. Der Bayern-Fan schüttelte den Kopf, nahm seinerseits ein paar Bisse von seinem Essen und guckte wieder aufs Smartphone. „Wahnsinn!“, sagte er. „2:0 für Bayern. Ich werd’ verrückt.“
Essen oder Bayern?
Danach entstand eine lange Pause, während der wir anderen uns konzentriert mit unserem Essen beschäftigten, derweil uns der Bayern-Fan zunehmend entgeistert anstarrte. Als dann irgendwer einen Schwank aus unserer gemeinsamen Jugend zum Besten gab, brach es aus dem FCB-Apologeten heraus: „Sagt mal, interessiert euch das Spiel etwa nicht?“
Die Frage war durchaus berechtigt, schließlich handelte es sich bei fast allen am Tisch (mit Ausnahme dessen, dem das Gefühl abhanden gekommen war) um ausgewiesene Fußballfreunde. Aber in diesem Fall zuckten wir mit den Achseln, wiegten den Kopf hin und her, zuckten noch mal mit den Achseln, und endlich fasste sich einer ein Herz und sagte: „Nö. Interessiert uns nicht.“
Der Bayern-Fan sah uns an wie einer, dem plötzlich und unerwartet die Gewissheit über das, was die Welt im Innersten zusammen hält, abhanden gekommen war. Sein Blick verriet eine komplexe Mischung von Gefühlen: Unverständnis und Ärger, aber auch eine jäh aufflackernde Angst vor Vereinsamung. Man konnte ihn verstehen: Was für einen Sinn hat es noch, sich zu freuen, wenn die Freude keinen Widerhall in der Außenwelt findet? „Spinnt ihr?“, stieß er schließlich hervor.
Über diese Frage muss ich seit zwei Tagen nachdenken: Spinnen wir? Denn es ist ja richtig: Bayern gegen Dortmund ist vielleicht kein Classico, aber doch DAS Bundesliga-Spitzenspiel der letzten Jahre, stets begleitet von einer Menge Emo-Brimborium und manchmal auch ziemlich ansehnlich. Andererseits haben wir jeder unsere eigenen Sorgen: Der Schalke-Fan will ins Europa-League-Endspiel, der Hannover-Fan will raus der zweiten Liga und ich mit meinen Bielefeldern unbedingt drinbleiben. Dem, dem es egal ist, ist es egal. Wie sollen wir da ein gesteigertes Interesse für ein Spiel aufbringen, bei dem es darum geht, ob der FC Bayern danach zwölf oder achtzehn Punkte Vorsprung auf den Konkurrenten aus Dortmund hat – in einem Wettbewerb, der in der Spitze seit circa Mitte Februar entschieden ist?
Hier gibt’s Ouzo – was macht ihr so?
Die Bundesliga hat ein Problem, wenn ein allenfalls solides griechisches Fleischgericht und einige olle Kamellen aus der gemeinsam verbrachten Kleinstadtjugend spannender sind als das vermeintlich größte Spiel der Saison. Noch mögen sich die Bayern und ihre Anhänger über jeden einzelnen Sieg freuen, aber wenn sich ihre Freude auf Dauer in einem für den Rest der Liga unzugänglichen Bereich abspielt, werden sie irgendwann anfangen, sich mit sich selbst zu langweilen.
Im griechischen Restaurant blickte unser Bayern-Freund wieder aufs Smartphone und sagte: „Nur noch 2:1.“ Es klang fast hoffnungsfroh. Während wir uns über Gott und die Welt unterhielten, blickte er ab und zu verstohlen aufs Display. Längere Zeit passierte nichts, dann sagte er: „3:1. Robben.“ Wir bestellten eine Runde Ouzo und das Thema war für den Rest des Abends erledigt.