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Die Täter kamen aus der Dun­kel­heit. Aus hei­terem Himmel zer­split­terte das Fenster in der Ein­gangstür. Dort, wo eben noch Glas gewesen war, erschien eine Hand mit einer Gas­pis­tole. Der Schütze feu­erte einige Male ziellos in den Raum. Dann drang ein Pulk Ver­mummter in die Sach­sen­stube“ ein, bewaffnet mit Mes­sern, Base­ball­schlä­gern, Stangen und Tot­schlä­gern. Rauch­gra­naten wurden gezündet und ver­wan­delten den Raum in ein undurch­sich­tiges Dickicht.

Gerade noch hatten die Mit­glieder der Ultra­be­we­gung des FC Sachsen, Diablos“, Lieder gesungen und sich am Buffet zu schaffen gemacht. Nun suchten sie Schutz unter Tischen und Stühlen. In pani­scher Angst griffen die Besu­cher der Weih­nachts­feier nach allem, was sich zum Wider­stand eig­nete. Ein bul­liger Angreifer wurde von zwei Stühlen am Kopf getroffen, schüt­telte sich und ging zum Gegen­an­griff über. Ein anderer sackte unter der Wucht des schweren Mobi­liars zusammen und wurde von den Kame­raden vor die Tür geschleppt. Dann zog einer der Ver­mummten seine Schreck­schuss­pis­tole und feu­erte aus kurzer Ent­fer­nung auf den Leiter des Fan­pro­jekts des FC Sachsen, Erik Fischer. Ein sol­cher Schuss kann töd­lich sein. Doch das Pro­jektil streifte Fischer wie durch ein Wunder nur leicht am Kopf. So plötz­lich wie es anfing, endete es auch. Drei Diablos“, die den Über­fall uner­kannt aus einem Auto beob­ach­teten, sahen wie rund 65 Ver­mummte im Dun­keln ver­schwanden.

Das letzte Tabu war gefallen. Der 8. Dezember 2007 ging als der Tag in die Leip­ziger Geschichte ein, an dem die Riva­lität zwi­schen Fans des 1. FC Loko­mo­tive und des FC Sachsen – oder besser der BSG Chemie, wie hier jeder den Verein der DDR-Tra­di­tion fol­gend nennt – eine neue Dimen­sion erreichte. Was an diesem Samstag pas­sierte, über­stieg alle Maß­stäbe nach denen Fuß­ball­fans von den Behörden klas­si­fi­ziert werden: Weder in der Kate­gorie B“ der soge­nannten gewalt­be­reiten Fans, noch in der Kate­gorie C“ der Gewalt suchenden Sta­di­on­be­su­cher ist ein orga­ni­sierter Angriff mit Waffen außer­halb jeg­li­chen Fuß­ball­zu­sam­men­hangs üblich. Selbst Hoo­li­gans der beiden Ver­eine, die stolz darauf sind, bei der Polizei in der Kate­gorie C“ geführt zu werden, distan­zieren sich von dem Über­fall. Er ist mit dem Hooligan-„Ehrenkodex“ nicht mehr in Ein­klang zu bringen. 170 Fans der Kate­gorie C“ sind bei der Leip­ziger Polizei regis­triert. Schät­zungen gehen davon aus, dass rund 500 Per­sonen in der Stadt und im Umland zu Gewalt im Fuß­ball­kon­text neigen. Die Hoo­ligan-Ehre aber ver­bietet bewaff­nete, orga­ni­sierte Angriffe gegen Wehr­lose und Gegner, die am Boden liegen.

Doch diese Gesetze waren in der Dezem­ber­nacht außer Kraft gesetzt. Als der Über­fall kurz nach 22.30 Uhr statt­fand, waren nur noch wenige Ultras mit Freun­dinnen und einige Chemie-Sym­pa­thi­santen, die nicht den Diablos“ ange­hören, bei der Weih­nachts­feier in der Sach­sen­stube“. Alles hatte so ver­träg­lich begonnen: Der Chemie-Fan­be­auf­tragte Erik Fischer bekam wäh­rend der Feier einen Anruf, dass sich einige stadt­be­kannte Lok-Schläger am Leip­ziger Haupt­bahnhof zusam­men­rotten würden. Man solle auf der Hut sein. Fischer ver­stän­digte als erstes Lok-Prä­si­dent Steffen Kubald, der bei der Polizei Hilfe für die Fans des Orts­ri­valen anfor­derte. Ein Wagen mit sechs Beamten wurde vor der Sach­sen­stube“ zum Schutz abge­stellt. Als die Ord­nungs­hüter bis 22.30 Uhr kei­nerlei Auf­fäl­lig­keiten aus­machten, bra­chen sie nach Absprache mit der Leit­stelle ihren Ein­satz ab. Wenige Minuten später begann der Über­fall.

Ober­fläch­lich betrachtet ist der Ter­rorakt die bizarre Eska­la­tion eines Kon­flikts zwi­schen ver­fein­deten Fan­la­gern, ein Höhe­punkt einer seit Gene­ra­tionen schwe­lenden Riva­lität. Denn der Leip­ziger Fuß­ball ist in Deutsch­land ein Son­der­fall: Die Stadt ver­fügt als ein­zige deut­sche Groß­stadt über zwei Klubs, die seit Jahr­zehnten um die Hege­monie kon­kur­rieren. Anders als in Mün­chen oder Ham­burg ist es keinem der beiden Klubs gelungen, lang­fristig erfolg­rei­cher zu sein als der Orts­ri­vale. In einer Stadt von der Größe Han­no­vers balgen sich aber nicht nur zwei Ver­eine um die sport­liche Vor­macht­stel­lung – es ist auch eine ideo­lo­gi­sche Aus­ein­an­der­set­zung.

Den Grund­stein legte die SED-Regie­rung, indem sie Leipzig 1963 zum Leis­tungs­zen­trum erkor und damit die ver­meint­lich besten Spieler der Stadt in der Sek­tion Fuß­ball“ des SC Leipzig kol­lek­ti­vierte, aus dem 1966 der 1. FC Lok her­vor­ging. Die übrig geblie­benen Kicker schob man ab zur BSG Chemie. Die ver­meint­liche Reser­veelf aus Leutzsch wurde jedoch unter Trainer Alfred Kunze 1964 über­ra­schend Ober­liga-Meister. Das Star­ensemble aus Probst­heida schloss auf Platz 3 ab. So wurde Chemie, lange vor den Mon­tags­demos, zu einem Symbol für den Wider­stand gegen die Obrig­keit. Die Kluft, den die Dok­trin der Staats­macht vor­sätz­lich in den Leip­ziger Fuß­ball riss, ist bis heute vor­handen. Der Fan­be­auf­tragte von Lok, Uwe Nollau, bringt es auf den Punkt: Die Stadt ist in Grün-Weiß und Blau-Gelb geteilt. Bevor manche Kinder von Lok-Fans ›Mama‹ oder ›Papa‹ sagen, plärren sie ›Chemie-Schweine raus‹.“

Lange Zeit galt der Anhang der BSG als berüch­tigter Mob, vor dem die geg­ne­ri­schen Fans zit­terten. Im Leutz­scher Sport­park ent­stand nicht von unge­fähr 1965 der erste Sta­di­on­zaun in deut­schen Spiel­stätten über­haupt. Bis in die 80er hinein besaß Chemie, was die Fan-Sym­pa­thien in Leipzig anbe­traf, einen deut­li­chen Über­hang. Der als SED-Klub“ gebrand­markte 1. FC Lok fei­erte jedoch Euro­pacup-Nächte im Zen­tral­sta­dion, was ihm einen kon­ti­nu­ier­li­chen Zulauf von Fans sicherte.
Als Wen­de­punkt in der Über­le­gen­heit der Leutz­scher gilt eine Mas­sen­schlä­gerei nach dem Derby am 27. August 1983. Nach dem Abpfiff im Sta­dion des Frie­dens“ wurden 300 Lok-Fans von 1000 Chemie-Anhän­gern ein­ge­kes­selt. Nach dem Prinzip Alles oder Nichts“ gelang es den Lokisten, die Über­macht an Geg­nern in die Flucht zu schlagen. Die Vor­macht­stel­lung des BSG-Anhangs war gebro­chen. In der Folge ver­schoben sich die Fan-Sym­pa­thien in Leipzig zuneh­mend in Rich­tung Lok.

Nach der Wende ver­liefen die Wege beider Ver­eine lange getrennt. Lok fir­mierte wieder unter VfB Leipzig und spielte bis 1998 in den Pro­fi­ligen. Der durch die Fusion der BSG mit Chemie Böhlen geformte FC Sachsen düm­pelte in den Ama­teur­klassen. Trotzdem wurde der Fuß­ball auch in dieser Zeit immer wieder von Teilen der Anhän­ger­schaft miss­braucht, um Hass auf den Lokal­ri­valen zu kapri­zieren. Im November 1990 trafen sich Hoo­li­gans aus dem gesamten Bun­des­ge­biet in Leipzig. Ein Flug­blatt dieser kon­zer­tierten Aktion befahl: Leutzsch nie­der­brennen“. Kurz darauf wurde bei Fan-Aus­schrei­tungen zwi­schen Che­mi­kern und Anhän­gern des ehe­ma­ligen Stasi-Klubs FC Berlin ein Fan aus der Haupt­stadt von einem Poli­zisten erschossen. Er starb auf den Gleisen des Bahn­hofs Leipzig-Leutzsch. Dort, wo ver­mut­lich auch die Atten­täter vom 8. Dezember 2007 mit der S‑Bahn ankamen.

Durch den Abstieg des VfB trafen beide Klubs ab der Saison 1998/99 in den Ama­teur­ligen wieder regel­mäßig auf­ein­ander. Ab 2000 grün­deten sich in beiden Lagern Ultra-Gruppen: in Leutzsch die Diablos“, in Probst­heida das Inferno“ und später die Blue Side Lok“. Auch die Insol­venz des VfB Leipzig 2004 befeu­erte die alte Feind­schaft: Diesmal lockte das Nach­wuchs­zen­trum des FC Sachsen die besten Spieler weg vom VfB. Über 40 Talente ver­ließen für 35 000 Euro Aus­bil­dungs­ent­schä­di­gung Probst­heida und liefen über.

Nicht undenkbar, dass es bei der nächsten Aktion auch Tote gibt“

Ein stän­diges Geben und Nehmen, die Gewalt­spi­rale rotiert. Bei einem Zug­über­fall in Bit­ter­feld wurde 2003 eine Fahne der Diablos“ durch Hal­lenser Fans und Lokisten erbeutet. Darauf lockten Che­miker beim Test­spiel zwi­schen dem FC Sachsen und dem Hal­le­schen FC Lok- und HFC-Fans in einen Hin­ter­halt, um sich für den Dieb­stahl des Ban­ners zu rächen. Udo Ueber­schär, Fan­ko­or­di­nator des Landes Sachsen, geht davon aus, dass der Über­fall auf die Sach­sen­stube“ auch ein Ver­gel­tungs­schlag für Anschläge dieser Art war: Und ich halte es nicht für undenkbar, dass es beim nächsten Mal auch Tote gibt.“

Die Gewalt geht in beiden Lagern mit einem seltsam ver­brämten poli­ti­schen Radi­ka­lismus einher, der den Kon­flikt zusätz­lich anheizt. Poli­ti­sche State­ments haben Tra­di­tion in den Sta­dien der neuen Länder. Zu DDR-Zeiten bot der Besuch eines Fuß­ball­spiels auch die Mög­lich­keit, mit Schlacht­rufen gegen das System zu oppo­nieren. Schon 1982 skan­dierten Chemie-Fans anläss­lich des Besuchs des Bun­des­kanz­lers schüt­tel­reimig: Helmut Schmidt, nimm uns mit, in die Bun­des­re­pu­blik.“

Dass von Teilen des Anhangs auch immer wieder faschis­ti­sches Gedan­kengut trans­por­tiert wurde, sor­tierten die DDR-Behörden unter dem Begriff Row­dytum“ weg. Die Slo­gans Nur ein Leutz­scher ist ein Deut­scher“ oder Teu­to­nisch, bar­ba­risch, wir Leutz­scher, wir sind arisch“ werden von Teilen der Alt-Hools Meta­stasen“ bei Chemie bis heute bemüht. Ob es sich dabei um Parolen mit poli­ti­schem Überbau han­delt oder bloß um Relikte eines his­to­ri­schen Pro­tests, die als Fuß­ball-Inventar ver­standen und unre­flek­tiert wie­der­ge­käut werden, liegt im Auge des Betrach­ters.

Tat­sache aber ist, dass Che­mies jugend­li­cher Anhang, nament­lich die Diablos“, einen starken Rück­halt in der linken Szene, der Antifa und einigen SPD- und Grünen-Poli­ti­kern im Stadtrat und Landtag genießen. Und die Akti­visten lassen es sich nicht nehmen, Anti­ras­sismus aktiv im Sta­dion zu leben. Als der far­bige Sachsen-Akteur Ade­bo­wale Ogung­bure im März 2006 aufs Übelste von Fans des Hal­le­schen FC ver­un­glimpft wurde, ver­ab­schie­dete er sich per Hit­ler­gruß“. Kurz darauf stürmten Sachsen-Anhänger das Spiel­feld. So krank es auch klingt: Das klare State­ment der Diablos“ gegen ras­sis­ti­sche Ten­denzen pro­vo­ziert viele radi­kale Fans auf der Gegen­seite – und nicht nur dort. Die Ultras befinden sich des­halb auch im inneren Streit mit den rechts ori­en­tierten BSG-„Metastasen“. Im Herbst 2007 kam es bei einem Heim­spiel im Zen­tral­sta­dion zu Schlä­ge­reien zwi­schen diesen beiden Fan­la­gern.

Grö­ßeres Kon­flikt­po­ten­tial birgt auch in dieser Hin­sicht die Riva­lität zum 1. FC Lok. Im Zuge der VfB-Insol­venz grün­deten Fans im Dezember 2003 den neuen 1. FC Loko­mo­tive Leipzig, der in der Saison 2004/05 einen Neu­an­fang in der Kreis­klasse star­tete und inzwi­schen wieder in der Lan­des­liga spielt. Zu den elf Grün­dungs­mit­glie­dern gehören meh­rere beken­nende Neo­nazis, die den ehe­ma­ligen VfB-Fan­be­auf­tragten Steffen Kubald zum Vor­sit­zenden wählten. Seitdem haftet dem Klub das Image an, von Nazis unter­wan­dert zu sein. Beim Derby 2002 rollten Lok-Fans in Leutzsch ein Spruch­band aus: Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten“. Beim A‑Ju­gend-Spiel zwi­schen Lok und Sachsen 2006 for­mierte sich in der Lok-Kurve ein mensch­li­ches Haken­kreuz. Gezielte Droh­ge­bärden gegen­über den Chemie-Ultras.

Rotz­nasen“, nennt Steffen Kubald die Rädels­führer sol­cher Aktionen. Zu seiner Zeit als Fan­be­auf­tragter rief vor Aus­wärts­fahrten stets die Mutter des Jungen an, der die For­ma­tion der Nazi-Rune kom­man­dierte, damit Kubald ein Auge auf ihren Zög­ling hat – und ihm nichts zustieß. Steffen Kubald ist ein Mann wie ein Haus. Ein biss­chen tapsig wie Pu der Bär, und mächtig wie Bud Spencer. Zu DDR-Zeiten war er ein Lok-Rowdy in der Gemein­schaft der Schö­ne­felder“. Er macht keinen Hehl daraus, dass er früher gerne mal zuge­langt hat. Kubald kennt also seine Pap­pen­heimer, hinter vor­ge­hal­tener Hand kann er mit an Sicher­heit gren­zender Wahr­schein­lich­keit viele Namen derer auf­zählen, die in der Sach­sen­stube“ dabei waren. Wenn er von Rotz­nasen“ spricht, heißt das also nicht, dass er die Gefahr ver­kennt, die von den gewalt­be­reiten Kra­wall­ma­chern aus­geht. Aber er bemüht sich, zu unter­scheiden, welche Täter nicht mehr unter Kon­trolle zu bringen sind und welche Jung­sche“ vom schnellen Kick geblendet sind, den das Chaos im tes­to­ste­ron­ge­steu­erten Alter bietet. 21 Haus­ver­bote hat die Lok­sche“, wie sie in Fan­kreisen zärt­lich genannt wird, gegen­über Unbe­lehr­baren 2007 aus­ge­spro­chen. Kubald kennt jeden ein­zelnen Fall per­sön­lich, min­des­tens ein Drittel der Leute hält der Prä­si­dent für nicht reso­zia­li­sierbar. Trotz wie­der­holten Ver­stoßes gegen die Auf­lagen des Ver­eins und mit­unter trä­nen­rei­chen Beteue­rungen der Täter, sich zu bes­sern, war es den Män­nern im Alter zwi­schen 18 und 40 nicht gelungen, sich bei Gewalt und ver­fas­sungs­feind­li­chen State­ments zu mäßigen. Die übelsten Brand­stifter sind mit dem Haus­verbot zumin­dest bei Heim­spielen aus dem Lok-Umfeld ver­bannt. Aus­wärts aber fehlt dem Verein eine Hand­habe.

Will Lok wirt­schaft­lich wieder auf die Beine kommen, braucht es drin­gend finanz­kräf­tige Spon­soren. Im Dunst­kreis von Nazis wird das schwierig. Des­halb steht seit Mai 2007 ein Anti­ras­sismus-Para­graf in der Klub­sat­zung. Dem Fahrer des VW-Busses mit dem Kenn­zei­chen
L‑OK-88 (dem Code für Heil Hitler“) hat der Klub das Ver­kaufen von Fan-Devo­tio­na­lien vor dem Sta­dion unter­sagt. Die rechten Grün­dungs­mit­glieder sind, so Kubald, voll­ständig aus den Klub­ge­schäften eli­mi­niert. Auch keiner aus Reihen der Blue Caps“, einem Sam­mel­be­cken von rechten Schlä­gern, soll noch Zutritt zum Bruno-Plache-Sta­dion haben. Sogar Sta­di­on­spre­cher Mirko Linke steht zur Dis­kus­sion. Der Ansager oppo­niert im Über­schwang der Gefühle gerne übers Sta­di­onmikro gegen die – Zitat – Chemie-Schweine“. Mit sol­chen Maß­nahmen ist Steffen Kubald, die Sym­bol­figur für die Ret­tung von Lok, in den Augen man­cher zum Ver­räter geworden: Für einige der Aus­ge­boo­teten ist der Prä­si­dent nur noch der Juden­ku­bald“.

Der Lok-Sta­di­on­spre­cher oppo­niert gegen Chemie-Schweine“

Für Win­fried Lonzen, Prä­si­dent des FC Sachsen und Geschäfts­führer der Betrei­ber­ge­sell­schaft des Zen­tral­sta­dions, ist der Fan-Terror fast ein Neben­kriegs­schau­platz. Der 62-Jäh­rige hat alle Hände voll zu tun, den FC Sachsen vor der dro­henden Insol­venz zu bewahren. Als Zuge­zo­gener war ihm der Leip­ziger Fan-Kon­flikt vor seiner Inthro­ni­sie­rung weithin unbe­kannt: Ich habe mir von meinen Mit­ar­bei­tern eine Grafik erstellen lassen, um im Bilde zu sein.“ Zumin­dest in diesem Punkt ist sein Gegen­part Kubald zu beneiden. Er sagt: Im Leip­ziger Fuß­ball kennt jeder jeden. Wenn es ein Pro­blem mit Chemie gibt, bin ich der erste, der von der Gegen­seite erfährt, was läuft. Nur der Herr Lonzen, der kennt nie­manden.“ Mit oder ohne Lonzen wollen alt­ein­ge­ses­sene Fans und Funk­tio­näre beider Ver­eine nun das Pro­blem lösen. Ende Januar trafen sich Alt-Hools und Sym­pa­thi­santen von Chemie und Lok zur internen Ele­fan­ten­runde“, um gegen­sei­tiges Hoch­schau­keln des Fan-Ter­rors zu beenden. Eine Frie­dens­kon­fe­renz wie bei zwei ver­fein­deten Mafia-Clans. Lok-Vize­prä­si­dent René Weber: Pro­blem war, die Jung­schen mit an den Tisch zu kriegen.“ Denn über den Erlass des Haus­ver­bots will das Lok-Prä­si­dium defi­nitiv nicht reden.

Zieht man in Betracht, dass viele gewalt­tä­tige Fans auf beiden Seiten deut­lich unter 25 Jahre alt sind, erin­nert alles ein wenig an riva­li­sie­rende Gangs in den USA oder die Schlachten zwi­schen Punks und Pop­pern in den 80ern im Westen. Der Fuß­ball­klub und die poli­ti­sche Gesin­nung sind
– wie einst Popper-Tolle und No-Future-Slo­gans auf der Leder­jacke – Lebens­hilfe bei der Iden­ti­täts­fin­dung und Frus­tra­ti­ons­ventil zugleich. Doch die Umgangs­formen laufen aus dem Ruder. Die Fehde ver­la­gert sich zuneh­mend in den pri­vaten Bereich. Lok-Fan­be­auf­tragter Uwe Nollau sagt: Da die Frage des Stär­keren geklärt ist, kommt es zwangs­läufig zu Gue­rilla-Atta­cken gegen ein­zelne.“ Er spielt damit auf die Unter­le­gen­heit der juve­nilen Chemie-Ultras an, die gegen die Tür­steher-Frak­tion der Lok-Hools bei einer offenen Aus­ein­an­der­set­zung kaum eine Chance hätten. Als eine Lok-Fahne bei einer Par­ti­sa­nen­ak­tion erbeutet wurde, lau­erten Lokisten einem Anführer der Diablos“ vor der Haustür auf. Die Männer aus Probst­heida ver­mu­teten ihr Banner in der Woh­nung des Ultras.

Hinzu kommt, dass die Medien sich auf Leipzig ein­ge­schossen haben. Ran­da­lie­rende Fuß­ball­fans in Ver­bin­dung mit poli­ti­schen Extremen – das bringt Quote. Ohne den Hauch von Ironie ver­melden sogar seriöse Zei­tungen, die säch­si­sche Regie­rung wolle bei der Lösung des Gewalt-Pro­blems zukünftig mili­tä­ri­sche Auf­klä­rungs­flug­körper, soge­nannte Drohnen“, ein­setzen. Dabei wird aus­ge­blendet, dass für die über­schau­bare Zahl von Gewalt­ak­tionen nur etwa ein Pro­zent der durch­schnitt­li­chen Zuschau­er­zahlen (ca. 2000 Besu­cher pro Klub) ver­ant­wort­lich ist. 124 Pres­se­ver­treter akkre­di­tierten sich im Oktober 2007, um über das Spiel FC Sachsen 2 gegen die 1. Herren von Lok zu berichten. Kein Wunder, dass sich die Prot­ago­nisten der Fan-Szene ange­sichts sol­cher Medi­en­prä­senz ange­sta­chelt fühlen. Übers Radio dra­ma­ti­sierte ein Diablo“ den Kon­flikt als hei­ligen Krieg“, offen­sicht­lich ohne die Dimen­sion einer sol­chen Aus­sage zu ermessen. Beim Lan­des­liga-Derby im Oktober brachten Lok-Fans im Gegenzug Iran-Flaggen mit ins Sta­dion – als ver­stecktes Symbol des Anti­se­mi­tismus.

Es reicht. 30, 40 Idioten meinen, sie müssten Wilder Westen spielen – ich will end­lich wieder in Ruhe Fuß­ball schauen“, fasst Lok-Vize René Weber die Denk­weise der meisten Leip­ziger Fans zusammen. Die Täter – auch Teile derer, die im Dezember die Sach­sen­stube“ über­fielen – eint ein Mangel an Demo­kra­tie­ver­ständnis. Auch 18 Jahre nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung wird auf Leip­ziger Tri­bünen sichtbar, dass es eine Distanz zwi­schen einer Mehr­heit gibt, die gelernt hat, das Leben in einem frei­heit­li­chen Staat mit­zu­ge­stalten und wenigen, die nur das Faust­recht kennen. Das Pro­blem: Dieser kleine Per­so­nen­kreis prägt der­zeit das öffent­liche Bild der Leip­ziger Fuß­ball­kultur.

Ein Weg aus der Misere kann nur eine früh­zei­tige Inte­gra­tion der nach­wach­senden Fan-Gene­ra­tionen sein. Erik Fischer, ver­ant­wort­lich für das Fan­pro­jekt beim FC Sachsen, sagt: An die Leute im Block, die rechte Parolen brüllen und Ran­dale machen, kommen wir nicht mehr ran. Aber denen, die noch kommen, müssen wir Raum bieten, ihre Fan­szene kreativ mit­zu­ge­stalten.“ Auch die Politik ist end­lich um Lösungen bemüht. Neben den 83 000 Euro, die jähr­lich von der Stadt Leipzig in das Fan­pro­jekt fließen, hat das Land Sachsen soeben wei­tere 300 000 Euro für die Fan­ar­beit bereit gestellt.

Die Zeit drängt. Sollte Lok kom­mende Saison in die Ober­liga auf­steigen und FC Sachsen die Klasse halten, drohen der Mes­se­stadt zwei bri­sante Derbys. Und ein Völ­ker­schlacht­denkmal in Leipzig reicht.