Die Täter kamen aus der Dunkelheit. Aus heiterem Himmel zersplitterte das Fenster in der Eingangstür. Dort, wo eben noch Glas gewesen war, erschien eine Hand mit einer Gaspistole. Der Schütze feuerte einige Male ziellos in den Raum. Dann drang ein Pulk Vermummter in die „Sachsenstube“ ein, bewaffnet mit Messern, Baseballschlägern, Stangen und Totschlägern. Rauchgranaten wurden gezündet und verwandelten den Raum in ein undurchsichtiges Dickicht.
Gerade noch hatten die Mitglieder der Ultrabewegung des FC Sachsen, „Diablos“, Lieder gesungen und sich am Buffet zu schaffen gemacht. Nun suchten sie Schutz unter Tischen und Stühlen. In panischer Angst griffen die Besucher der Weihnachtsfeier nach allem, was sich zum Widerstand eignete. Ein bulliger Angreifer wurde von zwei Stühlen am Kopf getroffen, schüttelte sich und ging zum Gegenangriff über. Ein anderer sackte unter der Wucht des schweren Mobiliars zusammen und wurde von den Kameraden vor die Tür geschleppt. Dann zog einer der Vermummten seine Schreckschusspistole und feuerte aus kurzer Entfernung auf den Leiter des Fanprojekts des FC Sachsen, Erik Fischer. Ein solcher Schuss kann tödlich sein. Doch das Projektil streifte Fischer wie durch ein Wunder nur leicht am Kopf. So plötzlich wie es anfing, endete es auch. Drei „Diablos“, die den Überfall unerkannt aus einem Auto beobachteten, sahen wie rund 65 Vermummte im Dunkeln verschwanden.
Das letzte Tabu war gefallen. Der 8. Dezember 2007 ging als der Tag in die Leipziger Geschichte ein, an dem die Rivalität zwischen Fans des 1. FC Lokomotive und des FC Sachsen – oder besser der BSG Chemie, wie hier jeder den Verein der DDR-Tradition folgend nennt – eine neue Dimension erreichte. Was an diesem Samstag passierte, überstieg alle Maßstäbe nach denen Fußballfans von den Behörden klassifiziert werden: Weder in der „Kategorie B“ der sogenannten gewaltbereiten Fans, noch in der „Kategorie C“ der Gewalt suchenden Stadionbesucher ist ein organisierter Angriff mit Waffen außerhalb jeglichen Fußballzusammenhangs üblich. Selbst Hooligans der beiden Vereine, die stolz darauf sind, bei der Polizei in der „Kategorie C“ geführt zu werden, distanzieren sich von dem Überfall. Er ist mit dem Hooligan-„Ehrenkodex“ nicht mehr in Einklang zu bringen. 170 Fans der „Kategorie C“ sind bei der Leipziger Polizei registriert. Schätzungen gehen davon aus, dass rund 500 Personen in der Stadt und im Umland zu Gewalt im Fußballkontext neigen. Die Hooligan-Ehre aber verbietet bewaffnete, organisierte Angriffe gegen Wehrlose und Gegner, die am Boden liegen.
Doch diese Gesetze waren in der Dezembernacht außer Kraft gesetzt. Als der Überfall kurz nach 22.30 Uhr stattfand, waren nur noch wenige Ultras mit Freundinnen und einige Chemie-Sympathisanten, die nicht den „Diablos“ angehören, bei der Weihnachtsfeier in der „Sachsenstube“. Alles hatte so verträglich begonnen: Der Chemie-Fanbeauftragte Erik Fischer bekam während der Feier einen Anruf, dass sich einige stadtbekannte Lok-Schläger am Leipziger Hauptbahnhof zusammenrotten würden. Man solle auf der Hut sein. Fischer verständigte als erstes Lok-Präsident Steffen Kubald, der bei der Polizei Hilfe für die Fans des Ortsrivalen anforderte. Ein Wagen mit sechs Beamten wurde vor der „Sachsenstube“ zum Schutz abgestellt. Als die Ordnungshüter bis 22.30 Uhr keinerlei Auffälligkeiten ausmachten, brachen sie nach Absprache mit der Leitstelle ihren Einsatz ab. Wenige Minuten später begann der Überfall.
Oberflächlich betrachtet ist der Terrorakt die bizarre Eskalation eines Konflikts zwischen verfeindeten Fanlagern, ein Höhepunkt einer seit Generationen schwelenden Rivalität. Denn der Leipziger Fußball ist in Deutschland ein Sonderfall: Die Stadt verfügt als einzige deutsche Großstadt über zwei Klubs, die seit Jahrzehnten um die Hegemonie konkurrieren. Anders als in München oder Hamburg ist es keinem der beiden Klubs gelungen, langfristig erfolgreicher zu sein als der Ortsrivale. In einer Stadt von der Größe Hannovers balgen sich aber nicht nur zwei Vereine um die sportliche Vormachtstellung – es ist auch eine ideologische Auseinandersetzung.
Den Grundstein legte die SED-Regierung, indem sie Leipzig 1963 zum Leistungszentrum erkor und damit die vermeintlich besten Spieler der Stadt in der „Sektion Fußball“ des SC Leipzig kollektivierte, aus dem 1966 der 1. FC Lok hervorging. Die übrig gebliebenen Kicker schob man ab zur BSG Chemie. Die vermeintliche Reserveelf aus Leutzsch wurde jedoch unter Trainer Alfred Kunze 1964 überraschend Oberliga-Meister. Das Starensemble aus Probstheida schloss auf Platz 3 ab. So wurde Chemie, lange vor den Montagsdemos, zu einem Symbol für den Widerstand gegen die Obrigkeit. Die Kluft, den die Doktrin der Staatsmacht vorsätzlich in den Leipziger Fußball riss, ist bis heute vorhanden. Der Fanbeauftragte von Lok, Uwe Nollau, bringt es auf den Punkt: „Die Stadt ist in Grün-Weiß und Blau-Gelb geteilt. Bevor manche Kinder von Lok-Fans ›Mama‹ oder ›Papa‹ sagen, plärren sie ›Chemie-Schweine raus‹.“
Lange Zeit galt der Anhang der BSG als berüchtigter Mob, vor dem die gegnerischen Fans zitterten. Im Leutzscher Sportpark entstand nicht von ungefähr 1965 der erste Stadionzaun in deutschen Spielstätten überhaupt. Bis in die 80er hinein besaß Chemie, was die Fan-Sympathien in Leipzig anbetraf, einen deutlichen Überhang. Der als „SED-Klub“ gebrandmarkte 1. FC Lok feierte jedoch Europacup-Nächte im Zentralstadion, was ihm einen kontinuierlichen Zulauf von Fans sicherte.
Als Wendepunkt in der Überlegenheit der Leutzscher gilt eine Massenschlägerei nach dem Derby am 27. August 1983. Nach dem Abpfiff im „Stadion des Friedens“ wurden 300 Lok-Fans von 1000 Chemie-Anhängern eingekesselt. Nach dem Prinzip „Alles oder Nichts“ gelang es den Lokisten, die Übermacht an Gegnern in die Flucht zu schlagen. Die Vormachtstellung des BSG-Anhangs war gebrochen. In der Folge verschoben sich die Fan-Sympathien in Leipzig zunehmend in Richtung Lok.
Nach der Wende verliefen die Wege beider Vereine lange getrennt. Lok firmierte wieder unter VfB Leipzig und spielte bis 1998 in den Profiligen. Der durch die Fusion der BSG mit Chemie Böhlen geformte FC Sachsen dümpelte in den Amateurklassen. Trotzdem wurde der Fußball auch in dieser Zeit immer wieder von Teilen der Anhängerschaft missbraucht, um Hass auf den Lokalrivalen zu kaprizieren. Im November 1990 trafen sich Hooligans aus dem gesamten Bundesgebiet in Leipzig. Ein Flugblatt dieser konzertierten Aktion befahl: „Leutzsch niederbrennen“. Kurz darauf wurde bei Fan-Ausschreitungen zwischen Chemikern und Anhängern des ehemaligen Stasi-Klubs FC Berlin ein Fan aus der Hauptstadt von einem Polizisten erschossen. Er starb auf den Gleisen des Bahnhofs Leipzig-Leutzsch. Dort, wo vermutlich auch die Attentäter vom 8. Dezember 2007 mit der S‑Bahn ankamen.
Durch den Abstieg des VfB trafen beide Klubs ab der Saison 1998/99 in den Amateurligen wieder regelmäßig aufeinander. Ab 2000 gründeten sich in beiden Lagern Ultra-Gruppen: in Leutzsch die „Diablos“, in Probstheida das „Inferno“ und später die „Blue Side Lok“. Auch die Insolvenz des VfB Leipzig 2004 befeuerte die alte Feindschaft: Diesmal lockte das Nachwuchszentrum des FC Sachsen die besten Spieler weg vom VfB. Über 40 Talente verließen für 35 000 Euro Ausbildungsentschädigung Probstheida und liefen über.
„Nicht undenkbar, dass es bei der nächsten Aktion auch Tote gibt“
Ein ständiges Geben und Nehmen, die Gewaltspirale rotiert. Bei einem Zugüberfall in Bitterfeld wurde 2003 eine Fahne der „Diablos“ durch Hallenser Fans und Lokisten erbeutet. Darauf lockten Chemiker beim Testspiel zwischen dem FC Sachsen und dem Halleschen FC Lok- und HFC-Fans in einen Hinterhalt, um sich für den Diebstahl des Banners zu rächen. Udo Ueberschär, Fankoordinator des Landes Sachsen, geht davon aus, dass der Überfall auf die „Sachsenstube“ auch ein Vergeltungsschlag für Anschläge dieser Art war: „Und ich halte es nicht für undenkbar, dass es beim nächsten Mal auch Tote gibt.“
Die Gewalt geht in beiden Lagern mit einem seltsam verbrämten politischen Radikalismus einher, der den Konflikt zusätzlich anheizt. Politische Statements haben Tradition in den Stadien der neuen Länder. Zu DDR-Zeiten bot der Besuch eines Fußballspiels auch die Möglichkeit, mit Schlachtrufen gegen das System zu opponieren. Schon 1982 skandierten Chemie-Fans anlässlich des Besuchs des Bundeskanzlers schüttelreimig: „Helmut Schmidt, nimm uns mit, in die Bundesrepublik.“
Dass von Teilen des Anhangs auch immer wieder faschistisches Gedankengut transportiert wurde, sortierten die DDR-Behörden unter dem Begriff „Rowdytum“ weg. Die Slogans „Nur ein Leutzscher ist ein Deutscher“ oder „Teutonisch, barbarisch, wir Leutzscher, wir sind arisch“ werden von Teilen der Alt-Hools „Metastasen“ bei Chemie bis heute bemüht. Ob es sich dabei um Parolen mit politischem Überbau handelt oder bloß um Relikte eines historischen Protests, die als Fußball-Inventar verstanden und unreflektiert wiedergekäut werden, liegt im Auge des Betrachters.
Tatsache aber ist, dass Chemies jugendlicher Anhang, namentlich die „Diablos“, einen starken Rückhalt in der linken Szene, der Antifa und einigen SPD- und Grünen-Politikern im Stadtrat und Landtag genießen. Und die Aktivisten lassen es sich nicht nehmen, Antirassismus aktiv im Stadion zu leben. Als der farbige Sachsen-Akteur Adebowale Ogungbure im März 2006 aufs Übelste von Fans des Halleschen FC verunglimpft wurde, verabschiedete er sich per „Hitlergruß“. Kurz darauf stürmten Sachsen-Anhänger das Spielfeld. So krank es auch klingt: Das klare Statement der „Diablos“ gegen rassistische Tendenzen provoziert viele radikale Fans auf der Gegenseite – und nicht nur dort. Die Ultras befinden sich deshalb auch im inneren Streit mit den rechts orientierten BSG-„Metastasen“. Im Herbst 2007 kam es bei einem Heimspiel im Zentralstadion zu Schlägereien zwischen diesen beiden Fanlagern.
Größeres Konfliktpotential birgt auch in dieser Hinsicht die Rivalität zum 1. FC Lok. Im Zuge der VfB-Insolvenz gründeten Fans im Dezember 2003 den neuen 1. FC Lokomotive Leipzig, der in der Saison 2004/05 einen Neuanfang in der Kreisklasse startete und inzwischen wieder in der Landesliga spielt. Zu den elf Gründungsmitgliedern gehören mehrere bekennende Neonazis, die den ehemaligen VfB-Fanbeauftragten Steffen Kubald zum Vorsitzenden wählten. Seitdem haftet dem Klub das Image an, von Nazis unterwandert zu sein. Beim Derby 2002 rollten Lok-Fans in Leutzsch ein Spruchband aus: „Wir sind Lokisten, Mörder und Faschisten“. Beim A‑Jugend-Spiel zwischen Lok und Sachsen 2006 formierte sich in der Lok-Kurve ein menschliches Hakenkreuz. Gezielte Drohgebärden gegenüber den Chemie-Ultras.
„Rotznasen“, nennt Steffen Kubald die Rädelsführer solcher Aktionen. Zu seiner Zeit als Fanbeauftragter rief vor Auswärtsfahrten stets die Mutter des Jungen an, der die Formation der Nazi-Rune kommandierte, damit Kubald ein Auge auf ihren Zögling hat – und ihm nichts zustieß. Steffen Kubald ist ein Mann wie ein Haus. Ein bisschen tapsig wie Pu der Bär, und mächtig wie Bud Spencer. Zu DDR-Zeiten war er ein Lok-Rowdy in der Gemeinschaft der „Schönefelder“. Er macht keinen Hehl daraus, dass er früher gerne mal zugelangt hat. Kubald kennt also seine Pappenheimer, hinter vorgehaltener Hand kann er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit viele Namen derer aufzählen, die in der „Sachsenstube“ dabei waren. Wenn er von „Rotznasen“ spricht, heißt das also nicht, dass er die Gefahr verkennt, die von den gewaltbereiten Krawallmachern ausgeht. Aber er bemüht sich, zu unterscheiden, welche Täter nicht mehr unter Kontrolle zu bringen sind und welche „Jungsche“ vom schnellen Kick geblendet sind, den das Chaos im testosterongesteuerten Alter bietet. 21 Hausverbote hat die „Loksche“, wie sie in Fankreisen zärtlich genannt wird, gegenüber Unbelehrbaren 2007 ausgesprochen. Kubald kennt jeden einzelnen Fall persönlich, mindestens ein Drittel der Leute hält der Präsident für nicht resozialisierbar. Trotz wiederholten Verstoßes gegen die Auflagen des Vereins und mitunter tränenreichen Beteuerungen der Täter, sich zu bessern, war es den Männern im Alter zwischen 18 und 40 nicht gelungen, sich bei Gewalt und verfassungsfeindlichen Statements zu mäßigen. Die übelsten Brandstifter sind mit dem Hausverbot zumindest bei Heimspielen aus dem Lok-Umfeld verbannt. Auswärts aber fehlt dem Verein eine Handhabe.
Will Lok wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, braucht es dringend finanzkräftige Sponsoren. Im Dunstkreis von Nazis wird das schwierig. Deshalb steht seit Mai 2007 ein Antirassismus-Paragraf in der Klubsatzung. Dem Fahrer des VW-Busses mit dem Kennzeichen
L‑OK-88 (dem Code für „Heil Hitler“) hat der Klub das Verkaufen von Fan-Devotionalien vor dem Stadion untersagt. Die rechten Gründungsmitglieder sind, so Kubald, vollständig aus den Klubgeschäften eliminiert. Auch keiner aus Reihen der „Blue Caps“, einem Sammelbecken von rechten Schlägern, soll noch Zutritt zum Bruno-Plache-Stadion haben. Sogar Stadionsprecher Mirko Linke steht zur Diskussion. Der Ansager opponiert im Überschwang der Gefühle gerne übers Stadionmikro gegen die – Zitat – „Chemie-Schweine“. Mit solchen Maßnahmen ist Steffen Kubald, die Symbolfigur für die Rettung von Lok, in den Augen mancher zum Verräter geworden: Für einige der Ausgebooteten ist der Präsident nur noch der „Judenkubald“.
Der Lok-Stadionsprecher opponiert gegen „Chemie-Schweine“
Für Winfried Lonzen, Präsident des FC Sachsen und Geschäftsführer der Betreibergesellschaft des Zentralstadions, ist der Fan-Terror fast ein Nebenkriegsschauplatz. Der 62-Jährige hat alle Hände voll zu tun, den FC Sachsen vor der drohenden Insolvenz zu bewahren. Als Zugezogener war ihm der Leipziger Fan-Konflikt vor seiner Inthronisierung weithin unbekannt: „Ich habe mir von meinen Mitarbeitern eine Grafik erstellen lassen, um im Bilde zu sein.“ Zumindest in diesem Punkt ist sein Gegenpart Kubald zu beneiden. Er sagt: „Im Leipziger Fußball kennt jeder jeden. Wenn es ein Problem mit Chemie gibt, bin ich der erste, der von der Gegenseite erfährt, was läuft. Nur der Herr Lonzen, der kennt niemanden.“ Mit oder ohne Lonzen wollen alteingesessene Fans und Funktionäre beider Vereine nun das Problem lösen. Ende Januar trafen sich Alt-Hools und Sympathisanten von Chemie und Lok zur internen „Elefantenrunde“, um gegenseitiges Hochschaukeln des Fan-Terrors zu beenden. Eine Friedenskonferenz wie bei zwei verfeindeten Mafia-Clans. Lok-Vizepräsident René Weber: „Problem war, die Jungschen mit an den Tisch zu kriegen.“ Denn über den Erlass des Hausverbots will das Lok-Präsidium definitiv nicht reden.
Zieht man in Betracht, dass viele gewalttätige Fans auf beiden Seiten deutlich unter 25 Jahre alt sind, erinnert alles ein wenig an rivalisierende Gangs in den USA oder die Schlachten zwischen Punks und Poppern in den 80ern im Westen. Der Fußballklub und die politische Gesinnung sind
– wie einst Popper-Tolle und No-Future-Slogans auf der Lederjacke – Lebenshilfe bei der Identitätsfindung und Frustrationsventil zugleich. Doch die Umgangsformen laufen aus dem Ruder. Die Fehde verlagert sich zunehmend in den privaten Bereich. Lok-Fanbeauftragter Uwe Nollau sagt: „Da die Frage des Stärkeren geklärt ist, kommt es zwangsläufig zu Guerilla-Attacken gegen einzelne.“ Er spielt damit auf die Unterlegenheit der juvenilen Chemie-Ultras an, die gegen die Türsteher-Fraktion der Lok-Hools bei einer offenen Auseinandersetzung kaum eine Chance hätten. Als eine Lok-Fahne bei einer Partisanenaktion erbeutet wurde, lauerten Lokisten einem Anführer der „Diablos“ vor der Haustür auf. Die Männer aus Probstheida vermuteten ihr Banner in der Wohnung des Ultras.
Hinzu kommt, dass die Medien sich auf Leipzig eingeschossen haben. Randalierende Fußballfans in Verbindung mit politischen Extremen – das bringt Quote. Ohne den Hauch von Ironie vermelden sogar seriöse Zeitungen, die sächsische Regierung wolle bei der Lösung des Gewalt-Problems zukünftig militärische Aufklärungsflugkörper, sogenannte „Drohnen“, einsetzen. Dabei wird ausgeblendet, dass für die überschaubare Zahl von Gewaltaktionen nur etwa ein Prozent der durchschnittlichen Zuschauerzahlen (ca. 2000 Besucher pro Klub) verantwortlich ist. 124 Pressevertreter akkreditierten sich im Oktober 2007, um über das Spiel FC Sachsen 2 gegen die 1. Herren von Lok zu berichten. Kein Wunder, dass sich die Protagonisten der Fan-Szene angesichts solcher Medienpräsenz angestachelt fühlen. Übers Radio dramatisierte ein „Diablo“ den Konflikt als „heiligen Krieg“, offensichtlich ohne die Dimension einer solchen Aussage zu ermessen. Beim Landesliga-Derby im Oktober brachten Lok-Fans im Gegenzug Iran-Flaggen mit ins Stadion – als verstecktes Symbol des Antisemitismus.
„Es reicht. 30, 40 Idioten meinen, sie müssten Wilder Westen spielen – ich will endlich wieder in Ruhe Fußball schauen“, fasst Lok-Vize René Weber die Denkweise der meisten Leipziger Fans zusammen. Die Täter – auch Teile derer, die im Dezember die „Sachsenstube“ überfielen – eint ein Mangel an Demokratieverständnis. Auch 18 Jahre nach der Wiedervereinigung wird auf Leipziger Tribünen sichtbar, dass es eine Distanz zwischen einer Mehrheit gibt, die gelernt hat, das Leben in einem freiheitlichen Staat mitzugestalten und wenigen, die nur das Faustrecht kennen. Das Problem: Dieser kleine Personenkreis prägt derzeit das öffentliche Bild der Leipziger Fußballkultur.
Ein Weg aus der Misere kann nur eine frühzeitige Integration der nachwachsenden Fan-Generationen sein. Erik Fischer, verantwortlich für das Fanprojekt beim FC Sachsen, sagt: „An die Leute im Block, die rechte Parolen brüllen und Randale machen, kommen wir nicht mehr ran. Aber denen, die noch kommen, müssen wir Raum bieten, ihre Fanszene kreativ mitzugestalten.“ Auch die Politik ist endlich um Lösungen bemüht. Neben den 83 000 Euro, die jährlich von der Stadt Leipzig in das Fanprojekt fließen, hat das Land Sachsen soeben weitere 300 000 Euro für die Fanarbeit bereit gestellt.
Die Zeit drängt. Sollte Lok kommende Saison in die Oberliga aufsteigen und FC Sachsen die Klasse halten, drohen der Messestadt zwei brisante Derbys. Und ein Völkerschlachtdenkmal in Leipzig reicht.